Menü öffnen

Flusslandschaft OderSalze und Hitze sind Gefahrencocktail

Auenlandschaft flaches Gewässer, Bäume, Wiesen
Auenlandschaft im Nationalpark Unteres Odertal. Auenlandschaften sind komplexe und sensible Ökosysteme. (Foto: Toxictony420 auf Wikimedia / CC BY-SA 4.0)

Der Bericht der Gewässerökologen zum Zustand der Oder verzeichnet stark dezimierte Fischbestände. Zwar könnten sich die meisten Populationen wieder regenerieren. Jedoch droht auch die sehr reale Gefahr, dass sich die Katastrophe wiederholt.

04.07.2023 – Das massenhafte Fischsterben an der Oder im letzten Jahr hat Flussanrainer, Fischer, Gewässerökologen und Umweltschützer schockiert. Eine Sonderuntersuchung des Bundesumweltministeriums wurde angeordnet und nun erste Zwischenergebnisse zum Zustand der Oder veröffentlicht.

Die Fischbestände haben sich infolge der Umweltkatastrophe stark dezimiert. Ursächlich für das Fischsterben war das Zusammentreffen mehrerer Umweltbedingungen: große Mengen salzhaltiger Einleitungen aus dem polnischen Bergbau, Hitze und Niedrigwasser. Diese Konstellation führte zu einer massenhaften Vermehrung einer Brackwasseralge, die für Fische und Weichtiere tödliche Toxine entwickelt. Hinzu kommen Flussbauarbeiten auf polnischer Seite – der Ausbau der Oder ist ein zusätzlicher Risikofaktor.

Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) hat Fischbestände, Fremdstoffe im Fluss, aber auch die Algenausbreitung umfangreich untersucht. Aussagen zur Dezimierung der Fischbestände sind deshalb möglich, weil das IGB seit 1999 regelmäßig größere Abschnitte der Oder mit einem Schleppnetz befährt. Die gefangenen Fische werden an Bord nach Art und Geschlecht identifiziert, gewogen und vermessen. Anschließend werden die Tiere vorsichtig in den Fluss zurückgesetzt. Mit einer anderen Methode werden die Fischbestände in den Uferräumen erfasst.

Mehr als die Hälfte der Fische fehlt

Nach Schätzungen des IGB sind bis zu 1.000 Tonnen Fisch im Fluss verendet. Die Mittlere Oder ist deutlich stärker betroffen als die Untere Oder, was wahrscheinlich an der geringeren Wasserführung und dem kleineren Flussquerschnitt liegt.

Die Befischungen zeigen, dass die in der Flussmitte lebenden Arten stärker gelitten haben als ufergebundene Arten. Um 53 bis 67 Prozent sind die Fischbestände in der Strommitte zurückgegangen. Die Fischarten Güster, Stromgründling und Ukelei, aber auch Aland, Barbe, Kaulbarsch und Quappe erlitten besonders hohe Verluste (86 bis 100 Prozent).

Muscheln und Schnecken sind durch die Umweltkatastrophe ebenfalls stark dezimiert. Die Auswirkungen des Massensterbens werden noch über Jahre spürbar sein, da vor allem Großmuscheln nur sehr langsam wachsen. Zudem fehlt nun im Ökosystem die Filtrierleistung der Muscheln, die sonst Nährstoffe und auch Algen aus dem Wasser filtern.

Hoffnung auf Erholung

Obwohl diese Ergebnisse alarmierend sind, gibt es auch Anzeichen dafür, dass sich die Fischbestände innerhalb einiger Jahre erholen könnten – vorausgesetzt, die Katastrophe wiederholt sich nicht. Denn trotz der teilweise starken Bestandseinbrüche ist keine Fischart vollständig aus der Oder verschwunden. Auch große Laichfische konnten nachgewiesen werden. Das feuchte Frühjahr hat zudem sehr gute Bedingungen für die Fortpflanzung geschaffen, etwa weil Auenwiesen überflutet wurden und so als wertvolle Laichplätze und Brutaufwuchsgebiete zur Verfügung standen.

Die Jungfische aus dem Frühjahr brauchen nun zwei bis drei Jahre, um heranzuwachsen und sich fortzupflanzen. Erst wenn dies ungestört möglich ist, könnten sich die Bestände tatsächlich erholen. Besorgniserregend ist in diesem Zusammenhang, dass der Bau längerer und höherer Buhnen zugunsten der Schifffahrt die flusstypischen Sohlen- und Uferlebensräume der Oderfische zerstört.

Brackwasseralge Prymnesium im gesamten untersuchten Flussverlauf nachgewiesen

Die Alge Prymnesium parvum, auch Goldalge genannt, ist ebenfalls Gegenstand aktueller Untersuchungen am IGB. Einleitungen salzhaltiger Abwässer in die Oder ermöglichten im Sommer 2022 eine Massenentwicklung dieser Brackwasseralge. Sie kann ein Gift produzieren, das für Fische, Muscheln, Schnecken und andere Algen tödlich ist.  Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat mit eigenen Probeentnahmen auf polnischer Seite hohe Salzkonzentrationen in Zuflüssen der Oder gemessen – sie stammen vor allem aus dem Bergbau.

Als Folge der Massenentwicklung hat sich diese Alge inzwischen im gesamten untersuchten Flusslauf etabliert. Das belegen Wasserproben von 20 Untersuchungsstellen, die das IGB monatlich nimmt und molekularbiologisch analysiert. Die Konzentration der Alge ist im Vergleich zum Vorjahr noch gering, nimmt aber aktuell wieder stark zu. Seit März hat sie sich vervielfacht, und das entlang der gesamten Oder auf deutschem Gebiet. Die vom Menschen beeinflussten Umweltbedingungen sind demnach immer noch günstig für die Alge und es besteht daher die latente Gefahr einer erneuten Massenentwicklung.

Die Dynamiken der Giftbildung sind allerdings noch unzureichend bekannt und werden im Rahmen der laufenden Untersuchungen erforscht. Dabei wird auch das Genom der Alge untersucht, denn dieses ist sehr variabel. Die verschiedenen Genotypen wachsen vermutlich bei unterschiedlichen Umweltbedingungen und bilden unterschiedliche Toxine.

Die Oder nicht ausbauen und Salzeinleitungen stoppen

Da Prymnesium parvum auf einen erhöhten Salzgehalt angewiesen ist, sehen es die Forschenden des IGB als dringlich an, die Einträge salzhaltiger Abwässer in das Flusssystem der Oder deutlich zu reduzieren. Auch weniger Einträge von Pflanzennährstoffen und Schadstoffen würden das Risiko einer erneuten Massenentwicklung der Brackwasseralge verringern. Wegen der bestehenden Gefahr einer Wiederholung der Umweltkatastrophe in der Oder ist es außerdem wichtig, die vorhandenen Rückzugs-, Laich- und Aufwuchsgebiete der natürlichen Fischfauna zu erhalten.

Um die Widerstandsfähigkeit des Flusses zu stärken, ist im Zuge der Klimakrise außerdem eine veränderte Bewirtschaftung empfehlenswert. Ein Umschwenken auf naturbasierte Lösungen bei Flussbau und Hochwasserschutz könnte zum Beispiel den Rückhalt von Wasser und Schadstoffen unterstützen und wasserabhängige Lebensräume sichern. Das wäre u.a. für die Wasser- und Landwirtschaft und somit für die Menschen vor Ort von zentraler Bedeutung. Davon profitieren könnten zudem die Fischerei und die nachhaltige touristische Entwicklung in der Region.

Umweltministerin Steffi Lemke sagte anlässlich der Vorstellung des Zwischenberichts: „Jede weitere Belastung der Oder hätte dramatische Folgen, und das für einen sehr langen Zeitraum. Das betrifft letztlich nicht nur die Lebewesen im Fluss, sondern auch die Menschen, die an und mit der Oder leben. Deshalb müssen auf der polnischen Seite sowohl die Salzeinleitungen angepasst als auch der Ausbau der Oder gestoppt werden. Die Wissenschaft zeigt uns auf, dass dies zur Erholung und Renaturierung der Oder unerlässlich ist."

Baltischer Stör soll wieder in der Oder heimisch werden

Trotz der Umweltkatastrophe wird das Programm zur Wiederansiedlung des baltischen Störs in der Oder fortgesetzt. Der imposante Wanderfisch ist vom Aussterben bedroht. Rund 20.000 Jungtiere der seltenen Art waren im Sommer 2022 infolge der Umweltkatastrophe verendet. Sie lebten in zwei Aufzuchtstationen, die mit  Oderwasser betrieben werden, damit sich die Tiere besser an ihr neues Heimatgewässer gewöhnen können. Dieser Vorteil wurde ihnen im August 2022 zum Verhängnis: Beide Anlagen waren von der giftigen Alge Prymnesium parvum betroffen, die sich zuvor massenhaft in der Oder ausgebreitet hatte. Die Jungstöre verendeten, weil es am Fluss kein funktionierendes Warnsystem gab.

In der Oder müssen sich die kleinen Störe nicht nur vor Raubfischen wie Wels, Zander und Hecht in Acht nehmen. Im Laufe ihrer Wanderung drohen den Stören weitere anthropogene Gefahren, etwa durch die Fischerei, durch Kollisionen mit der Schifffahrt oder durch Saugbaggerarbeiten in der Fahrrinne des Flusses. Insbesondere durch den geplanten Ausbau der Oder geht den Stören und anderen Fischarten im Fluss Lebensraum verloren. Schon seit 2007 besetzen die am Programm beteiligten Partner jährlich Störe in die Oder – bisher insgesamt rund 3,5 Millionen Tiere, im gesamten Ostseeraum sind es inzwischen etwa 6 Millionen. pf
 


Mehr zum Thema


Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben


Name: *
E-Mail: *
(wird nicht veröffentlicht)
Nicht ausfüllen!


Kommentar: *

(wird nicht veröffentlicht)
max 2.000 Zeichen


energiezukunft