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Bauwirtschaft im WandelKlimabilanz beim Bauen muss in den Fokus rücken

Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam
Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam: PIK-Forscher setzen auf Holzbau gegen die Klimakrise. (Foto: Marco Verch Professional Photographer / Flickr / CC BY 2.0)

Gebäude müssen laut Gesetz energieeffizienter werden – doch die Klimabilanz der Baumaterialien wird noch zu wenig beleuchtet. Im Hinblick auf Klima- und Energiekrise sowie knappe Ressourcen ist die Zeit reif für einen Wandel in der Bauwirtschaft.

24.10.2022 – Der Gebäudesektor in Deutschland verfehlte im vergangenen Jahr wiederholt die zulässigen CO2-Emissionen. Die klimapolitische Herausforderung im Wärmesektor ist enorm. Bis 2030 soll der Ausstoß an Klimagasen gegenüber 2020 um über 40 Prozent gesenkt werden. In Anbetracht der Energiekrise legte das Bundeswirtschaftsministerium im Juli eine Reform der Förderung von Sanierungen vor.

Doch von Branchenexperten hagelte es Kritik. Verbesserungen des Wärmeschutzes und der Anlagentechnik würden künftig deutlich weniger attraktiv gefördert, wohingegen Investitionen in neue Heizungen weiterhin mit bis zu 40 Prozent der Kosten bezuschusst werden. Mit dem Einbau von Wärmepumpen ist es leider nicht getan, warnt die Baubranche. Die Dämmung der Gebäudehülle sei zum Erreichen der geforderten Standards unbedingt notwendig.

Die dringend erforderliche Elektrifizierung des Wärmesektors werde zudem durch das Gebäudeenergiegesetz ausgebremst. Denn trotz eines hohen Ökostromanteils im Netz wird Strom bei der Wärmeenergiebilanz von Gebäuden weiterhin schlechter eingestuft als fossile Energien.

Grau ist alle Energie

Mit der Errichtung, Nutzung und dem Rückbau von Gebäuden gehört der Bausektor zu den Treibern der Klimakrise – und ist laut Studien der Internationalen Energieagentur verantwortlich für den Verbrauch von 40 Prozent aller Rohstoffe und Energie sowie einer der Hauptverursacher der weltweiten CO2-Emissionen. 60 Prozent aller Abfälle stammen zudem aus dem Bausektor. Viele Akteure fordern daher eine Abkehr von rein auf Effizienz ausgerichteten Gebäudestandards hin zu einer „ehrlichen CO₂-Bilanz“.

In Zukunft müsse auch die Graue Energie der Bauteile in die Rechnung einbezogen werden – also der Energieaufwand, der von der Herstellung bis zum Rückbau der eingesetzten Materialien benötigt wird. Bei einem typischen Wohnneubau betrage der Anteil an grauen oder verbauten Emissionen zwischen 10 und 16 kg CO2-Äquivalenten pro Quadratmeter Wohnfläche und Jahr, berichtet die Deutsche Energie-Agentur im Gebäudereport 2021.

Der globale Betonbedarf steigt

Allein in Deutschland wurden im Jahr 2019 rund 20 Millionen Tonnen CO2 nur durch die Zementherstellung emittiert. Der weltweite Bauboom leert zudem die Meere und Seen dieser Welt, im großen Stil wird Sand für die Betonherstellung abgebaggert. Die Folgen für die empfindlichen Ökosysteme sind verheerend.

Der globale Betonbedarf wird laut einer Analyse des WWF zum Klimaschutz in der Betonindustrie aufgrund von Urbanisierung und Infrastrukturprojekten bis 2050 im Vergleich zu 2014 sogar noch um 12-23 Prozent steigen. Treibhausgase ließen sich über Substitutionen von Materialien und höhere Effizienz beim Brennvorgang einsparen. Doch es gibt baurechtliche Hemmnisse, zudem fehlten die finanziellen Anreize: „Unter dem europäischen Emissionshandel werden der Zementindustrie kostenlos Zertifikate zugeteilt. Statt zu sinken, sind die Emissionen seit der Einführung des Emissionshandels in der Zementindustrie sogar noch gestiegen“, kritisiert Michael Schäfer, Leiter Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland.

Laut Umweltbundesamt werden in Deutschland jährlich über 500 Millionen Tonnen mineralische Rohstoffe verbaut. Der jährliche Einsatz an Baustahl in Höhe von 5,5 Millionen Tonnen und Zement mit 33,7 Millionen Tonnen ist enorm. Gleichzeitig fallen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes pro Jahr rund 230 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle an – das sind laut UBA über die Hälfte des gesamten Brutto-Abfallaufkommens. Zwar werden 88 Prozent der Bau- und Abbruchabfälle statistisch gesehen recycelt – doch vieles davon landet häufig nur als Auffüllmaterial im Straßen- und Tiefbau. Bestehende Gebäude weiter zu nutzen und zu sanieren ist daher immer noch die effektivste Art, Ressourcen zu schonen.

Sanierung besserstellen

Vielleicht wird es in Zukunft ohnehin billiger, etwas zu nutzen als neu zu bauen – wenn Material- und Energiepreise davongaloppieren. Allein der Rohbau macht bereits 50 Prozent der Kosten aus. Doch in den Ballungsgebieten mit hohen Bodenwerten ist die Immobilienwirtschaft am Abriss interessiert, um den Bodenwert zu steigern – denn oft wird eine höhere Flächennutzung genehmigt. Konsequent wäre es daher im Sinne des Klimaschutzes, auch den Flächenverbrauch zu verringern. Laut Statista hat sich die genutzte Wohnfläche seit 1965 mehr als verdoppelt. Damals standen pro Einwohner im Durchschnitt 22,3 Quadratmeter zur Verfügung, 2021 lagen wir schon bei 47,7 Quadratmeter. Die Nachfrage nach neuem Wohnraum steigt entsprechend.

Etwa 44 Prozent der Siedlungs- und Verkehrsflächen sind in Deutschland aktuell versiegelt, das heißt bebaut, betoniert, asphaltiert, gepflastert oder anderweitig befestigt. Damit gehen wichtige Bodenfunktionen, vor allem die Wasserdurchlässigkeit und die Bodenfruchtbarkeit verloren.

Die Stadtentwicklung darf nicht nur auf Neubau setzen, warnen klimabewusste Stadtplaner: Vor dem Neubau sollte immer die Bestandssanierung stehen. In etlichen Städten wären bspw. viele Konversionsflächen im Eigentum des Bundes noch verfügbar. Man rechnet in Zukunft auch mit leerstehenden Büro- und vor allem Einzelhandelsflächen. Die Herausforderung besteht darin, nicht etwas Neues zu bauen, sondern aus dem Bestand etwas Neues zu entwickeln.

Man sollte dem Altbau nicht alle neuen Baurechtsordnungen aufbürden, und stattdessen die Baukultur fördern, fordern Planer in diesem Zusammenhang. Eine Sanierung dürfte nicht teurer sein als ein Neubau. Das würde bedeuten, den CO2- und Ressourcenverbrauch und die Folgekosten mit einzupreisen bzw. in der Förderung zu berücksichtigen. 75 Prozent des europäischen Gebäudebestands gelten als energetisch sanierungsbedürftig. Die 2020 von der EU-Kommission gestartete Initiative Renovation Wave verfolgt mit einer Sanierungswelle nicht nur das Ziel, die CO2-Emissionen in Europa zu verringern, sondern auch die Lebensqualität der Gebäudenutzer zu verbessern sowie vermehrt Baustoffe wiederzuverwenden.

Oft werde mit gesundheitsschädlichen Materialen gebaut, die nach Abbau teilweise auf der Sondermülldeponie landen, sagt Annette Hillebrandt, Architektin und Wissenschaftlerin an der Bergischen Universität in Wuppertal. Dieses „naturferne“ Bauen führe nicht nur zur Belastung der Umwelt, sondern auch dazu, dass sich Menschen in den eigenen vier Wänden nicht wohlfühlten.

Planer und Handwerker würden von der Bauindustrie von neuen Produkten überfrachtet, die kaum mehr zu bewerten seien. „Wir brauchen Regulierungen, die das unterbinden“, sagt die Expertin. Sie fordert, klima- und umweltgerechtes Planen in der Bauordnung klar zu verankern. Hersteller müssten zur Rücknahme ihrer Produkte gesetzlich verpflichtet werden. Dann wären sortenreinere Stoffe auf dem Markt, die immer wieder verbaut werden könnten. Das Umweltbundesamt schlägt in diesem Zusammenhang eine Abgabe vor, die klimaschädliches Bauen und Baumaterialien höher besteuert.

Nachhaltige Rohstoffe im Baurecht verankern

In der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie aus dem Jahr 2021 verspricht denn auch die Bundesregierung, nachhaltiges Bauen zu fördern. Statt Beton, Styropor oder Mineralwolle sollen Baumaterialien aus nachwachsenden Rohstoffen eingesetzt werden – Holz, aber auch Zellulose, Hanf, Flachs, Kork, Wolle, Stroh oder bestimmte Gräser als Dämmmaterialien. Noch sind solche Baustoffe in Deutschlands Gebäuden Mangelware: Im Jahr 2020 hatten nachhaltige Dämmstoffe nur einen Marktanteil von neun Prozent.

Das liegt auch an den hohen Brandschutzanforderungen: Viele dieser Produkte sind nicht für den Gebäudebau zugelassen, bzw. nur für kleinere Bauten wie Einfamilienhäuser. Forschende arbeiten deshalb an Konzepten, wie sich nachhaltige Rohstoffe brandsicher einsetzen lassen – und kritisieren die mangelnde Anpassungsfähigkeit des deutschen Baurechts.

Mit Holzbau gegen die Klimakrise?

Mit Holzbau gegen die Klimakrise ist Ziel des Projekts Bauhaus der Erde: Gebäude sollten zu einer Kohlenstoffsenke werden und Ziel aller Baukultur das Leben der Menschen im Einklang mit der Natur. Klimaforscher und ehemaliger Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) Hans Joachim Schellnhuber hat sich mit einer kleinen Gruppe von Klima-, Umwelt- und Bauexperten zusammengetan, um das Thema neu aufzurollen – in Analogie zur Bauhausbewegung der 1930er-Jahre, Kunst und Handwerk, Soziales und Ökonomisches, neue Technologien und jetzt auch Klimaschutz zu vereinen.

Einen großen Hebel sehen die Initiatoren in der grundsätzlichen Reformierung der weltweit üblichen Bauweise. Die größtmögliche Substitution von Stahlbeton durch organische Baustoffe wie Holz oder Bambus würde erhebliche Mengen an klimaschädlichen Emissionen vermeiden, so die Grundidee.

Doch das erfordert eine Menge Holz. Die Initiatoren setzen dabei auf eine nachhaltige Forstwirtschaft. Für die Versorgung mit Bauholz würden neben natürlichen Wäldern neu angelegte Holzplantagen benötigt, in tropischen und subtropischen Regionen der Anbau von schnell wachsendem Bambus durch Kleingrundbesitzer. Diese Art der Landnutzung beeinträchtige nicht die Nahrungsmittelproduktion, sagt eine Holzbau-Studie des PIK. Sie könne aber zu einem Verlust der Artenvielfalt führen, räumen die Forscher ein, wenn sie nicht optimal gesteuert werde.

Vor allem müsse Bauen daher als Kreislaufwirtschaft organisiert und das Holz aus dem Abriss von Gebäuden weiterverwendet werden. Statt Holz zu verbrennen, müssen Häuser aus Holz so gebaut werden, dass sie mit wenig Heizenergie auskommen. Zu einer neuen Baukultur zählten schließlich auch neue Formen der Bauherrenschaft wie genossenschaftliche Modelle und Baugruppen, Netzwerke und Gemeinschaften zu bilden, betonen die Initiatoren des „Bauhaus der Erde“ – etwa in Form von Siedlungen auf dem Land in Holzbauweise, wo mehrere Generationen zusammenleben. Im urbanen Raum entspräche das dem gemeinschaftlichen Bauen und Wohnen im Quartier.

Bislang werden in Deutschland nur ein bis zwei Prozent der Einfamilienhäuser aus Holz gebaut. Im urbanen Raum sind in den letzten Jahren Mehrfamilienhäuser bis hin zu einzelnen Hochhäusern aus Holz entstanden – Bauvorschriften machen solche Projekte allerdings zu einem Abenteuer.

Urban Mining – die Stadt als Rohstofflager

Deutschland ist bei vielen Baumaterialien und Industriemineralien nahezu vollständig auf Importe angewiesen. Dabei steckt ein großes Potenzial an Rohstoffen in unseren Städten, in Bauwerken, der Infrastruktur und Deponien. Ein großer Teil der jährlich eingesetzten Rohstoffe und Materialien verbleibt über längere Zeiträume im sogenannten „anthropogenen Lager“. Und dieses wächst absehbar weiter an, schreibt das Umweltbundesamt.

Wertstoffe in Gebäuden, Produkten und der Infrastruktur zu erkennen, noch bevor diese zu Abfall werden und sie zukünftig als Sekundärrohstoffe zu nutzen – das ist das Ziel des Vereins Urban Mining, der Städte als Rohstoffminen betrachtet. Doch bislang fehlen Daten, Fakten und ein konsequentes Material-Kreislauf-Denken über das, was immer noch auf der Mülldeponie landet. Wir brauchen daher ein systematisches Management von Sekundärrohstoffen, fordern die Akteure, das muss bereits in der Produktion beginnen. Unter dem Motto „Denke das Ende“ sollte bei der Herstellung eines jeden Produkts oder Bauwerks bereits die Wiederverwertung mitgedacht werden.

Baustoff-Börsen – digital und in der Praxis

Eine Übersicht zu Gebäuden als Materialquelle gibt das Madaster, ein Material-Kataster für Städte. Gegründet 2017 in den Niederlanden werden auf der Online-Plattform nicht nur verbaute Rohstoffe gelistet, sondern auch der aktuelle Börsenkurs dazu. Die Baustoff-Börse gibt Infos zu anstehendem Abriss und Sanierungen von Gebäuden, um gezielt an gebrauchte Materialien vor Ort zu kommen. Im Madaster Deutschland sind bereits einige Gebäude in Großstädten wie Stuttgart, Frankfurt oder Berlin gelistet.

Das niederländische Unternehmen Stone Cycling holt alte Ziegel, Dachpfannen oder Fliesen aus Abbruchhäusern und mischt den alten Bauschutt mit neuen Materialien. So entstehen, oft nach langem Experimentieren, neue Baustoffe mit hohem Schuttanteil – denen man das nicht ansieht, etwa Lehmziegel. Die Firma aus Amsterdam verarbeitet jährlich Hunderte Tonnen Abfall zu neuen Bauelementen.

Auch in Deutschland zeigt das 2020 gegründete Unternehmen Concular bereits, wie eine Vermittlungsbörse für gebrauchte Baumaterialien in der Praxis funktioniert. Planer können darüber Gebäudebesitzer kontaktieren, bevor umgebaut oder abgerissen wird. Die Macher von Concular begutachten das Gebäude und suchen darin nach wiederverwertbaren Elementen. Das ausgesuchte Haus dient dann direkt als Lager – und je länger es als Lager genutzt werden kann, desto höher die Chance, möglichst viele noch wertvolle und wieder verwendbare Bauelemente zu verkaufen. Der Druck auf nachhaltiges Wirtschaften wird auch an der Immobilienbranche nicht vorbeigehen., sind die Akteure überzeugt. Nicole Allé

 
Altes nutzen, um Zukunftsfähiges zu schaffen
Wie kann Architektur in Zeiten von Klimakrise, Ressourcenknappheit und steigender Nachfrage nach Wohnraum ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft gerecht werden? Das war auch die Fragestellung beim internationalen Gebäude-Energie-Wettbewerb Solar Decathlon Europe 21/22. Studententeams aus elf Ländern zeigten in diesem Juni in Wuppertal mit 1:1 Modellen, wie sich nachhaltiger Wohnraum in Städten realisieren lässt: Um- und Weiterbau statt Abriss und Neubau.
Das Gewinner-Team RoofKIT überzeugte die Jury mit einer kreislaufgerechten Aufstockung eines Bestandsgebäudes aus dem 19. Jahrhundert, das Café ADA in der Altstadt von Wuppertal. Das Team entwickelte eine städtebauliche Blaupause auf bisher ungenutzten Ressourcen der Städte: den Dachflächen. Ziel: die Stadt als soziale Fabrik, urbanes Rohstofflager und nachhaltigen Energieproduzenten zu verstehen. Energiekreisläufe schließen, indem Gebäuderückstände wie organische Abfälle und Abwässer zur Energie- und Wärmeerzeugung genutzt werden. Sonnenenergie wird über Gebäudeflächen sowie Solaranlagen im Hinterhof genutzt. Die Nutzung vorgefertigter Holzmodule macht den Bauprozess effizient und kostengünstiger. Auf Farben, Imprägnierungen, Klebstoffe, Schäume und Nassabdichtungen wurde verzichtet, um die Kreislauffähigkeit des Gebäudes zu gewährleisten.

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Kommentare

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Rainer Herrmann 07.11.2022, 22:55:21

Es wird tatsächlich hauptsächlich von klimagerechtem Bauen gesprochen. Dabei machen Neubauten ja nur einen winzigen Bruchteil der Gebäude aus. Viel wichtiger ist ja der Bestand. Dessen sog. graue Energie wurde bereits aufgewendet und kann nicht mehr zurückgeholt werden. Ein Großteil davon wurde nach dem Krieg gebaut und die Herausforderung besteht darin, diese zum Teil ungeliebten Gebäude energieeffizient zu ertüchtigen und wohnlicher zu gestalten.

Vielleicht liegt das Problem in der Steuergesetzgebung. Könnte man Neubauten weniger stark abschreiben, wäre die Sanierung evtl. attraktiver als der Abriss.


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