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KlimaschutzWarum sich Osteuropa gegen eine klimaneutrale EU stemmt

Bild Eines Kohlekraftwerks mit vielen rauchenden Schlöten. Davor eine Tagebaulandschaft.
In Bełchatów, Polen, steht das größte und schmutzigste Kohlekraftwerk Europas. (Foto: Greenpeace Polska / flickr.com, CC BY-ND 2.0)

Klimaneutral bis 2050, das wollen 18 Staaten der EU. Auch Deutschland spricht sich inzwischen dafür aus. Doch eine Einigung scheiterte jüngst an Polen, Tschechien, Ungarn und Estland. Warum ist das so? Es geht um Gas, Öl, Kohle und jede Menge Geld.

25.06.2019 – Kurz vor dem EU-Gipfel letzte Woche schwenkte auch Deutschland auf die Klimaschutzinitiative anderer Mitgliedsstaaten ein. Die Europäische Union soll nach dem Willen vieler spätestens 2050 klimaneutral wirtschaften. Neue Produkte und Dienstleistungen sollen den Anteil an Treibhausgasen in der Atmosphäre nicht mehr erhöhen. Bislang hatte Deutschland eine entsprechende Resolution im Europäischen Rat gebremst. Und trotzdem konnte das Gremium der Staats- und Regierungschefs wieder einmal keine Einigung bei dem Thema erzielen.

Denn die osteuropäischen Staaten Polen, Tschechien, Ungarn und Estland stellten sich vergangenen Donnerstag gegen den Beschluss die Europäische Union bis 2050 klimaneutral zu machen. Da die Einstimmigkeit fehlte, verkam ein entsprechender Passus im Abschlussbericht zur Randnotiz. Doch warum stellen sich die Länder gegen eine Verpflichtung zum klimaneutralen Wirtschaften 2050? Ein Blick in die Länder und deren politisch Verantwortlichen gibt Antworten.

1. Das Kohleland Polen

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki machte bereits im Vorfeld der Verhandlungen in Brüssel klar, dass eine entsprechende Verpflichtung für Polen nicht in Frage komme. "Wir haben schon jetzt verbindliche Klimaziele durch das Pariser Abkommen", so Morawiecki. Er vermisse zudem eine ernsthafte Analyse der Folgekosten. Länder wie Polen befänden sich in einem ökonomischen Transformationsprozess. Eine entsprechende Verpflichtung sei riskant, ohne ersichtlichen Finanzausgleich.

Und tatsächlich ist Polens Energiewirtschaft zu gut 80 Prozent von der Kohle abhängig. Vor allem die Förderung von Braun- und Steinkohle ist nach wie vor ein wichtiger Faktor. Etwa 100.000 Jobs hängen direkt am Abbau der Kohle. Zum Vergleich: In Deutschland sind es ca. 20.000, die insgesamt im Kohlegeschäft tätig sind. Vor allem im Süden Polens gibt es manche Reviere, die fast ausschließlich von Kohleabbau und -verstromung leben. Mächtige Gewerkschaften haben dort entscheidenden politischen Einfluss.

Doch gleichzeitig sterben allein in Polen jährlich 45.000 Menschen an den unmittelbaren Folgen der hohen Luftverschmutzung. Denn Kohle wird dort nicht nur im großen Maßstab in Kraftwerken verfeuert, sondern ist auch das bevorzugte Heizmittel in vielen Privathaushalten. Eine forcierte Energiewende und Strukturwandel scheinen nötig. Dazu bedarf es jedoch der Hilfe der Europäischen Union. Polen sollte daher stärker mit der EU zusammenarbeiten für ein klimaneutrales Europa, so würden auch höhere Strukturfördermittel winken.

2. Tschechiens Rückschritt zu fossiler Energie

Im Gegensatz zu Polen hatte Tschechien einmal einen Boom Erneuerbarer Energien zu verzeichnen. 2010 war die Tschechische Republik führend in der Erzeugung von Solarenergie in Europa. Finanziell wurde regenerative Energie seit 2005 durch Prämien und garantierte Preise gestützt. Doch gleichzeitig sinkende Preise für Photovoltaik führten zu einem solchen Boom, dass die Energieversorger den Strom aus Erneuerbaren zu hohen Preisen verkaufen mussten und die Verbraucher damit zusätzlich belasteten, wie die Heinrich-Böll-Stiftung analysiert.

Dies führte zu einem erheblichen Imageschaden regenerativer Energie in Tschechien. Förderprogramme wurden 2013 eingestellt. Politik und Energieversorger fahren seitdem wieder eine konservative Linie und bauen auf Kohle- und Atomstrom. Und der tschechische Staat hält fast 70 Prozent der Anteile am größten Energiekonzern des Landes ČEZ. Der unter Korruptionsverdacht stehende tschechische Premierminister Andrej Babiš verwies beim Treffen der Staats- und Regierungschefs Europas derweil auf die Verantwortung anderer globalen Großmächte. Seiner Meinung nach sollte die EU nicht solche radikalen Veränderungen vollziehen, wenn gleichzeitig Staaten wie China nicht nachziehen würden.

3. Ungarns staatliche Kontrolle

Wie in Polen und Tschechien, versuchen auch in Ungarn die politisch Verantwortlichen, um Ministerpräsident Victor Orban, die Kontrolle und Macht über den Energiemarkt des Landes zu halten. Dabei wurde in den letzten Jahren vermehrt in die Solarenergie investiert, sodass sich die installierte Leistung von PV-Anlagen zwischen 2014 und 2018 von 77 auf 480 MW erhöhte. Möglich machten dies unter anderem Fördergelder aus der EU, die jedoch vorrangig für staatliche Solarprojekte verwendet wurden, wie Recherchen von euractiv zeigen.

Und gleichzeitig sind Kernkraft, Kohle und Gas noch immer die bestimmenden Faktoren der ungarischen Energieversorgung. Allesamt Energieträger, die unter staatlicher Kontrolle sind und mit denen sich gleichzeitig gute Geschäfte machen lassen. So versucht Ungarn eine Schlüsselposition um Erdgasvorkommen im Schwarzen Meer vor der Küste Rumäniens zu ergattern. Aufgrund seiner geostrategischen Lage will Ungarn sich als Hauptverteiler des Gases nach Westeuropa positionieren.  

4. Estland und das Ölschiefer

Doch es geht noch schlimmer, zumindest in Sachen Klimaschutz. Laut dem Klimaschutzindex von Germanwatch, befindet sich Estland noch hinter Polen, Tschechien und Ungarn. Mit 16 Tonnen Treibhausgasemissionen Pro-Kopf landet der baltische Staat auf Platz drei aller EU-Länder. Zum Vergleich: Das „Kohleland“ Polen kommt auf 11 Tonnen.

Schuld an der gravierenden estnischen Schieflage ist Ölschiefer. Dieser besonders klimaschädliche Energieträger ist für 90 Prozent der dortigen Stromversorgung verantwortlich und wird von der staatseigenen Eesti Energia bereitgestellt. Das Öl wird im Tagebau aus Sedimentgestein abgebaut und ist in Estland in großen Mengen vorhanden. Dabei liegt der Heizwert unter dem von Braunkohle, während die Verbrennung von Ölschiefer mehr CO2 verursacht, als jeder andere Primärbrennstoff. Und um bei der Energieversorgung weiterhin unabhängig zu bleiben, will Estland auch in Zukunft nicht auf ihren Ölschiefer verzichten. mf


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