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Energiecharta-VertragDas Werkzeug fossiler Konzerne

Kohlekraftwerk von RWE bei Nacht an einem Gewässer.
Voraussichtlich vor dem Hintergrund des Energiecharta-Vertrages, hat der Energiekonzern RWE hohe Entschädigungszahlungen für die Abschaltung seiner Braunkohlekraftwerke erhalten, die jedoch EU-rechtlich umstritten sind. (Bild: Peter H., pixabay, Public Domain)

Eine neue Analyse zeigt, in welchem Ausmaß fossile Konzerne den Energiecharta-Vertrag für ihre Zwecke nutzen. Eine Reform des Vertrages steht an, doch die bisherigen Vorschläge reichen nicht für den Schutz des Klimas vor fossilen Unternehmen.

27.01.2022 – Man wolle sich für eine Reform des Energiecharta-Vertrages einsetzen, hatte die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag im November letzten Jahres angekündigt. Wie genau diese Reform aussehen soll, blieb offen. Tatsächlich steht eine Modernisierung des Vertrages an. Das haben die Staaten, die sich dem Energiecharta-Vertrag verpflichtet haben, versprochen. Bis Juni sollen die Verhandlungen abgeschlossen sein. Drei weitere Verhandlungstermine stehen an.

Derzeit sind 51 Staaten Mitglied der Energiecharta-Konferenz. Ursprünglich wurde der Vertrag 1994 abgeschlossen, um Investitionen westlicher Energiekonzerne und Investoren in Energieprojekte in die ehemaligen Ostblockstaaten anzuregen und abzusichern. Dabei handelt es sich um einen Investitionsschutzvertrag. Investoren haben die Möglichkeit, Staaten vor eigens geschaffenen Schiedsgerichten zu verklagen, wenn sie enteignet werden. Als Enteignung gilt bereits, wenn ein Staat neue Regeln aufsetzt, die die Investitionsbedingungen verschlechtern.

In den letzten zehn Jahren wurden politische Entscheidungen für Klima- und Umweltschutz immer häufiger Gegenstand von Verfahren, wie Lukas Schaugg vom International Institute for Sustainable Development (IISD) und Referent für Investitionsrecht mitteilt. Im Rahmen einer Pressekonferenz stellte Schaugg gestern einen neuen Report des IISD vor, der auf der Basis einer Datenauswertung zeigt, dass 20 Prozent aller Streitbeilegungsverfahren zwischen Investoren und Staaten auf die fossile Brennstoffindustrie entfallen.

Sogenannte Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS) sind über den Energiecharta-Vertrag hinaus Verfahren, in denen ausländische Investoren vor der Enteignung durch einen Staat geschützt werden sollen. Innerhalb der Streitbeilegungsverfahren machen Verfahren auf Grundlage des Energiecharta-Vertrages den Großteil der Klagen aus.

Für fossile Konzerne erfolgreich

Es handelt sich um insgesamt 231 bekannte Verfahren und damit deutlich mehr als alle anderen Unternehmen und Industriezweige an Schiedsverfahren angestrengt haben. Auf Platz zwei mit 11 Prozent aller Schiedsverfahren folgt die Bergbauindustrie. Das zeigt: Vor allem die fossile Industrie nutzt die Schiedsverfahren, um für Entschädigungen zu kämpfen. Und das erfolgreich. Ließ das Schiedsgericht die Klagen erst einmal begründet zu, gewannen die fossilen Investoren in 76 Prozent aller Fälle gegen die beklagten Staaten.

Im Durchschnitt erstritten die klagenden Konzerne dabei 600 Millionen US-Dollar. Das ist fünfmal mehr als im Durchschnitt in nicht-fossilen Klagen erstritten wurde. Und die bekannten Entschädigungen sind voraussichtlich nur die Spitze des Eisbergs, wie der Report des IISD ebenfalls darlegt. Denn 54 Prozent aller abgeschlossenen Streitverfahren von fossilen Konzernen sind unter Verschluss. Und ein Drittel aller fossilen Schiedsverfahren wurden beigelegt, bevor es zu einem Urteil kam. Auch hier ist weitestgehend unbekannt, ob und wie sich Staaten und Investoren geeinigt haben.

Bekannt ist aber der Fall Vattenfall gegen den deutschen Staat. Wegen des beschlossenen Atomausstiegs verklagte der schwedische Energiekonzern Deutschland auf Schadenersatz von 4,7 Milliarden Euro. Inzwischen ist dieser Fall zu den Akten gelegt, da Deutschland sich mit Vattenfall und anderen Energiekonzernen im Rahmen des Atomausstiegs auf eine Entschädigung von 2,4 Milliarden Euro einigte. Die Höhe der Zahlung ist wohl vor dem Hintergrund der Rechtsstreitigkeiten zwischen Vattenfall und Deutschland vor dem internationalen Schiedsgericht zu sehen. Mit 1,425 Milliarden Euro erhält Vattenfall entsprechend einen Großteil der Entschädigung.

Die hohen Entschädigungssummen für den Kohleausstieg in Deutschland könnten ebenfalls auf den ECT und der Angst vor möglichen Regressansprüchen zurückzuführen sein. So enthält der Kohleausstiegsvertrag zwischen Bund und Energiekonzernen folgenden Paragrafen: „Die Vertragsparteien sind sich einig, dass die Gesellschaften auf Forderungen und Ansprüche aus dem Energiecharta-Vertrag verzichten.“ Betreiber von Braunkohlekraftwerken in Deutschland sollen insgesamt 4,35 Milliarden Euro erhalten. Die EU-Kommission hat aber ihre Zweifel, ob die Entschädigungen im Einklang mit dem EU-Beihilferecht sind und leitete im letzten Jahr ein eingehendes Prüfungsverfahren ein.

Der Europäische Gerichtshof urteilte zudem im September 2021, dass die Schiedsverfahren im Widerspruch zur Autonomie des Unionsrechts stehen. Vor dem Hintergrund eines Verfahrens zwischen der Republik Moldau und einem ukrainischen Energiekonzern erklärte das EuGH, dass der Energiecharta-Vertrag zwischen EU-Mitgliedsstaaten unwirksam sei. Konzerne aus EU-Mitgliedsstaaten dürften demnach keine Mitgliedsländer vor einem privaten Schiedsgericht auf Schadensersatz verklagen. Schon in einem früheren Urteil erklärte das EuGH, Streitigkeiten zwischen Mitgliedsstaaten und deren Bewohner – und damit auch von Unternehmen – seien alleine Sache nationaler Gerichte und des EuGH.

RWE und Uniper profitieren

Trotzdem laufen Schiedsverfahren aktuell weiter. So verklagen die deutschen Konzerne RWE und Uniper die Niederlande wegen des beschlossenen Kohleausstiegs 2030 auf über 2,4 Millionen Euro Schadensersatz. Kathrin Henneberger, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und seit Jahren gegen Braunkohleabbau- und -verstromung in ihrer Heimat seitens RWE im Einsatz, kritisiert, dass im Rheinischen Revier nicht alle Perspektiven gleichberechtigt behandelt würden.

„Der Energiecharta Vertrag bedeutet für meine Region des rheinischen Braunkohlereviers, dass die Interessen des Kohlekonzerns RWE mehr gewichtet werden als das Wohlergehen der Bevölkerung. Dies passiert in vielen Regionen der Welt, weshalb es auch unsere globale Verantwortung ist, uns für ein Ende des Energiecharta Vertrages einzusetzen“, so Henneberger, die als Obfrau im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung innerhalb der Grünen-Fraktion für den Energiecharta-Vertrag zuständig ist.

Eine Beendigung des Vertrages erscheint indes schwer umsetzbar, da alle Mitglieder der Energiecharta-Konferenz dem zustimmen müssten. Länder wie Japan, Kasachstan und einige osteuropäische Länder sehen überhaupt keinen Veränderungsbedarf. Das EU-Parlament und einige europäische Mitgliedsstaaten, wie Frankreich, Spanien, Österreich, die Niederlande und Belgien, sprechen sich zumindest dafür aus, dass der Schutz von Investitionen in fossile Brennstoffe im Rahmen der Modernisierung des Vertrags über die Energiecharta beendet werden sollte.

Doch bislang zeichnet sich ab, dass der Investitionsschutz für bestehende fossile Investitionen noch viele Jahre weiterlaufen wird, bis in die 2030er Jahre für Kohle und bis 2040 für fossiles Gas. Dies teilt die gemeinnützige Organisation Power Shift mit und beruft sich auf eigene Quellen. Zudem würden Klauseln, die Klagen gegen Umwelt und Klimaschutzmaßnahmen in der Vergangenheit hervorgerufen haben, im Vertrag erhalten bleiben. Italien etwa trat 2016 aus dem Energiecharta-Vertrag aus und wurde seitdem innerhalb von Schiedsverfahren auf eine Gesamtsumme von 400 Millionen Euro an Schadenersatz verklagt, denn Klagen für bestehende Investitionen können laut Energiecharta-Vertrag noch bis zu 20 Jahre nach Austritt erhoben werden.

Eine Lösung sehen Expert:innen wie Lukas Schaugg jedoch in bilateralen Abkommen zwischen Staaten auf solche Schiedsverfahren nach einem Austritt aus dem Energiecharta-Vertrag zu verzichten. So könnten sich europäische Mitgliedsstaaten bei einem gemeinsamen Austritt darauf einigen, was nach Ansicht des EuGH ohnehin nicht mit EU-Recht vereinbar ist. Weitere Klagen europäischer Konzerne wie RWE und Uniper gegen Klimaschutzmaßnahmen von Staaten, wie der beschlossene Kohleausstieg der Niederlande, wären dann nicht mehr möglich. Manuel Först


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