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KommentarWarum Klimaschutz mehr denn je den Druck der Zivilgesellschaft braucht

Zwei Jugendliche auf einer Demo. Einer hält ein Plakat hoch auf dem steht: "The Climate changes, why don´t we"
Zum letzten Globalen Klimastreik im September 2022 kamen allein in Berlin 36.ooo Menschen. Kommen dieses Mal mehr? (Bild: Petra Franke)

Heute ist mal wieder Klimastreik. Aber braucht es den überhaupt noch, ist Klimaschutz nicht eh schon allgegenwärtig? Von wegen – ein Kommentar.

03.03.2023 – Es ist wieder einmal Freitag, es ist wieder Klimastreik. Nicht eine der „normalen“ Ausgaben, die ja irgendwie schon zum bundesrepublikanischen Alltag gehören, sondern die Global-Version, die quer durch Deutschland und weltweit möglichst viele Menschen für eine lebenswerte Zukunft auf die Straße bringen will. Abgesehen davon, dass es ziemlich verquer ist, dass man für dieses Ziel überhaupt demonstrieren muss, stellt sich die Frage, ob Klimastreiks eigentlich noch zeitgemäß sind.

Schließlich ist die Beteiligung nach den riesigen Aktionen von 2019, die ja auch ein (leider zunächst vollkommen unzureichendes) Klimaschutzgesetz erzwungen haben, in den folgenden Coronajahren ziemlich zurückgegangen. Außerdem haben wir mit Pandemie-Nachwirkungen, staatlichen Überfällen in der europäischen Nachbarschaft und der resultierenden Energiekrise doch ohnehin genug andere Sorgen.

Und schließlich machen doch eh alle und überall Nachhaltigkeit, sagt zumindest die Werbung, und es gibt ja sogar ein eigenes Klimaschutzministerium, das, grün geführt, sich doch sicher um alles kümmern wird. Läuft also – oder?

Feelgood-Klimaschutz statt wirklicher Transformation

Schön wär’s: Klimaschutz ist als Thema zwar tatsächlich längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, nicht zuletzt wegen der beharrlichen Aufmerksamkeitsarbeit von Fridays for Future und verbündeter Organisationen. Die für wirksame Emissionsreduktion notwendigen Transformationen werden aber weiterhin oft aufgeschoben, verwässert, zerredet, blockiert.

Nur zwei aktuelle Beispiele: Die hysterischen Debatten um das Nutzungsverbot fossiler Kraftstoffe für Neu(!)wagen in 12 Jahren (!) oder um den Pflichtanteil Erneuerbarer Energien bei neuen (!) Heizungen ab 2024 machen sehr deutlich, wie abwehrend und manipulierend Teile von Medien und Politik reagieren, wenn tatsächlich einmal tiefgreifendere Transformationen im Sinne der Erdgesundheit umgesetzt werden sollen.

Zumal es dabei um Entscheidungen geht, die Expert:innen längst angemahnt haben und über die sich übrigens auch die aktuelle Regierungskoalition eigentlich längst einig war. Die allgegenwärtigen Klimaschutzbekenntnisse werden so schnell zur holen Phrase.

Zwei Schritte vor, einer zurück: Energiewende im Krisenmodus

Und leider ist es auch beileibe nicht so, dass wir in Sachen Energiewende schon auf voll auf Kurs wären. Die durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelöste Energiekrise des Jahres 2022, welche durch die nachlaufenden Tarifanpassungen jetzt erst bei vielen Verbraucher:innen fühlbar wird, hat zwar hoffentlich das Bewusstsein dafür geschärft, dass die Erneuerbaren DIE Lösungstechnologie für vielerlei Herausforderungen unserer Zeit sind.

Zum weiteren Ausbau sind durchaus schon viele gute Grundlagen gelegt worden und das Wirtschaftsministerium bemüht sich sehr ernsthaft, die ambitionierten Pläne Realität werden zu lassen. Dennoch hat die Krisenbekämpfung zunächst zu Rückschritten auf dem ohnehin nicht sauber orientierten Pfad geführt: Die Energiepreisbremsen brachten neben den unstrittig notwendigen Entlastungen leider auch große Unsicherheiten für den Erneuerbaren-Ausbau, durch die aus Versorgungssicherheitsgründen wieder ans Netz gegangenen Kohlekraftwerke wird der Energiewirtschaftssektor erstmals die gesetzlichen Klimaschutzziele verfehlen und mit dem Aufbau der (in Teilen leider noch notwendigen) LNG-Terminals samt zugehöriger Pipelines drohen enorme neue fossile Infrastrukturen sowie entsprechende Lock-in-Effekte. Vom Wärme- und Verkehrssektor – die Dauer-Sorgenkinder in Sachen Klimaschutz – will ich hier gar nicht anfangen.

Lützerath als Engagementverstärker für den Klimaschutz

Es wird also sehr deutlich: Wir sind keineswegs so gut in der Spur, wie man sich vielleicht selbst gerne einredet oder einreden lässt. Und die Zeit für wirksames Umsteuern wird immer weniger. Schon jetzt wird das eigentlich fixe 1,5-Grad-Ziel kaum noch zu erreichen sein. Und statt der absolut richtigen Erkenntnis, dass auch darüber hinaus jedes Zehntelgrad weniger Erwärmung entscheidend ist, scheint oft die bequeme Hoffnung auf magische Zukunftstechnologien wie Kernfusion und CCS, die eben keine Anpassungen unserer bisherigen Wirtschafts- und Lebensweisen notwendig machen würden, handlungsleitend.

Jedes Einstehen für mehr Klimaschutz im Hier und Jetzt, für wirkliche Veränderung und Weiterentwicklung, ist also hochwillkommen und dringend benötigt. Insbesondere die Zivilgesellschaft muss den Druck aufrecht erhalten bzw. erhöhen, um ein Gegengewicht zu den vielfach sichtbaren Beharrungskräften zu bilden und den an vielen Stellen durchaus veränderungsaufgeschlossenen Politiker:innen – die es übrigens genau wie die Bremser:innen parteiübergreifend gibt – den Rücken zu stärken.

Denn Zustimmung und Wahlerfolge sind nun einmal die klingende Münze, in der Politik gehandelt wird. Daher braucht es viel Unterstützung und noch mehr Anschieben für den zumindest zaghaft betretenen Transformationspfad. Klimastreiks eignen sich dabei sehr gut als Kristallisationspunkt für die zahlreichen Stimmen, die eben nicht Gegenwart statt Zukunft, sondern Gegenwart für Zukunft gestalten wollen.

Die Proteste von Lützerath aus dem Januar können hier als (erneutes) Aufbruchssignal verstanden werden. Denn obwohl die Abbaggerung des Dorfes ja ein eher regionales Thema war (auch wenn die resultierenden Emissionen natürlich uns alle angehen) und obwohl die äußeren Bedingungen keineswegs besonders demonstrationsfreundlich waren, haben die  vielen tausend Menschen vor Ort ein klares Zeichen gesetzt, dass Klimaschutz eben kein nettes Nebenbei-Thema ist, sondern das sowohl völkerrechtlich als auch national verbindlich formulierte 1,5-Grad-Ziel Richtschnur allen politischen Handelns sein muss. Dieses Aufbruchssignal wird hoffentlich am heutigen Freitag verstärkt – und durch weitere friedliche Aktionen, überzeugte Debatten und entschiedenes politisches Handeln fortgeführt.

Ich jedenfalls freue mich darauf, heute vor dem Bundeswirtschaftsministerium mit den Berliner Kolleg:innen auch mal wieder jenseits des Schreibtischs für mehr Klimaschutz einzustehen. Zumindest mir geht es dabei keineswegs um Fundamentalkritik, aber der bislang zu vorsichtig eingeschlagene Veränderungskurs muss bestärkt und beschleunigt werden, wenn Klimaschutz wirksam organisiert werden soll. Dazu will ich beitragen. Und ich hoffe, dass auch eine Vielzahl anderer Menschen in ganz vielen Orten des Landes an diesem Klimastreik-Freitag ebenfalls unterstreichen, wie notwendig, wie dringend und wie willkommen der Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter ist.


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Wachstumskritiker 06.04.2023, 22:09:58

2023 finden zwei wesentliche Konferenzen zur Postwachstumsökonomie statt.

Diese Veranstaltungen beinhalten Klimagerechtigkeit sowie Klimaneutralität und bringen Wissenschaftler*Innen, Aktivist*Innen, Zivilgesellschaft und Politiker*Innen zusammen:

 

Beyond Growth in Brüssel 15.-17.5. https://www.beyond-growth-2023.eu/

Themen:

- Grenzen des Wachstums, vom BIP-Wachstum zum sozialen Wohlstand

- Grenzen des Ressourcenverbrauchs

- Aufbau eines makroökonomischen Steuerungsrahmens

- Macht wirtschaftlicher Modelle

- Wachstumsnarrativen entgegentreten

- Klimaneutralität

- Vom Wohlfahrtsstaat zum sozial-ökologischen Staat

- Besteuerung als Instrument ökologischer und sozialer Gerechtigkeit

- Care Economy

- 4-Tage-Woche

- verträgliche Energiewirtschaft

- „Blue Doughnut“

- Biodiversität

- Zyklozän

- feministische Finanzpolitik

 

9. internationale Degrowth-Konferenz in Zagreb 29.8. bis 2.9. https://odrast.hr/

Themen:

- emanzipatorischer Internationalismus

- Resilienzaufbau durch Degrowth

- Feministische, dekoloniale, antirassistische und antiableistische Ökologien

- Hegemoniale Weltbilder und Degrowth-Horizont

- Künstlerische Ökologien und ökosoziale Praktiken

- Kommunizieren von Degrowth innerhalb eines konsumorientierten gesunden Menschenverstandes

- Technologie und Wissenschaft für Degrowth

- Klima(un)gerechtigkeit

- Transformationale Klimapolitik

- Alternative Ökonomien


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