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Europäische UnionLieferkettengesetz droht zu scheitern

Fünf Demonstranten halten Schilder gegen die FDP hoch
Demonstrant:innen vor der FDP-Parteizentrale in Berlin Mitte (Bild: DIE LINKE, flickr, CC BY 2.0 Deed)

Befeuert von der Industrieslobby stellt sich die FDP auf EU-Ebene plötzlich gegen das Lieferkettengesetz. Doch für Wirtschaftsexperten ist die Kritik am geplanten Gesetz unbegründet.

29.01.2024 – Nach langen Verhandlungen zwischen den EU-Institutionen wurde Mitte Dezember 2023 eine Einigung für ein neues EU-Lieferkettengesetz verkündet. Ein Gesetz, dass Unternehmen dazu verpflichtet Maßnahmen zu ergreifen, wenn die Wertschöpfung in Teilen ihrer Lieferkette Menschenrechte, Klima und Umwelt gefährdet. Unter das Gesetz fallen grundsätzlich EU-Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten sowie einem globalen Nettoumsatz von mehr als 150 Millionen Euro. In Branchen mit besonders hohem Schadenspotenzial liegt die Grenze bei 250 Mitarbeiter:innen und 40 Millionen Euro. Diese Unternehmen sollen bei Verstößen zivilrechtlich haftbar gemacht werden können.

Doch seit Anfang des Jahres liefen Wirtschaftskräfte vermehrt Sturm gegen das geplante Lieferkettengesetz. Die Kritik entzündete sich vor allem an der Nicht-Berücksichtigung der sogenannten Safe-Harbour-Klausel. Diese war im Verhandlungsprozess zwischenzeitlich in Erwägung gezogen worden und hätte Unternehmen die Möglichkeit gegeben, bislang genutzte private Standards als Nachweis erfüllter Sorgfaltspflichten geltend zu machen. Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen kritisierten, dass diese Industriestandards nicht geeignet seien die Anforderungen einschlägiger Menschenrechts- und Umweltstandards wirksam umzusetzen.

Arbeitgeberverbände warnen vor Wirtschaftseinbußen

In der abschließenden Einigung von Mitte Dezember fand sich diese Klausel aber nicht wieder. Was von NGOs begrüßt wurde, rief bei Industrie- und Branchenverbänden Entrüstung hervor. Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) und die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) etwa schrieben am 07. Januar 2024 an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, die Bundesregierung solle sich im EU-Rat für die Safe-Harbour-Regelung einsetzen. Und der Verband Gesamtmetall schrieb: „Rückt Deutschland nun von der Forderung nach einer Haftungsprivilegierung von Brancheninitiativen ab, entwertet die Bundesregierung damit das Engagement von Unternehmen und Verbänden.“

Laut Recherchen von Correctiv ist das Schreiben vom Verband Gesamtmetall auf den 14. November 2023 datiert. Zwei Monate später am 14. Januar, veröffentlichte die FDP ihren Beschluss zum Lieferkettengesetz. Darin steht, im ähnlichen Wortlaut: „Bedauerlich ist, dass es nicht gelungen ist, die Haftungsregelungen durch eine Privilegierung (Safe Harbour) abzumildern.“ Bereits frühere Recherchen von Correctiv und ZDF deckten auf, dass sich die FDP nach Einfluss von Lobbyverbänden auf europäischer Ebene für die Safe-Harbour-Klausel eingesetzt hatte.

Neben dieser Klausel listet die FDP, ganz im Einklang mit den Forderungen der Industrie- und Branchenverbänden, weitere Gründe auf, die aus ihrer Sicht gegen das EU-Lieferkettengesetz sprechen: So würde die Haftungsregel die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Wirtschaft bedrohen, die bürokratischen Hürden und Belastungen würden erhöht, mittelständische Unternehmen würden übermäßig belastet und es bestehe die Gefahr, dass sich Unternehmen aus Zuliefererländern zurückziehen und dadurch dem dortigen Arbeitsmarkt schaden.

Expertinnen sehen das anders

Dem widersprechen Wirtschaftsexpertinnen. Sarah Jastram, Professorin für Internationale Wirtschaftsethik und Nachhaltigkeit an der Hamburg School of Business Administration, sagt: „Ich denke, dass die Unternehmen vor einem Rückzug aus einem Land zunächst erstmal den Druck auf die Zulieferer erhöhen würden, damit es nicht zu Haftungsfällen kommt. Und darin besteht ja auch die Hoffnung, dass hierdurch Wandel in den Zuliefererunternehmen ausgelöst wird. Zulieferer, die in einer bestimmten Qualität, Menge und Zuverlässigkeit liefern können, sind nicht einfach zu finden. Insofern haben die Unternehmen ein großes Interesse, die Beziehungen zu den Lieferanten zu halten, sofern dies möglich ist.“

Zudem würden Schutz von Menschenrechten und nachhaltige Innovation in internationalen Wertschöpfungsketten für führende Unternehmen längst zur zentralen Unternehmenspositionierung gehören. Gleichwohl sei schon jetzt, im Rahmen vielfältiger Anforderungen, der Bürokratieaufwand enorm. Daher müsste in einem EU-Lieferkettengesetz der Aufwand vereinfacht werden. Julia Hartmann, Professorin für Management und Nachhaltigkeit an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Oestrich-Winkel, sieht durch ein einheitliches europäisches Gesetz Vorteile. Da in verschiedenen EU-Ländern bereits Gesetze zu Nachhaltigkeitsstandards gelten, bestehe hier die Chance einer Harmonisierung von Regelungen, was die Umsetzung für die Wirtschaft deutlich vereinfachen würde.

„Eine Erleichterung wäre das Gesetz auch für Lieferanten. Heute müssen diese oft zahlreiche unterschiedliche Fragebögen ausfüllen und Angaben machen. Oft überschreiten die Anforderungen der Kunden ihre Kapazitäten. Einheitliche Anforderungen, zumindest von Seiten ihrer europäischen Kunden, würde ihre Arbeit erleichtern“, so Hartmann. Ohne ein Lieferkettengesetz seien zudem die Unternehmen im Nachteil, die sich bereits für nachhaltige Lieferketten engagieren und das sei vor allem der Mittelstand. Bei der Erfassung nachhaltiger Standards spiele auch zunehmend künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle, die die Arbeit für Unternehmen erleichtere. Schließlich habe auch die Corona-Krise gezeigt, dass Unternehmen mit Nachhaltigkeitsstandards deutlich krisenresilienter sind. Entsprechende Firmen verursachen zudem deutlich geringere Emissionen. In Zeiten steigender Kosten im Emissionshandel sei das ein klarer Kostenvorteil. mg


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