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VerkehrswendeWohnen und arbeiten (fast) ohne Auto

Park mit Bäumen und dahinter ein Wohn- und Bürokomplex
Wohnen mit Blick aufs Grüne, abgeschirmt von der lauten Straße durch einen Bürokomplex. (Bild: (c) HOWOGE, Rentsch)

Klimafreundliche Mobilitätsangebote für Häuser und Quartiere in ganz Deutschland, ist das Ziel eines breiten Bündnisses. In Berlin-Lichtenberg kann man beobachten, wie so etwas aussehen kann. Insgesamt bereiten Bund und Länder aber noch viele Hürden.

21.11.2022 – An der lauten, vielbefahrenen Frankfurter Allee in Berlin erhebt sich seit seiner Fertigstellung im letzten Jahr ein 68 Meter hohes weißgetünchtes Hochhaus, mit weiteren angrenzenden Gebäudekomplexen. Während diese Front für Büros und Gewerbetreibende gebaut wurde, beginnt direkt dahinter, abgeschirmt von der verkehrsreichen Straße, ein großes Wohnareal mit 251 Mietwohnungen. Draußen donnern Autos auf vier Spuren in jede Richtung vorbei, drinnen laden die Außenbereiche der Wohnkomplexe zum Verweilen ein, mit viel Grün und Spielplätzen. Autos, auch parkende, findet man vor der Wohnungstür nicht, wie ein Rundgang durch das Areal verdeutlicht.

Das liegt an einem durchdachten Mobilitätskonzept, dass das kommunale Wohnungsunternehmen HOWOGE konzipiert hat. Es gibt 145 Autoparkplätze in einer Tiefgarage, viele davon mit Ladebuchsen für E-Autos ausgestattet. Genutzt werden diese Parkplätze etwa zu gleichen Teilen von Bewohner:innen und Nutzer:innen des Bürokomplexes, von denen viele Mitarbeiter:innen der HOWOGE sind, die in dem Komplex ihren Geschäftssitz hat.

Deutlich mehr Platz bieten die Gebäude Fahrrädern. Allein in der Tiefgarage gibt es 60 Stellplätze, die per Rampe oder Aufzug erreichbar sind und für die HOWOGE-Mitarbeiter:innen zudem Lademöglichkeiten für E-Fahrräder haben. Dazu kommen noch einmal so viele Stellplätze im Innenhof und viele weitere Parkmöglichkeiten für Fahrräder in Räumen der Wohngebäude. „Die HOWOGE hat über 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an diesem Standort und wir haben 16 Autostellplätze. Dabei sind Gästestellplätze schon inkludiert. Und wenn Sie nicht nur der geschäftsführenden Elite einen Stellplatz geben wollen, dann haben Sie schon da ein Thema, das Sie erklären müssen“, sagt Ulrich Schiller, Geschäftsführer der HOWOGE.

Wer das Fahrrad in einem Quartier wie diesem hier etablieren wolle, der müsse auch die entsprechenden Angebote schaffen, so Schiller. Dabei gehe es auch darum, Alternativen über das eigene Fahrrad hinaus zu bieten, wie Sharing-Lösungen für Autos, Lastenräder und Fahrräder, sowie die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. An der Etablierung von Sharing-Lösungen arbeitet die HOWOGE derzeit. Die Anbindung an den ÖPNV ist bei dem Büro- und Wohnkomplex bereits gegeben. Einmal über die Straße befinden sich S-Bahn-, U-Bahn- und Tramstation „Frankfurter Allee“.

Eine Charta für „Intelligente Mobilität im Wohnquartier“

Ein derart dichtes Nahverkehrsnetz wie in Berlin ist jedoch nicht überall gegeben. Um Wohnen und klimafreundliche Mobilität in Berlin und ganz Deutschland enger zu verzahnen, haben rund 50 Akteure, von Wohnungsbauunternehmen, Kommunen und Mobilitätsdienstleistenden, über Architekt:innen und Stadplanenden, bis hin zu zivilgesellschaftlichen Organisationen, eine Charta für „Intelligente Mobilität im Wohnquartier“ unterzeichnet. Initiator der Charta ist der Verkehrsclub Deutschland (VCD), der sich im Rahmen des Projekts „Bundesweites Netzwerk Wohnen und Mobilität" seit vielen Jahren dafür einsetzt, klimafreundliche Alternativen zum eigenen Auto im Wohnumfeld zu schaffen.

Eine gute Mobilitätsentscheidung könne man nur dann treffen, wenn Alternativen zum klimaschädlichen Auto einfach und bequem verfügbar sind, konstatiert der VCD. Dies müsse auch im ländlichen Raum möglich sein, dort wo sich ein dichter ÖPNV-Takt schwer realisieren lässt und weite Entfernungen der Fahrradnutzung Grenzen setzen. In der Charta schlagen die Unterzeichnenden unter anderem die Etablierung von Anrufbussen und Sammeltaxis vor, die bereits erfolgreich erprobt wurden. Der getaktete ÖPNV, der „Grund- und Mittelzentren verbindet und an die Obergrenzen anschließt“, bilde jedoch, laut Charta, das Rückgrat der nachhaltigen Mobilität im ländlichen Raum, und müsse von Bund und Ländern deutlich stärker finanziell gefördert werden.

Es gelte zudem für die politisch Verantwortlichen gesetzgeberisch tätig zu werden. „Fußgänger, Radfahrer und der ÖPNV müssen in Baugesetzen inkludiert werden“, fordert Thomas Mager, VCD-Bundesvorstand. In einigen Landesbauordnungen müssten etwa Stellplatzbauverpflichtungen flexibilisiert und das Vorhalten nachhaltiger Mobilitätsangebote als gleichwertig anerkannt werden. Während Berlin eine verpflichtende Anzahl von Autostellplätzen bei Bauvorhaben abgeschafft hat, gilt in einigen Bundesländern weiterhin diese Verpflichtung. Voran schreitet hingegen Bremen, die ein „innovatives Mobilitätsmanagement statt Kfz-Stellplätze“ im Mobilitätsbaugesetz vorschreiben. Je nach Lage im Stadtgebiet müssen demnach deutlich mehr Angebote für Auto-, Fahrrad- und Lastenradsharing, oder auch vergünstigte Tickets für den ÖPNV für die künftigen Bewohner:innen inkludiert werden als private Autostellplätze.

Eine neue Straßenverkehrsordnung

Grundsätzlich fordern die Unterzeichner:innen der Charta auch, die durch Bundesgesetz geregelte Straßenverkehrsordnung neu zu gestalten. Dadurch könnten zum Beispiel Parkraumbewirtschaftung, Ansiedlung von Sharing-Diensten und Temporeduktionen für Länder und Kommunen erleichtert werden. Das wünscht sich auch Meike Niedbal, Staatsekretärin im Berliner Senat für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz: „Ob das die Bustreifen oder Fahrradwege sind, ob das Tempo 30 ist, überall muss nachgewiesen werden, ob es dafür einen Grund, wie eine Gefahrenlage, gibt, anstatt das ganze mehr in Vorsorge zu betrachten.“

Angesichts der steigenden Emissionen im Verkehrsbereich müssen Bund und Länder bei der Verkehrswende deutlich schneller vorankommen. Deutschlandweit macht der Verkehr inzwischen ein Fünftel der gesamten Emissionen aus, in Städten wie Berlin sind es sogar ein Drittel. Niebdal will sich dafür einsetzen bei künftigen Bauprojekten in Berlin noch stärker darauf zu achten, dass Inhalte der Charta „Intelligente Mobilität im Wohnquartier“ abgebildet werden. Gemeinsam mit einer Reform der Straßenverkehrsordnung und beschleunigtem Ausbau von Fahrradwegen, ÖPNV und Sharing-Angeboten, könnte auch eine vierspurige Straße mit vorbeidonnernden Autos auf der Frankfurter Allee einmal Geschichte sein. Manuel Grisard


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