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Nachgefragt
13. September 2021

Der Wahlkampf geht total an den Fakten vorbei

Seit dem 30. August fordern junge Menschen mit einem Hungerstreik eine wirksame Bekämpfung der Klimakrise. Aus Protest gegen die „vollständige Ignoranz“ ihres Anliegens im Triell setzen seit heute fünf Hungernde selbst den verdünnten Vitaminsaft ab, der bislang eine minimale Nahrungszufuhr bieten sollte. Wir haben mit zwei Aktivist:innen gesprochen.

Hannah Lübbert (Organisationsteam) und Simon Helmstedt (Hungerstreikender)

Hannah Lübbert (Organisationsteam) und Simon Helmstedt (Hungerstreikender)
Simon Helmstedt und Hannah Lübbert nebeneinander sitzend
Simon Helmstedt, 22 Jahre, und Hannah Lübbert, 20 Jahre (Bild: Andreas Schug)

Wie geht es euch nach rund zwei Wochen im Hungerstreik? Das ist ja ein intensiver Prozess.

Simon: Bei mir ist es ein absolutes Auf und Ab. Teilweise bin ich voller Kraft, als hätte ich normal gegessen. Andere Male ist es, als läge alle Last wie bei Atlas auf meinen Schultern und jede Bewegung ist eine große Willensanstrengung. Emotional bin ich seit dem fünften Tag in eine tiefe innere Ruhe gekommen. Ich weine mal, aber ich rege mich nicht auf. Das habe ich noch nie so gespürt.

Hannah: Wir im Organisationsteam sind von morgens bis abends beschäftigt. Manchmal frage ich mich, wo meine ganze Energie herkommt. Natürlich ist es belastend zu sehen, wie die Hungernden jeden Tag schwächer werden, aber es tut auch gut, für die richtige Sache aktiv zu sein.

Warum macht ihr diesen Hungerstreik? Warum macht ihr das in dieser extremen Form?

Simon: Weil es notwendig ist.

Inwiefern?

Simon: Da kann ich jetzt mit wissenschaftlichen Fakten argumentieren, dass wir noch drei Jahre Zeit haben, um auch nur die Chance zu haben, unter zwei Grad Erderwärmung zu bleiben. Und dass effektiv noch nichts getan wird, aber … warum tue ich das? Weil ich eine große Liebe zum Leben habe. Für mich ist das Leben wie ich es lebe mit all seinen Höhen und Tiefen unglaublich wertvoll. Gerade die Klimakrise wird die Lebens-Chancen unfassbar massiv einschränken, und sie tut es schon jetzt. Es ist ein Kampf dagegen, dass in 20 Jahren in Europa Hungersnöte herrschen. Denn genau diese prognostiziert der IPCC-Bericht, wenn wir jetzt nicht handeln.

Hat die Klimabewegung nicht schon viel erreicht?

Hannah: Realpolitisch gesehen kann man sagen, dass die Klimabewegung noch nichts gewonnen hat. Klar haben wir das Bewusstsein von Menschen verändert und es bewegt sich viel unter der Oberfläche, aber die Emissionen steigen weiter. Es könnte nicht um mehr gehen als um diese fundamentalste Sache: „Wird es in Zukunft Leben auf diesem Planeten geben?“ Das ist so unverhandelbar, dass Aufgeben keine Option sein kann. Also ist das Einzige was bleibt, stärkere Mittel zu wählen, die einen stärkeren Einsatz erfordern. Ich merke, dass viele Leute überrascht und aufgerüttelt sind, dass wir diese Methode des Hungerstreiks gewählt haben. Doch wenn man die Klimabewegung seit längerer Zeit verfolgt, hätte man sich denken können, dass solch eine Protestform das logische Mittel, der logische nächste Schritt infolge des politischen Nichthandelns ist. Wir jungen Menschen haben die letzten Jahre gezeigt: Zum Aufgeben sind wir nicht bereit. Wenn man nicht handelt als Politik, dann trägt man aktiv dazu bei, dass wir uns radikalisieren müssen.

Simon, wie kam es zu dem Entschluss, diesen Schritt tatsächlich zu gehen?

Simon: Von dem Hungerstreik erfahren habe ich durch Mephisto (Anm.: Eine der Hungerstreikenden). Zuerst habe ich gedacht, wow!, ein Hungerstreik, krass … ich nicht! Erst als ich auch für mich gemerkt habe, das ist jetzt der nächste logische Schritt habe ich es in Erwägung gezogen. Eine Woche lang habe ich überlegt, mit meiner Mutter geredet, mit meiner besten Freundin geredet. Meine Mutter hält dies nicht für das richtige Mittel, aber angesichts der immer schlimmer werdenden Folgen der Klimakrise habe ich mich schließlich aktiv dafür entschieden.

Simon, warum reicht Dir ziviler Ungehorsametwa mit Kreuzungsblockadennicht aus?

Simon: Hungerstreik ist ja nach dem renommierten Forscher Gene Sharp
auch ein Mittel des zivilen Ungehorsams. Und obwohl Fridays For Future sagt, wir machen keinen zivilen Ungehorsam, haben sie die Schulpflicht missachtet. Das ist also auch ziviler Ungehorsam. Dass das noch nicht reicht, sagen nicht wir, sondern das zeigt das weitere Steigen der Emissionen.

Was fordert ihr?

Hannah: Wir haben zwei zentrale Forderungen. Erstens ein Gespräch mit den drei Kanzlerkandidat:innen. Das soll zwei Stunden dauern und live übertragen werden Der Grund ist: wir sehen zwar, dass im Wahlkampf viel über Klima geredet wird, aber das geht total an den Fakten vorbei. Es wird überhaupt nicht thematisiert, dass keines der Parteiprogramme ausreicht, um die Klimakrise aufzuhalten – obwohl das der wichtigste politische Fakt dieser Tage sein sollte. Deshalb verlangen wir, dieser Dramatik und Dringlichkeit der Fakten in einem ehrlichen Gespräch ins Auge zu blicken. Wie soll man eine Politik machen, die auf die Wissenschaft hört, wenn man sich gar nicht mit der Wissenschaft beschäftigt?

Als Zweites fordern wir in der nächsten Legislaturperiode einen Bürger:innenrat einzurichten. Dieser soll über die Maßnahmen entscheiden, die jetzt zum Schutz des Klimas notwendig sind. Er sollte auch über regenerative Landwirtschaft sprechen, weil diese ein enormes Potenzial hat, CO2 wieder im Boden zu binden. Ansonsten wollen wir keine Vorgaben machen. Das ist auch unsere Stärke. Wir sagen eben nicht: „Wir wissen wie der Hase läuft“, sondern wir glauben, dass die Bevölkerung selbst eine ambitionierte Klimaschutzpolitik ausarbeiten kann. Sie muss nur die Chance dazu bekommen.

Daraus spricht sehr viel Vertrauen in solch einen Rat.

Hannah: Das ist unter anderem empirisch belegt. Es gab schon erfolgreiche Experimente mit Räten aus der Bevölkerung. Aus Dänemark und Frankreich wissen wir, dass in den Räten viel ambitioniertere Maßnahmen erarbeitet wurden, als die Regierung das getan hat. Nur hat man in Frankreich gesehen, dass diese Empfehlungen nicht umgesetzt wurden.

Ist das kein Grund, an der Wirksamkeit eines Rates zu zweifeln?

Hannah: Fakt ist auch, dass Politik vom Lobbyismus zersetzt ist. Ein Bürger:innenrat ist alleine dadurch besser in der Lage, notwendige Politik zu machen, weil es nicht den Drehtüreffekt mit der Wirtschaft gibt, den wir gerade in der Politik sehen.

Simon: Ein weiterer Punkt ist, dass die Politik immer auf kurzfristige Wiederwahl hinarbeitet und sie Angst haben, dass sie Wählerstimmen verlieren. Die Politik macht Vier-Jahres-Politik. Sie leben und arbeiten für die Wahl und nicht für die Menschen.

Wie verbindlich sollen die Ergebnisse des Bürger:innenrates denn sein?

Hannah: Wir fordern, dass es keine Lippenbekenntnisse sind, sondern dass dieser Bürger:innenrat tatsächlich die Macht hat Dinge zu entscheiden. Sonst wäre es wieder nur Symbolpolitik. Das wäre das Letzte was wir jetzt brauchen.

Wie haben die Spitzenkandidat:innen bisher auf Euren Hungerstreik reagiert?

Hannah: Wir wissen, dass Scholz und Baerbock davon wissen und wir vermuten, dass Laschet das wegen der vielen Medienberichte auch tut. Scholz hat über uns gesagt, er fände es blöd und wir sollten aufhören. Er setze sich ja mit seinem tollen Parteiprogramm dafür ein, dass Deutschland 2045 klimaneutral wird. Das ist absurd, denn 2045 genügt nicht. Wir wissen von wissenschaftlichen Berechnungen, dass Klimaneutralität 2032 erreicht werden muss und die nächsten drei Jahre entscheidend sind. Insofern hat er uns darin bestärkt, dass dieser Hungerstreik notwendig ist.

Baerbock hat uns angerufen und gesagt, wir sollten bitte was essen, sie mache sich Sorgen. „Ja“, haben wir gesagt, „wir machen uns auch Sorgen – um unsere Zukunft.“ Wir würden aufhören, wenn unsere Forderungen erfüllt sind. Darauf ist sie leider nicht eingegangen. Wir verstehen das nicht.  Gerade wenn die Grünen so viel für den Klimaschutz machen wollen, wie Baerbock uns auch gesagt hat, warum haben sie dann Angst vor diesem Gespräch?

Gibt es auch bundesweite Solidaritätsaktionen?

Simon: In Berlin sind wir ja gerade sechs Hungerstreikende, plus einem Menschen, der zurzeit nicht im Camp ist, weil er weiter arbeitet. Ansonsten wissen wir von drei weiteren Hungerstreikenden in Bonn, Hannover und Schwerin. Auch sonst gibt es überall Unterstützung, zum Beispiel gehen Umweltgruppen zu Wahlkampfveranstaltungen, halten Banner hoch und stellen Fragen, warum die Kanzlerkandidat:innen nicht auf unsere Forderungen eingehen.

Ruft ihr denn selbst zum Hungerstreik auf?

Hannah: Nein, das  machen wir immer wieder klar, es ist eine sehr riskante Aktionsform, ganz besonders, wenn man unvorbereitet ist. Es gibt ein großes Team aus Ärzt:innen und Psycholog:innen, das uns vorbereitet hat und begleitet. Wir glauben, dass es viele andere Formen gibt, aktiv zu werden.

Zum Beispiel?

Simon: Jeder Mensch sollte meiner Meinung nach politisch aktiv werden. Ich meine, dadurch können wir die Welt verändern. Jeder progressive Wandel wurde durch politischen Aktivismus von der Straße aus erkämpft. Der kam nicht von Leuten, die sagten „jetzt geben wir ein bisschen Macht ab“. Nein, wir haben uns immer wieder Macht erkämpft, und jetzt müssen wir das auch tun.

Das Interview führte Andreas Schug


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Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Frederic 14.09.2021, 19:59:17

Ich bin als langjähriger Naturstrom-Kunde und Unterstützer einer konsequenten Politik gegen den Klimawandel fassungslos, wie unkritisch und oberflächlich dieses Interview ist.

Wer ist Andreas Schug?

Die Grundsatzfrage, ob dieser Erpressungsversuch demokratisch, rechtmäßig und zielführend ist, wird überhaupt nicht diskutiert. Erpressung und Nötigung können keine Maßnahmen in einem demokratischen Rechtsstaat sein. Es ist doch völlig naiv zu glauben, Politiker:innen könnten auf Erpressungsversuche eingehen. Dann nähme sie doch niemand mehr ernst. In den 70er-Jahren hat sich die BRD-Regierung von Terroristen erpressen lassen und das hinterher bereut.

Bürgerräte sind im Grundgesetz nicht vorgesehen und eine mögliche Repräsentativität wäre fraglich erreichbar.

Nicht zuletzt muss man sich auch überlegen, ob der Staat in Zukunft auch auf rechte oder anti-ökologische Erpressungen eingehen müsste. Wir wissen natürlich, dass wir die Guten sind. Was machen wir, wenn Rechte das von sich auch glauben und Erpressungen für rechtmäßig halten? Kämpfen wir einen Bürgerkrieg darum, wer Recht hat? Oder lassen wir eine demokratisch gewählte Mehrheit entscheiden, auch wenn es schwer ist, deren (bisher) mangelnde Einsicht zu akzeptieren?

Wir sind leider eine Minderheit - die Mehrheit will Auto fahren und in den Urlaub fliegen und wählt dementsprechend. Also können wir nur weiterhin versuchen, sie zu überzeugen. Erpressung ist undemokratisch.

Ich wünsche den Hungerstreikenden Einsicht, einen Abbruch des Streiks und gute Besserung!

Dr. Fritz Binder-Krieglstein 18.09.2021, 08:09:08

Wer Andreas Schug ist, wissen wir nicht. Aber, Frederic, er hat seinen Namen publiziert, Du nicht.

 

Die Streikenden sind im Recht, sage ich als studierter Jurist, weil das, was seit 20 Jahren im Westen als Demokratie vorgespielt wird, keine ist, sondern höflich formuliert eine "Eliten-Demokratie". Details liefert z.B. das Buch von Prof. Rainer Mausfeld "Warum schweigen die Lämmer" sowie dessen Vorträge (Youtube).

Im Kern beweist er, dass die Geld/Machtkonzentration in Händen von Eliten der Politik vorgibt, was zu geschehen hat oder nicht.

Seit über 20 Jahren hauptberuflich für die Energiewende tätig stimme ich vielen Energieexperten zu, die feststellen: Dies gilt insbesondere im fossil-atomar beherrschten Energiesektor, und zwar global. Ich nenne dieses System Energiemonopolitik, das erfolgreich bis zum heutigen Tag einen Kurzwechsel auf Klimarettung konsequent zu verhindern versteht, weisen die aktuellen IEA.Zahlen nach: https://www.oekonews.at/?mdoc_id=1166875&fbclid=IwAR0iaLgd9mPToSvWW_RHQNOJ83A1ZP3fOUbRUkVxQiqFDNJmBeUgAwMRrt8


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