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Bahnnetz EuropaLicht am Ende des Tunnels

Bahnhof Lissabon bei Nacht
Zurück in die Zukunft? Europa braucht eine Bahnrenaissance. (Bild: Ricardo Adelaide / pixabay)

Der transnationale Zugverkehr wurde in den vergangenen Jahrzehnten eher weniger als mehr. Ein erster Schritt voran ist der Ausbau von Nachtzügen, mit denen Europäer bald zurück in die Zukunft reisen könnten.

07.05.2022 – Zur Feier des European Year of Rail durchquerte der Connecting-Europe-Express letztes Jahr Europa. Doch die Demonstration der Freizügigkeit geriet schnell ihre an Grenzen. Die Fahrt offenbarte die Probleme des europäischen Zugnetzes. Ein Flickenteppich an Regelungen, Schienen- und Bahnnormen und maroden Streckenabschnitten behinderte die Weiterfahrt immer wieder – und spiegelte die strukturellen Probleme des europäischen Bahnverkehrs. Dabei besteht enormer Bedarf an grünen Reisealternativen. Emissionen im Verkehrssektor stagnieren seit 1990 und die Schiene ist das nachhaltigste und emissionsärmste Verkehrsmittel. So verursacht Bahnfahren im Vergleich zum Fliegen nur etwa ein Zwölftel der Emissionen. Auch der europäische Green Deal betont den Zugverkehr als notwendige Alternative für die Verkehrswende.

Die Schiene wurde jahrzehntelang ausgebremst

Für Reisende aber ist der internationale Bahnverkehr oft verwirrend. Da es kein gemeinsames Ticketsystem gibt, ist es gar nicht so einfach, länderübergreifende Bahnfahrten zu buchen. Dabei ließe sich fast ein Drittel der geflogenen Kurzstrecken in Europa in unter sechs Stunden mit dem Zug zurücklegen. Für längere Strecken könnten Nachtzüge eine Alternative bieten. Die große Mehrheit der europäischen Reisenden würde einer breit angelegten Umfrage von Germanwatch zufolge Nachtzüge nutzen. Die meisten Befragten waren sich zudem einig, dass Bahnreisen generell günstiger sein sollte als fliegen. Zurzeit ist es jedoch meist umgekehrt. 

Wenige und unkoordinierte Investitionen in den Ausbau von transnationalen Schienennetzen, schlechte Zusammenarbeit zwischen den nationalen Bahnbetreibern, Schienen und Züge, die schon rein technisch nicht zusammenpassen, und steuerliche Nachteile haben den Fortschritt auf der Schiene jahrzehntelang gebremst. Europaweit wurden in den letzten 20 Jahren 6.000 Kilometer an Gleisen stillgelegt. Viele der verbleibenden Strecken sind schlecht gewartet und nur etwa die Hälfte der europäischen Schieneninfrastruktur ist elektrifiziert. Von 365 grenzüberschreitenden Eisenbahnverbindungen waren der Europäischen Kommission zufolge 2018 über 40 Prozent nicht betriebsfähig. Die Bahn hat also einen deutlichen Wettbewerbsnachteil gegenüber dem Straßen- und Flugverkehr.

Die meisten nationalen Bahnbetreiber haben kein Interesse an transnationalen Verbindungen. Das liegt teilweise an den nationalen Finanzierungsmodellen der Strecken, die inländische Verbindungen profitabler erscheinen lassen. Der grenzüberschreitende Verkehr bedarf zudem einer entsprechenden Wartungsinfrastruktur und Kooperationen zwischen Betreibern. Genau daran fehlt es jedoch oft. Kleine private Bahnanbieter betreiben zwar einzelne nationale und manche transnationale Nachtzugstrecken. Doch ihnen fehle das Kapital, um neue Züge zu kaufen und neuen Verbindungen anzubieten, so Worth. „Die Lobbygruppen der nationalen Bahnbetreiber in Brüssel sind stark und sie wollen das System nicht ändern“, meint Jon Worth, Politikberater und Gründer der Kampagne Trains for Europe. Die Akteure, die sich für einen transnationalen europäischen Bahnverkehr einsetzen, seien hingegen eher schwach.

Nachtzüge wurden in den letzten Jahrzehnten eingestellt - doch es geht wieder aufwärts

Neben Frankreich gehört Deutschland zu den Knotenpunkten der Europareisenden. Die Deutsche Bahn hat sich jedoch im vergangenen Jahrzehnt nach und nach vom Nachtzugverkehr verabschiedet, und ihn 2016 schließlich ganz eingestellt. Kurzfristig könnte Deutschland von seinen Nachbarländern profitieren. Kleine Bahn-Start-Ups wie die niederländische Eisenbahngenossenschaft European Sleeper, das schwedische Unternehmen Snälltåge und das tschechische Regiojet planen neue Nachtzugstrecken nach Deutschland. Angefahren werden soll Berlin, das aktiv für neue Nachtzugverbindungen in die Hauptstadt wirbt. Auch einige andere europäische Großstädte wie Prag sehen einen Nutzen im Nachtzugverkehr und setzen sich unabhängig von ihrer nationalen Politik dafür ein. Anders sieht es in Österreich aus. Die österreichische Staatsbahn ÖBB hat einen Teil der transnationalen Nachtzugverbindungen von der DB übernommen und weiterbetrieben. Die ÖBB gehört zu den wenigen Bahnbetreibern, die erfolgreich Nachtzüge betreiben und den Geschäftsbereich sogar ausbauen.

Allmählich aber scheint die ÖBB andere zur Nachahmung anzuregen. „Einige nationale Regierungen in Europa, besonders Frankreich, aber auch Schweden und Italien, haben verstanden, dass neue Nachtzüge ohne staatliche Unterstützung nicht zustande kommen, aber nützlich wären. Die nationalen Bahnfirmen dieser Länder haben zwar kein Interesse, aber die Regierungen schon. In Österreich und der Schweiz sind es die Bahnfirmen, also ÖBB und SBB, die das Problem lösen wollen“, so Worth. Zwar haben die Regierungen Deutschlands, der Schweiz, Österreich und Frankreich 2020 beschlossen, mit dem TransEuropExpress, TEE 2.0 grenzüberschreitenden Nachtzugverkehr deutlich auszubauen. Im Koalitionsvertrag der deutschen Bundesregierung findet sich dazu der ermutigende Satz: „Grenzüberscheitenden Verkehr wollen wir stärken und mit der EU sowie ihren Mitgliedstaaten Nachtzugangebote aufbauen.“ Doch passiert ist bisher wenig. „Die Situation in Deutschland ist am allerschlimmsten“, meint Worth. „Hier hat weder die Deutsche Bahn noch die deutsche Regierung ein Interesse am Nachtzugverkehr.“

Schweden, Italien und Frankreich betreiben noch Nachtzüge und gehören zu den Ländern, die weitere Strecke planen. Allerdings sollen vor allem die nationalen ländlichen Regionen besser angeschlossen werden. In Italien geht es vor allem um die weniger gut angeschlossenen Regionen im Süden des Landes, bei Schweden ist es der Norden. Frankreichs Präsident Macron hat die Schiene als Wahlkampfthema entdeckt. Frankreichs Personenbahnbetrieb fokussiert sich stark auf die Achsen von Paris, viele Strecken auf dem Land wurden hingegen in den letzten Jahren stillgelegt.

Europa vernetzt sich

Die Regionalbahn in Frankreich hat inzwischen weitere Mitstreiter gewonnen. Mit Railcoop gründete sich dort Europas erste Bahngenossenschaft. Ihr Ziel ist, besonders ärmeren Menschen auf dem Land die Möglichkeit zu bieten, mobil zu werden. Etwa 30 Prozent der bestehenden Bahnhöfe in Frankreich werden zurzeit nicht angefahren. Und das, obwohl 90 Prozent der Franzosen weniger als zehn Kilometer von einem Bahnhof entfernt wohnen. Langfristig will Railcoop ebenfalls Nachtzüge anbieten, sieht aber noch einige Hürden. „Es ist derzeit sehr schwierig, weil wir weder in der Nacht Zugang zur Infrastruktur haben noch gutes rollendes Material für Nachtzüge auf dem Markt erhältlich ist. Aber wir glauben, dass Nachtzüge wirklich wichtig sind für Europa. Es ist ein niedrigschwelliges Angebot, sie können kostengünstig betrieben werden und haben das Potenzial, Kurzstreckenflüge zu ersetzen“, so Léo Clavurier, Assistenz der Geschäftsführung bei Railcoop.

Um die Metropolen Europas zu verbinden, müssen teilweise deutlich über tausend Kilometer überbrückt werden. Regionale Projekte sind wichtig, aber damit Europa seine Klimaziele erreicht, braucht es den grenzüberschreitenden Bahnverkehr. „Die bisherigen Pläne sind sehr länderspezifisch, es gibt kaum transnationales Denken“, bedauert Worth. Einzelne Städte wie Berlin oder Prag setzten sich zwar für bessere Verbindungen ein. „Aber in der Europäischen Kommission gibt es wenig politisches Interesse für das Thema Bahn, keine Durchschlagskraft“, stellt Worth fest. Stattdessen herrsche dort nur eine gewisse Unzufriedenheit mit dem Europäischen Bahnsystem, die aber immerhin zu ersten Bewegungen geführt hat.

Ende Dezember 2021 verabschiedete die Europäische Union den sogenannten Cross Border Rail Action Plan. Der Plan ist Teil des Maßnahmenpakets für grüne Mobilität in Europa mit dem Ziel, den europäischen Bahnverkehr bis 2050 zu verdreifachen. Finanzielle Unterstützung wird zudem über den neuen Green Rail Investment Fund der European Investment Bank möglich. Ob dies den Anfang einer Rail Renaissance einläutet, wie der Plan verspricht? Vielleicht ist für Nachtzüge und Europareisende ein Licht am Ende des Tunnels in Sicht. Julia Broich


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