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Ressource BiomethanDer ungenutzte Gasspeicher

Luftaufnahme einer Biogas-Speicheranlage
Flexibilität statt „Strichbetrieb“. Das Speicherkraftwerk Rixdorf hat das Blockheizkraftwerk fünffach verstärkt. Es besitzt zudem ein Gasreservoir mit bis zu 30 MWh und einen großen Wärmepufferspeicher inklusive elektrischem Heizelement. (Bild: Bioenergie Lebrade / Rixdorf GmbH & Co.KG)

Der Krieg in der Ukraine offenbart drastisch unsere Abhängigkeit von russischem Erdgas. Um der drohenden Notlage zu entgehen, setzen sogar grüne Politiker auf gefracktes Flüssiggas aus den USA. Dabei schlummert im heimischen Biogas viel Potenzial.

25.02.2022 – Noch immer fahren die meisten Biogas-Kraftwerke in Deutschland stur auf Strich, immer mit gleicher „Grundlast“. Doch der Anteil flexibel betriebener Speicherkraftwerke wächst. Diese lassen erahnen, dass Biogas in Deutschland ein unterschätzter Joker ist, den die Politik wirkungsvoll ausspielen könnte.

Ein Riese aus vielen Zwergkraftwerken

Pünktlich zum russischen Einmarsch in die Ukraine hat die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR) die Ergebnisse des Projekts VisuFlex präsentiert. Demnach könnten die Biogas-Kraftwerke in Deutschland einen Spitzenlast-Ausgleich von über 30 Gigawatt (GW) bereitstellen. Das entspricht in etwa der mittleren Leistung von 30 Atomkraftwerken oder 50 fossilen Gaskraftwerken. So sagt Uwe Welteke-Fabricius vom „Flexperten-Netzwerk“, das die Studie federführend erstellt hat: „Zu Zeiten hoher Residuallast (also Restlast, die nicht durch Wind und PV gedeckt ist) ließe sich so mehr als die Hälfte des prognostizierten Leistungsbedarfes durch Biogas decken.“

Behielte Welteke-Fabricius Recht, würde ein effektiver Einsatz von Biogas den permanent geforderten Neubau fossiler Gaskraftwerke grundlegend in Frage stellen. Aber wie kommen die „Flexperten“ zu ihrer Prognose?

Von den mehr als 9.500 Biogasanlagen in Deutschland laufen ein paar Hundert im flexiblen Betrieb, das heißt, sie passen ihre Stromerzeugung an den realen Bedarf an, der durch das schwankende Angebot von Wind- und Sonnenenergie variiert. Im Projekt „VisuFlex“ senden verschiedene Direktvermarkter die Strom-Einspeisemengen ihrer Anlagen täglich an eine zentrale Datenbank. Im Ergebnis entsteht eine Echtzeit-Visualisierung, die zeigt, „dass die Strom-Einspeisemengen sehr genau dem Verlauf der Residuallast, also dem auszugleichenden Strombedarf und den Strompreisen folgen.“

 

Laut FNR liefert Biogas aktuell mit einer durchschnittlichen Leistung von rund 3,5 Gigawatt etwa 13 Prozent des gesamten erneuerbaren Stroms. Die Lastspitzen-Prognose von über 30 GW setzt voraus, dass die Biogasanlagen durch den Einbau von bis zu fünfmal größeren Blockheizkraftwerken (BHKW) verstärkt, sowie mit großen Gas- und Wärmespeichern ausgestattet werden. Dies ergäbe eine Steigerung auf 10 bis 15 GW Spitzenleistung im Bestand. Eine Verdopplung auf 30 GW sei durch die stärkere Nutzung der Biomasse-Ressourcen in zusätzlich gebauten Anlagen möglich.

Biogas lokal versus Erdgasspeicher

Eine ähnliche Stoßrichtung zum verstärkten Ausbau der Erneuerbaren Energien, inklusive Biogas, verfolgt der Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE), der sich auf seine jüngste Strommarktstudie mit zwei Fraunhofer Instituten stützt. In Deutschland erzeugten die Biogasanlagen derzeit zusammen rund 10 Mrd. Kubikmeter Gas mit einem Energiegehalt von ca. 100 Terawattstunden (TWh) pro Jahr – was rund 10 Prozent des deutschen Gasverbrauchs entspricht. Davon würden derzeit ca. 10 TWh aufbereitet und in das Gasnetz eingespeist. 90 Prozent des Biogases werde vor Ort in BHKWs zu Strom und Wärme umgewandelt – was ebenfalls Erdgas einspare.

„Theoretisch ließe sich das gesamte Biogas aufbereiten und ins Gasnetz einspeisen“, sagt BEE-Präsidentin Simone Peter. Auch eine Verdopplung der Produktion auf 200 TWh sei möglich, allein durch die Vergärung der vorhandenen Gülle- und Abfallmengen und die Nutzung von Grünland und Biodiversitätsflächen. Damit ließe sich die Abhängigkeit von russischen Gasimporten signifikant reduzieren. „Zudem zeigt die Studie, dass eine wirtschaftliche Elektrolyseleistung von 100 Gigawatt Grünem Wasserstoff in Deutschland möglich ist. Importe können auch hier weitestgehend vermieden werden“, so Peter.

Nach Aussage von Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group, ist bis jetzt nur der kleinste Teil der ländlichen Biogasanlagen ans Erdgasnetz angeschlossen. Er plädiert für eine differenzierte Betrachtung: In bestimmten Fällen wie der Biogaserzeugung in der Nähe von Großstädten, sei die Einspeisung ins Gasnetz wohl sinnvoll. Für ländliche Regionen ist er jedoch skeptisch, weil er dort den Aufbau dezentraler Nahwärmenetze vorziehen würde. Die Frage der Einspeisung und Anbindung an das Erdgasnetz sei aber „kein Entweder-Oder“, denn eine teilweise Gaseinspeisung und die dezentrale Wärmenutzung könnten sich gut ergänzen.

Wie umwelt- und sozialverträglich ist das Biogas?

An die Bundesregierung richten Fell und das Flexperten-Netzwerk in einem Politikpapier konkrete Forderungen, unter anderem mit Änderungsvorschlägen für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). So sollte die frühzeitige Teilnahme an Ausschreibungen ermöglicht, sowie die Flexibilitätsprämie erhöht und „flexibilisiert“ werden. Die Umstellung der Landwirtschaft auf tierfreundliche Haltung, Artenvielfalt und Bodenschutz verteuere überdies die Erzeugung. Landwirte sollten deshalb durch Fördermittel aus dem Landwirtschaftssektor unterstützt werden, die nicht den Strompreis belasten.

Fell kritisiert die Bundesregierung, diese müsse speicherbare und stetige Energiequellen wie Biomethan, feste Biomasse, Wasserkraft und Geothermie stärker berücksichtigen, um eine gesicherte Energieversorgung auf regenerativer Basis aufzubauen. Ausschließlich Windenergie und Photovoltaik genügten dafür nicht.

In ihrem Politikpapier legen die Autoren den Finger auch in eine alte Wunde aus den Biogas-Boom-Jahren um 2012, die noch immer brennt. Damals wurde die Förderung nach einer heftigen „Tank-oder-Teller“-Debatte um die Nutzung der Äcker für Energiepflanzen abrupt zurückgefahren. „Die Fehler aus den Anfangsjahren dürfen wir nicht wiederholen“, sagt Fell. Inzwischen habe die Biogas-Branche viel dazu gelernt. In dem Papier steht dazu beispielsweise, „neue Substrate aus Wild- und Blühpflanzenkulturen, Dauergrünland, Zwischenfrüchten und Paludikulturen absorbieren mehr CO₂ als sie selbst verursachen, helfen der Artenvielfalt auf die Beine und bauen obendrein Humus auf.“ Andreas Schug


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Kommentare

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Skodafahrer 07.03.2022, 09:09:44

Heute verbrauchen Biogas - BHKW einen Teil Ihres erzeugten Stromes in der Biogasanlage selbst.

Wenn man das Biogas speichert und die Biogasanlage mit Wind- oder Solarstrom betreiben kann,

braucht man während der viel kürzeren Stromproduktion mit viel höherer Leistung wesentlich weniger Strom selbst.

Jens Decker 24.11.2022, 18:55:47

Wie sieht es eigentlich aktuell mit der Nutzung der Abwärme dieser Biogas-Anlagen aus? Wie weit findet das statt oder wird in der Regel einfach schlicht Strom produziert und subventioniert verkauft? Die Gäranlagen wird man vermutlich nicht so gerne nah am Ort haben, aber eine Gasleitung zu einem ortsnahen BHKW mit Wärmeversorgung von Häusern etc. sollte ja doch gut möglich sein (um so eine lange verlustreiche Fernwärmeleitung zu vermeiden).


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