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Die Meinung
22. Juni 2020

Klimapolitische Disruption statt Klima-Lockdown

Bundeskanzlerin Merkel will während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft die Klimaziele der EU verschärfen und ein Klimagesetz verabschieden. Dabei darf die Umsetzung von Maßnahmen zum Erreichen der Ziele aber nicht aus dem Blick geraten. Dazu gehört die Ausweitung der CO2-Bepreisung auf alle Sektoren und die Einführung einer CO2-Mindestbepreisung im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems.

Ulf Sieberg, Leiter Büro Berlin des CO2 Abgabe e.V.

Ulf Sieberg, Leiter Büro Berlin des CO2 Abgabe e.V.
Foto: Privat

22.06.2020 – Die Generalsekretärin des Mercator Research Institut on Global Common and Climate Change brachte es vor kurzem auf einer Veranstaltung des CO2 Abgabe e.V. auf den Punkt (Video ab Min. 18): „Weniger über Ziele reden und mehr über die Instrumente und die Umsetzung“, so Dr. Brigitte Knopf. Und weiter: „Wir bräuchten über zehn Jahre einen Corona-Lockdown, um zum Beispiel 1,5° Celsius zu erreichen.“

Das ist, und das konstatierte auch Brigitte Knopf, nicht das, wie wir Klimaschutz betreiben wollen. Nur war es nicht die Bundeskanzlerin, die in einer Sitzung der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag vor der Sommerpause 2019 von „disruptiven Veränderungen“ politischer Natur sprach, die es brauche, um beim Klimaschutz voranzukommen?! So sei die „Zeit des Pillepalle“ angeblich vorbei. Ab dem Jahr 2021 soll es nun mit dem Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) neben dem europäischen Emissionshandelssystem (EU-ETS) für Strom und Teile der Industrie einen CO2-Preis für Heizen und Verkehr in Deutschland geben – trotz der wirtschaftlichen Folgen durch Corona. Und das ist richtig so. Aber reicht das?

Löschen? Das Haus steht in Flammen, die Regierung baut am Wintergarten

Wer die in Flammen stehenden Wälder in Brasilien und Australien, die gegenwärtige Hitzewelle in der Arktis, die den Permafrost zum Tauen bringt, verfolgt oder die trotz punktuellen Regens anhaltende Dürre in Landwirtschaft und Wäldern in Deutschland, wird sagen: Nein, es reicht bei Weitem nicht! Die wirklich disruptiven Veränderungen drohen durch unumkehrbare Kipppunkte im Klimasystem. Und zwar deswegen, weil die Politik es weiterhin scheut, disruptive Maßnahmen zu ergreifen, die Schluss mit einer Wirtschafts- und Lebensweise machen, die die Zerstörung des Planeten zur Folge hat. Folgt man dem Sachverständigenrat für Umweltfragen, muss Deutschland spätestens im Jahr 2038 klimaneutral sein. Die angesichts von COVID-19 in vielerlei Hinsicht erhobene Forderung, dass wir resilienter werden müssen, gilt nirgends mehr als in der Klimakrise! Was heißt das für den CO2-Preis?

Wie die EU-Ratspräsidentschaft genutzt werden sollte

Erstens: Auf dem Weg zu einer EU-weiten CO2-Bepreisung kann ein CO2-Mindestpreis im bestehenden EU-ETS helfen. Selbst wenn dieser erst einmal nur für die Stromerzeugung gelten würde, könnte Deutschland bis 2030 so allein 200 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Der von Union und SPD vorgesehene teure Kohleausstieg würde marktwirtschaftlich abgesichert und beschleunigt. Großbritannien hat es so mit einem „Carbon Price Floor“ innerhalb von fünf Jahren geschafft, die Stromerzeugung aus Kohle von 25 auf null Prozent herunter zu fahren. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft muss aktiv den Weg für eine solche Reform des EU-ETS im Rahmen des Green Deal bereiten.

Zweitens: Gleichzeitig sollte die Marktstabilitätsreserve (MSR), die zur Absicherung des Zertifikatepreises im EU-ETS eingeführt wurde, um überschüssige Emissionsberechtigungen vom Markt zu nehmen, zu einer Preisstabilitätsreserve (PSR) ausgebaut wird. Damit würden sich die Schwellenwerte nicht mehr nur an der Menge der Zertifikate, sondern an deren Preis orientieren und nicht mehr unter ein Mindestniveau absinken. Gleichzeitig würde ausgeschlossen, dass eine Stärkung der MSR der Wirksamkeit eines Mindestpreises im Wege steht. Bundesumweltministerin Schulze und ihr niederländischer Parteikollege und EU-Vizepräsident Timmermans irren, wenn sie glauben, dass es die MSR allein in Sachen Klimaschutz richten kann.

Drittens: Die Instrumente müssen an die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens geknüpft werden. Das gilt erst recht für einen Emissionshandel und die Anzahl der Zertifikate. Wer wie die FDP aus der Opposition aber heraus meint, der Weg zu einem über alle Sektoren volatilen Emissionshandel in der EU sei kurz, hat die Rechnung nicht nur ohne den Wirt, sondern auch ohne Regierungserfahrung gemacht. Nicht nur, dass 27 EU-Mitgliedsstaaten zusammengebracht werden wollen. Die nächste Revision der EU-Emissionshandelsrichtlinie steht erst für Juni 2021 auf dem Programm.

Gerade deshalb ist es so wichtig, dass sich die Bundesregierung angeführt vom Bundeskanzleramt und mit Unterstützung von Finanzministerium und Umweltministerium während der Ratspräsidentschaft mit dem nötigen Engagement widmet, um Mindestpreis und einheitliche Preise konsequent und entscheidungsreif voranzutreiben. Die größte Gefahr dabei: Das sich innerhalb der Bundesregierung niemand zuständig fühlt, weil die fehlende Priorität auf der Umsetzung und andere Themen wie die Corona-Folgen, die mittelfristige EU-Haushaltsplanung und eben die Klimaziele in ferner Zukunft wichtiger sind. Vom Totalausfall des Bundeswirtschaftsministers Peter Altmaier (CDU) bei der Energiewende einmal abgesehen, der erst monatelang blockiert, um dann Schmalspurkompromisse wie beim PV-Deckel als großen Durchbruch abzufeiern.

BEHG: Politische Missgeburt, Sonderweg, bürokratischer Moloch und womöglich verfassungswidrig

Dazu passt dann, dass dieselbe Kanzlerin im September 2019 in Bismarckscher Manier bei der Verkündigung des Klimaschutzprogramms 2030 davon sprach, Politik sei das, was möglich ist. Das Ergebnis dieser Sichtweise ist das BEHG für Heizen und Verkehr. Ein in Europa einmaliger Sonderweg, der nicht nur in einem bürokritischen Moloch zu Enden droht, sondern auch in der Verfassungswidrigkeit. Allein 14 Verordnungen braucht es, die politische „Missgeburt“ zur Umsetzung zu bringen.

Und aus welchem Grund: Damit vor allem die CSU weiter felsenfest behaupten kann, dass es sich dabei nicht um eine böse „Steuer“, sondern um einen Emissionshandel handelt. Als ob ein Festpreis-Emissionshandel wie das BEHG de facto nicht wie eine Steuer wirkt. Die Kanzlerin selbst hatte die Behauptung, es handele sich beim BEHG nicht um eine Steuer, bei der Pressekonferenz zum KSP 2030 im Übrigen vom Tisch gewischt, in dem sie anmerkte, dass das BEHG „am Anfang natürlich kein marktwirtschaftlicher Mechanismus“ sei. Und das auch noch, obwohl die „Wirtschaftsweisen“ in ihrem Sondergutachten die Behauptung widerlegt hatten, dass eine Steuer kein marktwirtschaftlicher Ansatz ist, denn Steuer wie Emissionshandel wirken, bei richtiger Ausgestaltung (!), gleich.

Lerneffekte bei der Union? Fehlanzeige.

Ausnahmen ohne Ende, zweites Debakel a la Pkw-Maut oder ökonomische Grundlage?

Nicht der Festpreis-Emissionshandel an sich ist daher das Problem, sondern der Weg der Umsetzung. In einer Kombination aus CO2-Mindestpreis im EU-ETS, der Fortentwicklung der MSR zur PSR und einer verfassungskonformen Energiesteuerreform statt eines möglichen verfassungswidrigen Festpreis-Emissionshandels läge der wirksamere, schnellere, unbürokratischere und rechtssicherere Weg zu einer einheitlichen CO2-Bepreisung über alle Sektoren in Europa.

Das sehen auch einige Mitglieder des Bundestages, viele Unternehmen und Branchenbündnisse so. Und das werden erst recht zahlreiche der über 4.000 Verpflichteten im BEHG so sehen, die Klage gegen ihre Rechtsbescheide erheben werden, die ihnen im nächsten Jahr zugehen. Dann droht nicht nur eine Klagewelle, die die Politik mit zahlreichen Ausnahmen zulasten der Lenkungswirkung für den Klimaschutz versuchen wird aufzufangen, sondern auch die Rückabwicklung des ganzen BEHG-Instrumentes a la Pkw-Maut. Das könnte nicht nur ebenfalls sehr teuer werden für den Bund, sondern auf Jahre den CO2-Preis als Instrument verbrennen.

Noch hat die Bundesregierung die Chance zu retten, was zu retten ist. Aber die Zeit läuft. Das gilt für eine Erde in einem für den Menschen lebenswerten Zustand wie für die Fortentwicklung des CO2-Preises. Spätestens in der nächsten Legislaturperiode braucht es dann eine Regierung und Abgeordnete im Deutschen Bundestag, die Willens sind, Maßnahmen zu ergreifen, mit denen die Ziele wirklich zu erreichen sind, am besten gesetzlich festgeschrieben.

Je weiter die von der Union angeführten Regierungen aber warten, umso mehr Disruptionen wird es geben. Ob disruptive politische Entscheidungen oder durch die Folgen der Klimakrise. Nur mit dem Unterschied, dass Letztere den Planeten nicht in einem lebenswerten Zustand erhalten werden.

Das Entscheidungsfenster der Politik über die Wahl der politischen Mittel wird von Tag zu Tag kleiner. Der Corona-Lockdown sollte uns eine Lehre sein. Denn ein Klima-Lockdown wird wesentlich drastischere Folgen haben. Die Zeit, dass die deutsche EU-Ratspräsidentschaft die einheitliche CO2-Bepreisung konsequent und entscheidungsreif voranbringt, läuft.

 




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