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Die Meinung
14. Juli 2023

Höchste Zeit für Energy Sharing!

Selbsterzeugten Strom auch übers öffentliche Netz zu nutzen ist ein langgehegter Wunsch vieler Energiewende-Akteur:innen. Jetzt kommt endlich Bewegung in die Sache. Energy Sharing steht auf der Agenda der Regierung. Ein konkretes Konzept von Verbänden und Branche liegt auf dem Tisch.

Sven Kirrmann ist Senior Referent für Politische Kommunikation beim Ökostromanbieter naturstrom.

Sven Kirrmann ist Senior Referent für Politische Kommunikation beim Ökostromanbieter naturstrom.
Foto: privat

Eigenerzeugte Erneuerbare Energie gemeinschaftlich teilen – diesen einfachen wie attraktiven Gedanken blockiert in der Praxis eine Vielzahl an Regelungen. Von Lieferantenpflichten über Förderregularien bis hin zur Stromkennzeichnung ist das deutsche Energierecht bislang nicht auf eine gemeinsame Ökostrom-Nutzung von engagierten Bürger:innen oder auch Kommunen und kleinen wie mittleren Unternehmen ausgerichtet. Dabei ist eine solche Möglichkeit schon längst EU-Recht: Mit der zweiten Erneuerbare-Energien-Richtlinie von 2019 (Renewable Energy Directive, RED II) hat die EU ihre Mitgliedsstaaten verpflichtet, bis Mitte 2021 einen passenden Rahmen für Energy Sharing zu entwickeln.

Passiert ist nichts – ein weiterer Ausweis des energiepolitischen Stillstands unter der vorangegangenen großen Koalition. Langsam kommt immerhin Bewegung in die Sache – die Ampelkoalition hat sich schon im Koalitionsvertrag zu dem (ja europarechtlich auch verpflichtenden) Ansatz des Energy Sharing bekannt, bei der Verabschiedung des EEG 2023 im letzten Sommer wurde dieses Bekenntnis im Rahmen eines zusätzlichen Entschließungsantrags zur Novelle noch einmal unterstrichen. Für das zweite Halbjahr 2023 hat die Ampel nun im Rahmen der Photovoltaik-Strategie erstmals konkret eine Arbeitsgruppe zur weiteren Ausarbeitung angekündigt.

Energy Sharing muss Ausbaubeschleunigung flankieren

Und das ist auch überfällig, nicht nur wegen der rechtlichen Vorgaben. Schließlich wollen wir den Erneuerbaren-Ausbau in den nächsten Jahren deutlich beschleunigen. Das ist für Klimaschutz und Sicherung der Energieversorgung unabdingbar, bedeutet aber auch, dass es viel mehr Solarparks im Land geben wird und es zwar nicht unbedingt mehr Windenergieanlagen braucht, diese aber größer und besser im Land verteilt werden müssen. Kurz: Die Energiewende wird sichtbarer und in der Lebensrealität von viel mehr Menschen ankommen. Auch wenn nach der Energiepreiskrise der letzten Monate wahrscheinlich viel mehr Menschen die Energiewende auch aus ökonomischen Gründen mittragen, bedeuten solche Veränderungen der eigenen Lebenswelt potenzielle Konflikte.

Solche Auseinandersetzungen können minimiert werden, wenn die Bürger:innen von Anfang an direkt von den Veränderungen profitieren können oder sogar selbst zu Träger:innen und Treiber:innen der Weiterentwicklung werden – womit wir auch schon beim Grundgedanken des Energy Sharing wären. Es sieht vor, dass aktive Verbraucher:innen sich zu Gemeinschaften zusammenschließen und durch eigene Investitionen in Erneuerbare-Energien-Anlagen Energiewende und Klimaschutz vorantreiben. Durch günstigere Strompreise profitieren sie ganz direkt vom eigenen Handeln. Und ganz nebenbei können Energy-Sharing-Gemeinschaften zum Vorreiter für künftige Energiemärkte werden.

Energie teilen in der Praxis

Wie soll das nun genau funktionieren? Aufgrund des jahrelangen politischen Stillstands haben sich mehrere relevante Verbände, darunter der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE), das Bündnis Bürgerenergie (BBEn) und der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV) sowie einige Branchenakteure wie naturstrom zusammengetan, um auf eigene Faust ein Umsetzungskonzept zu entwickeln. Dieses liegt seit April vor, eine ökonomische Studie zu den Kosten einer solch anspruchsvollen Energievermarktung sowie ein konkreter Gesetzentwurf haben es inzwischen unterlegt.

Grundidee ist, dass die Einspeisung der Gemeinschaftsanlage(n) (im Verhältnis zum Stromverbrauch) sowie Verbrauch der Gemeinschaftsmitglieder innerhalb eines bestimmten Radius (min. 50 km in Anlehnung an das bestehende Regionalnachweisregister) mittels Smart Meter übereinander gelegt werden, um dann die zeitlich übereinstimmenden Energiemengen als Energy-Sharing-Anteile zu verrechnen. Da dies eine sehr anspruchsvolle und bislang nicht etablierte Methode der Strombelieferung ist, soll es zur Deckung der auftretenden Mehrkosten sowie als Anreiz eine Prämie für diese Teilmengen geben.

Auf Basis der ökonomischen Modellierung von Energy Brainpool werden hier 4,9 ct/kWh für gemeinschaftlich genutzten Solarstrom und 2,8 ct/kWh für geteilte Windenergie vorgeschlagen. Dieses direkte dezentrale „Matching“ von Energieerzeugung und -verbrauch würde nicht nur dazu anregen, möglichst viel „selbsterzeugten“ Ökostroms zu nutzen und sich systemdienlich je nach Einspeisesituation der regionalen Anlagen zu verhalten. Energy Sharing könnte so auch Vorbild und Praxislabor für das generelle Funktionieren eines viel kleinteiliger werdenden Energiesystems sein. Die Energy-Sharing-Gemeinschaften, deren Definition sich etwa an den bestehenden Regularien für Bürgerenergie im EEG orientieren könnte, wären dabei Vollversorger für die Stromlieferung, müssten also auch den darüber hinaus benötigten Strom beschaffen bzw. wären selbst dazu animiert, einen möglichst hohen Eigennutzungsgrad in der Gemeinschaft zu organisieren.

Nach langem Warten ab in die Umsetzung

Dieser Branchenvorschlag liegt als Diskussionsgrundlage nun auf dem Tisch und es gibt erste positive Reaktionen. Bei einem parlamentarischen Abend zur Vorstellung des Konzepts haben sowohl Stefan Wenzel als parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium als auch Abgeordnete aus allen drei Ampelfraktionen ihre Unterstützung für Energy Sharing im Allgemeinen und ihr Interesse an dem konkreten Umsetzungskonzept geäußert, wenn auch über Details natürlich debattiert werden müsse. Timon Gremmels als einer der Energieexperten der SPD, der neben seinen Kollegen Bernhard Herrmann (Grüne) und Konrad Stockmeier (FDP) anwesend war, appellierte sogar dafür, Energy Sharing noch in die bald startenden Verhandlungen zum ersten Solarpaket aufzunehmen, anstatt erst auf die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe zu warten.

Da kann ich nur beipflichten: Das ist genau der Tatendrang, den passende Rahmenbedingungen für Energy Sharing auslösen sollen. Denn mit einem guten Modell für eine gemeinschaftliche Ökostrom-Nutzung können viele Menschen nicht nur an der Energiewende teilhaben, sondern ein aktiver Teil und Treiber:in dieser Transformation werden. Es wurde schon viel zu lange gewartet, es ist höchste Zeit für Energy Sharing!




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