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KohleausstiegEin früheres Ende der Kohle muss möglich sein

Blick auf mehrere rauchende Schlote des Kraftwerks Jänschwalde.
Für Umwelt- und Klimaschutz fatal: Der Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken wie in Jänschwalde. (Bild: Dguendel / WikiCommons, CC BY 4.0)

Der Kohle fehlt Akzeptanz und Wirtschaftlichkeit für eine Laufzeit bis 2038. Experten warnen: Die Bundesregierung darf mit RWE und LEAG keine Verträge aufsetzen, die die Kohlekraft künstlich am Leben erhält.

16.06.2020 – Die Bundesregierung will bislang bindende Verträge mit Kraftwerksbetreibern schließen, die den Zeitplan der Abschaltungen und die Höhe von Kompensationszahlungen regeln. Der Thinktank Third Generation Environmentalism Ltd (E3G) warnt in einer aktuellen Analyse davor, solche Verträge abzuschließen. Diese Verträge riskieren, dass der Stilllegungspfad nicht verändert und an neue Realitäten angepasst werden könne. Und wie schnell die Entwicklungen voranschreiten zeigen die vergangenen anderthalb Jahre.

Bereits jetzt gilt der im Januar 2019 ausgehandelte Kohlekompromiss als veraltet. Nicht erst die Corona-Pandemie sorgte dafür, dass Kohle wirtschaftlich, politisch und rechtlich immer weiter ins Abseits gerät. In Deutschland und auf der ganzen Welt werden Kohlekraftwerke zunehmend unrentabler. Ältere deutsche Kohlekraftwerke liefen 2019 zunehmend auf Sparflamme, weil sie keine Gewinne mehr einfuhren. Günstige Solar- und Windenergie sowie das Europäische Emissionshandelssystem mit einem Preis von über 25 Euro je Tonne CO2 zeigten Wirkung. Auch die Finanzbranche zieht ihr Geld zunehmend aus dem Kohlegeschäft raus.

Zwar ist der CO2-Preis infolge der Corona-Krise deutlich abgefallen, doch wettbewerbsfähiger ist die Kohle dadurch nicht mehr geworden. Die günstige Wetterlage und verminderte Industrieproduktion verstärkten dabei den Trend der Erneuerbaren. Im April lag der Kohleanteil an der Nettostromerzeugung laut Fraunhofer ISE auf einem historischen Tiefstand von 16 Prozent. Und im Mai wurde, verglichen mit dem Vorjahresmonat, je fünfzig Prozent weniger Strom aus Braun- und Steinkohle erzeugt. „Das Zeitalter der Kohleverstromung ist vorbei“, sagte angesichts dieser Zahlen Simone Peter vom Bundesverband Erneuerbare Energie und forderte eine Neubewertung des Kohleausstiegs.

Ein Kohleausstieg bis 2038 wirkt zunehmend anachronistisch

Auch vor dem Hintergrund politischer Bestrebungen ist eine Neubewertung des Kohleausstiegs unausweichlich. Die Europäische Kommission hält an einer Erhöhung des Klimaziels für 2030 von 40 auf 50 bis 55 Prozent fest. Bundeskanzlerin Merkel hat sich zu diesem Ziel bekannt. Teile der Unionsfraktion sträuben sich dagegen. Im Rahmen der anstehenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft sind die Erwartungen hoch, wirtschaftliche Erholung und Klimaschutz in Europa in Einklang zu bringen. „In diesem Kontext wirkt ein Kohleausstieg bis 2038 zunehmend anachronistisch und hat eine negative Signalwirkung für andere, etwa für den Kohleausstiegsprozess im Nachbarland Polen“, schreibt E3G in ihrer Analyse.

Die angedachten Entschädigungszahlungen an Kraftwerksbetreiber könnten indes nach europäischem Recht durchfallen. 4,35 Milliarden Euro sollen die Konzerne RWE im Westen und LEAG im Osten für die Schließung ihrer Kraftwerke erhalten. Doch da es sich hier um staatliche Beihilfen handelt muss die EU-Kommission dem nach europäischem Recht zustimmen. Die Umweltrechtsorganisation ClientEarth bezweifelt, dass die Kommission die Beihilfen durchwinken wird.

Bislang sieht kein anderes EU-Land freiwillig Zahlungen an Kohlekonzerne vor

„Von den 14 EU-Mitgliedstaaten, die bereits aus der Kohle aussteigen, hat bislang kein anderes Land freiwillig Zahlungen an Kohlekonzerne für das Unvermeidliche vorgesehen“, sagte Ida Westphal, ClientEarth-Juristin im vergangenen Jahr. Die Kohlekonzerne müssten nachweisen, dass sie bedeutende finanzielle Verluste durch die Schließung ihrer Kraftwerke verzeichnen werden. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung in den vergangenen anderthalb Jahren scheint dies noch fragwürdiger. Darüber hinaus wurde Ende Januar bekannt, dass die LEAG seit 2016 ohnehin plante, die Kraftwerke ähnlich dem von der Bundesregierung vorgelegten Plan abzuschalten.

Und mit der Wirtschaftlichkeit der Braunkohle ist es 2020 weitaus schlechter bestellt als noch 2016. Es ist zu vermuten, dass die LEAG bei rein marktwirtschaftlichen Betrachtungen inzwischen deutlich früher aus der Braunkohle aussteigen würde. Doch die falschen Rahmenbedingungen in einem Kohleausstiegsgesetz könnten Kohlekraftwerke künstlich am Leben erhalten, warnen auch die Autoren der E3G-Analyse. Festgelegte Entschädigungszahlungen zu einem bestimmten Zeitpunkt, könnten den Betrieb der Kraftwerke verlängern, obwohl sich diese wirtschaftlich nicht mehr lohnen.

Auch der Umweltausschuss im Bundestag befasste sich gestern mit dem Thema. Dort bekräftigten weitere Experten ihre Kritik an langer Laufzeit und entsprechenden vertraglich festgeschriebenen Entschädigungszahlungen. Kai Niebert vom Deutschen Naturschutzring befürchtete, „dass das Gesetz in der jetzigen Form die Verstromung aus Braunkohle zementiert, statt sie zu beenden.“ Auch spätere Regierungen wären an die Verträge mit den Kraftwerksbetreibern gebunden. Es bleibt die Hoffnung, dass es nicht zur Ausgestaltung dieser Verträge kommt. Spätestens am zweiten Juli soll Klarheit bestehen. Dann will die Bundesregierung das Kohleausstiegsgesetz verabschieden. mf


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