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KlimagerechtigkeitKohleausstiegsgesetz darf nicht zum Klimakiller werden

Demo für den Kohleausstieg vor dem Wirtschaftsministerium in Berlin, Menschen halten Plakat mit Aufschrift Klimagerechtigkeit
Die Bundesregierung darf sich von den Kohlekonzernen nicht klimapolitisch erpressbar machen, warnen Umweltschützer und Juristen. (Foto: Ende Gelände / Flickr / CC BY 2.0)

Umweltjuristen von Client Earth warnen die deutsche Bundesregierung davor, sich durch Verträge mit Braunkohleunternehmen klimapolitisch erpressbar zu machen. Dadurch könnte die Klimapolitik in den nächsten Jahren massiv behindert werden.

24.06.2020 – „Der Vertrag zwischen dem Staat und Kohlekonzernen über die Schließung von Braunkohlekraftwerken ist ein gefährliches Geschenk und könnte künftige Klimapolitik in Geiselhaft nehmen“, twittern die Umweltjurist*innen von ClientEarth und warnen die Bundesregierung eindringlich davor, sich mit den Braunkohle-Verträgen erpressbar zu machen. Neue Rechtsgutachten zeigten, dass „Braunkohleunternehmen durch die öffentlichen Verträge mit der Bundesregierung die dringend notwendige Klimapolitik in den kommenden Jahren erschweren, wenn nicht sogar verhindern könnten“, schreibt Client Earth.

Was das konkret heißt, erläutert das Juristenteam in einem Brief an Bundeswirtschaftsminister Altmaier und Bundesumweltministerin Schulze und nennt dabei zwei neue rechtliche Analysen, die grundlegende Probleme mit der aktuellen Fassung des Entwurfs zum Kohlegesetz und den Braunkohleverträgen zeigen. Die machen deutlich: Trotz der vertraglichen Vereinbarungen könnte die Bundesregierung zur Zielscheibe für künftige Rechtsstreitigkeiten mit Betreibern werden. Denn Klimaschutzmaßnahmen könnten von den Betreibern als Vertragsbruch ausgelegt werden, den sie sich dann teuer entschädigen lassen könnten.

Das Team von Client Earht fordert die Bundesregierung deshalb dringend auf, von vertraglichen Vereinbarungen abzusehen und stattdessen den Braunkohleausstieg durch Ordnungsrecht zu beschließen – diese Möglichkeit wurde ohnehin sowohl von der Kohlekommission als auch im Gesetzesentwurf vorgesehen.

Kohleausstieg für den Klimaschutz wäre sonst widersprüchlich

„Die Kohleausstiegsregelung mit den vertraglichen Vereinbarungen als Kern sollte rechtlich nicht umgesetzt werden,“ erläutert Ida Westphal, Juristin bei ClientEarth. „Das vorrangige Ziel dieses Gesetzes ist der Ausstieg aus der Kohle, um das Klima zu schützen. Das bedeutet, dass schnelles Handeln erforderlich ist und Klimaziele priorisiert werden müssen. Was wir stattdessen vorfinden, ist eine vertragliche Regelungsweise zugunsten der Betreiber und zulasten von Umwelt und Klima.“

So würden durch Steuergelder finanzierte Milliardengeschenke praktisch ohne Gegenleistung an die Kohleunternehmen festgeschrieben und die Regierung sich somit bei künftigen Entscheidungen zugunsten des Klimaschutzes erpressbar machen, warnt Westphal. „Mit Unterzeichnung der Verträge wären die Hände von Gesetzgeber und Regierung in Zukunft stark gebunden.

Wir riskieren, einer kolossal teuren Vereinbarung ausgeliefert zu werden, die gleichzeitig eine Katastrophe für das Klima bedeutet,
so Westphal weiter. „Wenn unsere Ministerinnen und Minister glaubwürdig sein wollen, müssen sie einen Vorschlag auf den Tisch legen, der nicht nur einseitig die Interessen der Betreiber berücksichtigt."

Die einzig tragbare Lösung sieht Client Earth darin, den Ausstieg ordnungsrechtlich in einer Rechtsverordnung zusätzlich zum Gesetz und nicht durch „im Hinterzimmer getroffene Vereinbarungen“ festzulegen. „Diese Verträge dienen einzig und allein dazu, Kohleunternehmen zu beschwichtigen, die schon lange wissen, dass ihre Tage gezählt sind“, sagt Westphal.

Verstoß gegen EU-Recht

Das Gesetz basiert auf Entschädigungen in Milliardenhöhe aus Steuergeldern, die die Bundesregierung den Kohlebetreibern versprochen hat – obwohl diese nach derzeitigem Informationsstand einer Prüfung durch die EU-Kommission nicht standhaltenkönnten.

Die Autoren des Rechtsgutachtens – Rechtsanwälte Hartmut Gaßner und Georg Buchholz von Gaßner, Groth, Siederer & Coll. – kommentieren die öffentlich-rechtlichen Verträge mit den Braunkohlebetreibern: Die Betreiber von Braunkohleanlagen würden zwar auf Rechtsschutz gegen das Braunkohleausstiegsgesetz verzichten, so die Analyse der Juristen. „Sie werden aber versuchen, den Vertrag so zu fassen, dass sie jede künftige Rechtsänderung, aus der sich mittelbar Nachteile für sie ergeben, als Verstoß gegen den Ausstiegsvertrag gerichtlich überprüfen lassen können.“

Obwohl die Betreiber dann zwar aktuell auf einen Rechtsstreit verzichten, hätten sie damit gute Argumente für künftige Rechtsstreitigkeiten. Das gelte insbesondere, wenn eine künftige Bundesregierung und ein künftiger Bundesgesetzgeber einen schnelleren Ausstieg für erforderlich hielten oder die Anlagenbetreiber künftige, mittelbar einschränkende Regelungen für unvereinbar mit dem Braunkohleausstiegsvertrag erklären können.“

Client Earth weist in diesem Zusammenhang auch auf eine Analyse des Thinktank E3G hin: Darin werde deutlich, dass ein früherer Kohleausstieg im Jahr 2030 aufgrund wirtschaftlicher und klimapolitischer Entwicklungen immer wahrscheinlicher werde. Würde das Kohleausstiegsgesetz demnach wie geplant umgesetzt, bestünde ein großes Risiko, dass auf diese Veränderungen nicht flexibel reagiert und der Ausstieg sogar verzögert werden könnte. Nicht nur für die Klimaziele wäre das fatal, auch für die betroffenen Regionen als auch die Beschäftigten wäre das höchst belastend.

Undemokratischer Prozess

Obwohl Bundesregierung und Braunkohlebetreibern seit vielen Monaten bereits über den Abschluss öffentlich-rechtlicher Verträge verhandeln, wurden bislang keine Einzelheiten darüber bekannt gegeben. Diese Intransparenz halten nicht nur Juristen für undemokratisch. Nur so viel ist bekannt: Die Verträge würden die Entschädigungssummen von 4,35 Milliarden Euro festschreiben – mit einer Rechtsverordnung würden Entschädigungen nur „soweit angemessen“ gezahlt.

Am Beispiel LEAG

Der Kohlekonzern LEAG betreibt sechs Kraftwerksblöcke, die vor 2030 schließen sollen und damit einen Anspruch auf Entschädigung hätten. Die Analyse von ClientEarth zeigt, dass nach derzeitiger Ausstiegsregelung vier dieser sechs Blöcke später vom Netz gehen würden, als von der LEAG in ihren internen Geschäftsplanungen für 2016 ursprünglich geplant.

Der Bericht Entschädigungen für die LEAG im Zuge des Kohleausstiegs zeige, dass die geplanten Entschädigungszahlungen in Anbetracht der abnehmenden Wirtschaftlichkeit von Braunkohlekraftwerken Gefahr liefen, unvereinbar mit EU-Beihilferecht zu sein. In diesem Fall, so die Juristen, stünde sogar der gesamte Kohleausstieg auf dem Spiel.

Warum folgt Deutschland nicht dem Beispiel anderer EU-Länder?

Die Niederlande hätten kürzlich das Kohlekraftwerk Hemweg geschlossen und dem Betreiber rund 50 Millionen Euro gezahlt, da die Abschaltung ganz kurzfristig erfolgte, berichtet Client Earth. Großbritannien, traditionelles Kohleland, kam vor kurzem erstmals zwei Monate ohne den Strom sämtlicher Kohlemeiler aus und hat nun angekündigt, alle verbleibenden Kohlekraftwerke vor 2025 ohne Entschädigung zu schließen. Großbritannien hat es mit einem „Carbon Price Floor“ innerhalb von fünf Jahren geschafft, die Stromerzeugung aus Kohle von 25 auf null Prozent herunter zu fahren. In Deutschland dagegen könnte nun jeder Betreiber Milliarden erhalten – und das obwohl der Ausstieg mehr als ein Jahrzehnt im Voraus angekündigt wurde.

Absurd ist auch, dass Deutschlands ohnehin später Kohleausstieg bis 2038 die Inbetriebnahme des neuen Steinkohlekraftwerks Datteln IV ermöglicht. Dagegen gab es zahlreiche Proteste, ebenso wie gegen die fortlaufende Zerstörung von Dörfern, die dem weiteren Braunkohleabbau weichen müssen – obwohl das Aus der Kohle ein Datum hat.

ClientEarth hatte bereits im Mai letzten Jahres gemeinsam mit Greenpeace Deutschland eine Blaupause für ein Kohleausstiegsgesetz veröffentlicht, das seinem umwelt- und klimapolitischem Anspruch gerecht werden könnte. Doch die Vorschläge fanden bei der Bundesregierung keine Beachtung.

Das Kohlegesetz soll noch vor der parlamentarischen Sommerpause vom Bundestag verabschiedet werden. Die Organisation German Zero und weitere Klimaaktivisten haben daher in einem öffentlichen Appell an die Bundestagsabgeordneten aufgerufen, das Gesetz in der Sommerpause zu überarbeiten und frühestens im Herbst zu beschließen. „Wir müssen das Kohlegesetz verschieben, denn dessen Geheimverträge unterlaufen die Demokratie und Garantiezahlungen und Enteignungsparagrafen gefährden das 1,5-Grad-Limit.na


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