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Ernährung und LandwirtschaftAufstand gegen die Lebensmittelverschwendung

Mehrere Menschen stellen sich mit Bannern an einer Kreuzung Autos entgegen.
Bereits früh am Morgen blockierten Aktivist:innen die Auffahrt von Stadtautobahnen in Berlin. (Bild: Aufstand der letzten Generation)

Millionen Tonnen genießbare Lebensmittel landen jedes Jahr auf dem Müll. Die Ampel-Koalition will diese Verschwendung bald angehen. Klimaaktivist:innen geht das nicht schnell genug. Mit Straßenblockaden fordern sie ein sofortiges Essen-Retten-Gesetz.

25.01.2022 – Im Berliner Norden und Süden blockierten gestern mehrere Menschen die Auffahrten zu Autobahnen. Die Aktionen waren Teil der Kampagne "Essen Retten – Leben Retten", hinter der die Gruppe "Aufstand der letzten Generation" steht. Nach einem Hungerstreik einiger Aktivist:innen für einem wirksamen Einsatz der Politik gegen die Klimakrise und einem Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz, hatte die Gruppe die sofortige Umsetzung von Maßnahmen gegen Lebensmittelverschwendung und für eine echte Agrarwende gefordert.

Solange die Politik diese Problemfelder nicht aktiv angehe, werde man ab Januar Autobahnen blockieren, um „die Bundesrepublik zum Stillstand zu bringen, bis die Regierung handelt“, kündigte die Gruppe im November letzten Jahres an. Gestern setzte sie die Ankündigung erstmals um und blockierte Auffahrten der Berliner Stadtautobahnen A114 in Pankow und A103 in Steglitz. Videos auf Twitter zeigen, wie die Polizei wiederholt Demonstrant:innen von der Straße zerrte. Einige Personen wurden zudem in Gewahrsam genommen.

Carla Hinrichs, Pressesprecherin von “Essen Retten – Leben Retten” sagte: „In Deutschland sind 1,6 Millionen Menschen auf die Tafeln angewiesen für ihre Lebensmittel. Und gleichzeitig werden 30 Prozent aller Lebensmittel hierzulande weggeworfen. Das ist kompletter Irrsinn! Und mit dem Klimawandel werden Lebensmittel die nächsten Jahre noch knapper werden. Wir sehen uns deswegen gezwungen, die Bundesregierung an ihre Verantwortung zu erinnern.“

Zudem ist der CO2-Fußabdruck immens. Wie die Verbraucherzentrale mitteilt, verursacht vermeidbarer Lebensmittelmüll in der Europäischen Union die gleiche Menge klimaschädlicher Gase, wie die gesamte Niederlande pro Jahr freisetzt. Und der WWF Deutschland schätzt, dass durch vermeidbare Lebensmittelverluste eine Fläche von über 2,6 Millionen Hektar eingespart werden könnte. Das wären fast 15 % der gesamten Fläche, die wir in Deutschland für unsere Ernährung benötigen.

Ankündigungen sind da

Die neue Bundesregierung hat angekündigt das Problem anzugehen. „Wir werden gemeinsam mit allen Beteiligten die Lebensmittelverschwendung verbindlich branchenspezifisch reduzieren, haftungsrechtliche Fragen klären und steuerrechtliche Erleichterung für Spenden ermöglichen.“ So steht es im Koalitionsvertrag. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir unterstrich gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland Ende vergangenen Jahres dieses Vorgehen.

Man wolle die Lebensmittelverschwendung in der gesamten Wertschöpfungskette - vom Feld bis zum Handel – reduzieren, so Özdemir. Es reiche nicht, weiter auf freiwillige Vereinbarungen zu setzen, wie es die Vorgängerregierung gemacht habe. Özdemir hält auch die Strafbarkeit von Containern, also das Herausnehmen von weggeworfenen Lebensmitteln aus Supermarkt-Abfallcontainern, für absurd.

Die Gruppe Aufstand der letzten Generation machte in den letzten Wochen wiederholt mit Container-Aktionen gegen diese Strafbarkeit aufmerksam und fordert, dass große Supermärkte verpflichtet werden sollten noch genießbares Essen zu spenden. Dies müsse Teil eines ganzen Gesetzespaket sein, für den die Organisation GermanZero einen Vorschlag erarbeitet hat.

Bei den Spenden sollten Supermärkte nur beim Vorsatz grober Fahrlässigkeit haftbar gemacht werden. Zusätzlich zum Spenden sollten Supermärkte dazu verpflichtet werden, die Abfallvermeidung zu stärken, zum Beispiel durch eine bessere Lagerhaltung und das Kennzeichnen von Produkten kurz vor dem Verfallsdatum. Zudem müsste das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) reformiert und etwa bei langlebigen Produkten, wie Reis, Nudeln oder Zucker, abgeschafft werden. Auch dürfte das MHD nicht unnötig früh gesetzt werden, um etwa bei saisonalen Produkten wie Weihnachts- und Osterschokolade den Konsum für das nächste Fest zu steigern.

Doch ein Drittel des angebauten Obstes und Gemüses landet erst gar nicht im Supermarkt, weil es zum Beispiel in Form und Größe nicht den Vermarktungsnormen entspricht. Im Gesetzesvorschlag wird hier gefordert, dass Deutschland sich auf EU-Ebene dafür einsetzen solle, dass diese Vermarktungsnormen reformiert werden. Unternehmen sollen demnach privatrechtliche Normen und Verträge für Lieferanten im Hinblick auf die Verursachung von Lebensmittelabfällen überprüfen.

Den Druck aufrechterhalten

Mit einem solchen Gesetzespakt, als Essen-Retten-Gesetz tituliert, wäre eine Entkriminalisierung des Containerns unter Umständen gar nicht mehr nötig. Auf Anfrage der energiezukunft sagte Clara Hinrichs: „Wenn die Regierung unserer Forderung nach einem Essen-Retten-Gesetz nachkommt, werden wir unsere Störungen unterbrechen.“ Doch damit wäre erst ein erster Schritt begangen. Man werde immer wiederkommen, wenn die Regierung ihren Job, unsere Lebensgrundlagen zu schützen, nicht mache und unsere Zukunft aufs Spiel setze, so Hinrichs.

Neben einem Essen-Retten-Gesetz fordert die Gruppe "Aufstand der letzten Generation" innerhalb der ersten 100 Tage der neuen Bundesregierung gesetzliche Maßnahmen für eine echte Agrarwende bis 2030. Dabei orientiert sich die Gruppierung an den Empfehlungen des Bürgerrat Klima zur Agrarwende. Der zivilgesellschaftlich organisierte Bürgerrat, der sich aus einem repräsentativen Querschnitt der Gesellschaft zusammensetzte, hatte im Juni 2021 über 80 Empfehlungen an die Politik für mehr Klimaschutz erarbeitet.

Allein 19 Empfehlungen konzentrierten sich dabei auf die Ernährung. Mit einer Umschichtung der Subventionen müsse etwa die klimafreundliche Landwirtschaft gegenüber der konventionellen gestärkt und insgesamt weniger Fleisch- und Milchprodukte produziert und konsumiert werden. Bildung in dieser Hinsicht müsse gefördert werden und jeder Mensch sollte sich eine gute Ernährung leisten können, sowie Bäuerinnen und Bauern besser entlohnt werden. mf


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