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Atomare Abhängigkeit von RusslandEnergiesicherheit ist mit Atomkraft nicht zu machen

Kühlturm
Europa braucht einen Atomausstieg – nur mit Erneuerbaren ist ein nachhaltiges, resilientes und sicheres Energiesystem möglich. (Bild: Amort1939 / pixabay)

Atomenergie drängt Ökostrom aus dem Netz und verzögert den Energiesystemwandel. Die fossile Energiekrise lässt die Atomdebatte jedoch in den Hintergrund treten. Dabei wird Europas atomare Abhängigkeit von Russland deutlich unterschätzt.

11.04.2022 – Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs wird öffentlich auch in Deutschland die Frage nach Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke gestellt. Hinter dem Vorschlag steht die Idee, Atomstrom sei im Vergleich zum Verbrennen fossiler Kraftstoffe grün, unabhängig von Russland, und könne zumindest als Brücke dienen, um eine nachhaltige Energieversorgung mit Erneuerbaren Energien aufzubauen.

Rein technisch gesehen bremst Atomkraft die Energiewende und den Wandel hin zu einem auf Erneuerbare Energien ausgerichteten Energiesystem jedoch aus. Atomenergie taugt auch nicht als Energiebrücke, denn sie ist nicht flexibel einsetzbar. Zudem wird übersehen, dass Europa auch für den Betrieb von Kernkraftwerken von Russland abhängig ist, besonders von Nukleartechnik und Uran. Nachhaltig für Umwelt und Gesellschaft ist sie durch die ungeklärte Endlagerfrage, die immensen Gefahren des Betriebs und Abhängigkeit von stabiler Infrastruktur in Krisenzeiten sowie die Verstrickung mit der Atomwaffenindustrie ebenfalls nicht.

Atomstrom kann die Gaslücke nicht füllen

Die Bundesregierung hat Änderungen am Atomausstieg bereits geprüft und abgelehnt. Das hat gute Gründe. Der Atomausstieg ist in Deutschland zum einen schon zu weit fortgeschritten, um einen sicheren Weiterbetrieb zu gewährleisten. Grundlegende Rahmenbedingungen für den Weiterbetrieb von AKW wären nicht gegeben: Eine Rechtsgrundlage fehlt ebenso wie Brennstoff, Fachpersonal und Ersatzteile für Wartung und einen fachgerechten Betrieb.

Zum anderen kann Atomkraft die durch europäische Sanktionen drohende Gaslücke nicht füllen. In Deutschland werden etwa 188 TWh Gas genutzt. Allerdings wird nur aus etwa 70 TWh ausschließlich Strom gewonnen. Rund zwei Drittel, nämlich 120 TWh erzeugen sowohl Strom als auch Wärme – Fernwärme für Heizungen, warmes Wasser oder Prozesswärme für die Industrie. Diese Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) könnte Atomstrom also gar nicht ersetzen.

Atomkraft bremst Erneuerbare

Auch als Energiebrücke ist Atomkraft nicht geeignet. Denn Atomenergie ist träge – sie lässt sich kaum flexibel hoch- oder herunterregeln. Ihre Produktionsweise ist zu unflexibel – und drängt gerade deshalb im Zweifel Ökostrom aus dem Netz. Denn zu Zeiten hoher Einspeisung kann die von den Atomkraftwerken gelieferte Strommenge nicht einfach gedrosselt werden. Um das Netz nicht zu überlasten, werden dann stattdessen die flexiblen Erneuerbare-Energien-Anlagen zeitweise abgeregelt. So gehen große Mengen Ökostrom für Verbraucher verloren – und das System ändert sich nicht.

Frankreich will eine Atomenergie-Renaissance einleiten und sowohl alte Meiler verlängern als auch neue Atomkraftwerke bauen. Doch Laufzeitverlängerungen würden Erneuerbare Energien weiter ausbremsen. Eine Studie des Analyseinstituts Energy Brainpool im Auftrag von Green Planet Energy belegt und quantifiziert diesen Bremseffekt im Energiesystem nun mit aktuellen Zahlen.

Die Laufzeitverlängerungen in Frankreich allein würden demnach dazu führen, dass im Beispieljahr 2030 in Frankreich, Spanien und Deutschland mehr als zwei Milliarden Kilowattstunden Ökostrom aus dem Netz gedrängt würden. Dies entspricht einer Strommenge, die über eine halbe Millionen Haushalte über ein Jahr versorgen könnte. Die Menge an vergeudeten Ökostrom würde damit um rund 12 Prozent oder um 2.160 Gigawattstunden (GWh) im Vergleich zu den regulären Laufzeiten anwachsen.

Atomkraft macht abhängig

Die Europäische Union produziert nur etwa 0,5 Prozent des für seine Atomkraftwerke benötigten Urans selbst. Im Jahr 2020 lieferte Russland der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald und Ecodefense zufolge 2.545 Tonnen Uran in die EU. Damit stellt Russland etwa 20 Prozent des in der EU genutzten Urans. Weitere 20 Prozent werden aus Niger importiert, 19 Prozent aus Kasachstan, 18 Prozent aus Canada, 13 Prozent aus Australien und 8 Prozent aus Namibia.

Dabei hat Russland enormen Einfluss auf Kasachstan und die Minen im Niger und in Namibia sind in chinesischem Besitz. Experten des Öko-Instituts weisen deshalb darauf hin, dass die Bezugsquellen lediglich divers scheinen. De facto könnte die Abhängigkeit Europas von Russland bei der Kernenergie sogar noch größer sein als beim Gas. Sie werde bloß nicht diskutiert.

Neben Uran wird in der EU auch russische Atomtechnik genutzt. Das Öko-Institut berichtet, dass etwa ein Viertel der Urananreicherung für europäische Atomkraftwerke sowie Teile der Brennelementfertigung in Russland stattfinden. Bulgarien, die Tschechische Republik, Finnland, Ungarn und die Slowakei betreiben zudem AKW russischer Bauart und manche von Ihnen sind vollständig von russischen Brennelementen abhängig.

Atomkraft ist von Sanktionen ausgenommen

Das staatliche russische Atomunternehmen Rosatom ist zudem tief mit verschiedenen europäischen Atomunternehmen verstrickt – finanziell, technisch, und bei der Endlagerung von Atommüll. Rosatom ist aktiv am Ukraine-Krieg beteiligt und laut der International Atomic Energy Agency (IAEA) im von Russland eingenommenen AKW Saporischschja vor Ort.

Dem Profit Russlands von der Atomindustrie zum Trotz sind wirtschaftliche Aktivitäten um die Kernenergie nicht in die Sanktionen der EU gegen Russland eingeschlossen, auch nicht in das jüngste, umfassende Energieembargo.

Für Vladimir Slivjak, Gründer von Ecodefense und Preisträger des Right Livelihood Award ist dies nicht nachvollziehbar. „Offensichtlich hat Rosatom keine Skrupel, sich am Nuklearterrorismus zu beteiligen und gibt grünes Licht für den Beschuss von Kernkraftwerken und Atommüll-Lagern“, so  Slivjak. „Es ist geradezu kriminell, weiterhin Reaktoren und Uran von diesem Unternehmen zu kaufen. Schlimmer noch: die europäischen Unternehmen beteiligen sich de facto an der Bedrohung Nr. 1 für die nukleare Sicherheit und den Frieden in Europa sowie im Rest der Welt.“ Julia Broich


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