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KohleausstiegsgesetzGarzweiler-Paragraph hält juristischer Prüfung nicht stand

An einen Kühlturm des Braunkohlekraftwerks hat die Initiative ihre Botschaft projiziert.
„Braukohle ist tödlich. Für unsere Dörfer und unser Klima“ – Nach dem Vorbild von Warnhinweisen auf Zigarettenpackungen projizierte die Initiative Menschenrecht vor Bergrecht diese Woche eine Botschaft an das Braunkohlekraftwerk Neurath. (Foto: Daniel Müller)

Der Tagebau Garzweiler wurde als energiewirtschaftlich notwendig festgelegt. Ein angesehener Jurist hat den dazugehörigen Paragraphen im Kohleausstiegsgesetz überprüft und kommt zu dem Ergebnis, dass dieser verfassungswidrig ist.

10.09.2021 – „Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung“ oder auch „Kohleverstromungsbeendigungsgesetz“ nennt sich der 66 Paragraphen umfassende Erlass, der den Ausstieg aus der Kohle bis 2038 regelt. Im August 2020 verabschiedet, birgt vor allem Paragraph 48 hohe Brisanz. Der legt eine energiepolitische und energiewirtschaftliche Notwendigkeit für den Braunkohletagebau Garzweiler fest, innerhalb der Grenzen einer 2016 getroffenen Leitentscheidung der damaligen NRW-Landesregierung.

Zwar beschloss die damalige Regierungskoalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen eine Verkleinerung von Garzweiler und Verbleib zweier Orte. Sechs weitere Orte - Keyenberg, Kuckum, Lützerath, Ober- und Unterwestrich sowie Beverath – sollten jedoch weiterhin für den Braunkohleabbau umgesiedelt und vernichtet werden.

Mit dem Kohleverstromungsbeendigungsgesetz – umgangssprachlich und im weiteren Kohleausstiegsgesetz genannt – legte die Bundesregierung den Abriss der Dörfer gesetzlich fest. Der Passus energiepolitische und energiewirtschaftliche Notwendigkeit macht es prinzipiell möglich, nach dem geltenden Bergrecht die Häuser von Menschen zu enteignen, um die unter den Häusern liegende Kohle abzubauen, wenn dies für eine gesicherte Energieversorgung nötig ist und damit dem Gemeinwohl dient.

Berechtigte Zweifel

Doch an dieser energiewirtschaftlichen Notwendigkeit bestanden von Anfang an berechtigte Zweifel. Die Initiative „Menschenrecht vor Bergrecht“ etwa legte nach Bekanntgabe des Kohleausstiegsgesetz Verfassungsbeschwerde ein. Menschenrecht vor Bergrecht setzt sich aus Bewohner:innen der Orte rund um den Tagebau Garzweiler zusammen. „Auf mich wirkt die Festschreibung der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit von Garzweiler so, als habe man von vornherein Angst vor juristischen Verfahren gehabt“, sagte Birgit Clichy, eine der Kläger:innen, bei Bekanntgabe der Verfassungsbeschwerde vor einem Jahr.

Ein neues Rechtsgutachten des angesehenen Professors Thomas Schomerus von der Universität Lüneburg untermauert nun das Vorgehen der Kläger:innen. Schomerus ist Experte für Umwelt-, Planungs- und Verfassungsrecht und ehemaliger Richter an einem Oberverwaltungsgericht. Der Garzweiler-Paragraph halte einer juristischen Prüfung nicht stand, so Schomerus in seinem Gutachten, das von der Klima-Allianz Deutschland in Auftrag gegeben wurde.

So beziehe sich die Regelung auf die inzwischen veraltete Ausgangslage zur Leitentscheidung 2016, die mit den neuen Klimazielen in Deutschland und Europa nicht vereinbar sei. Auch könnten Wohngrundstücke nur unter besonders erhöhten Anforderungen enteignet werden. Die Erforderlichkeit und der Bedarf seien im Falle des Paragraphen 48 jedoch weder begründet noch darstellbar. „Der Gesetzgeber hat den ihm zustehenden Spielraum mit dem Garzweiler-Paragraphen überdehnt“, sagt Schomerus.

Nicht mit Pariser Klimazielen vereinbar

Schon vor Verabschiedung des Kohleausstiegsgesetz machten Wissenschaftler:innen deutlich, dass eine Erweiterung des Tagebaus Garzweiler und Verbrennung der abgebauten Kohle in dem Maße nicht mit den Pariser Klimazielen vereinbar sei. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Frühjahr dieses Jahres bestätigte die fehlende Wirksamkeit der bis dato festgelegten Klimaziele Deutschlands. Die Bundesregierung musste nachsteuern. Auch die Europäische Union legte in der Zwischenzeit verschärfte Klimaziele fest, mit denen eine Erweiterung des Tagebaus Garzweiler in dem Rahmen unvereinbar ist.

Im Dezember 2020 kam zudem ein lange geheim gehaltenes Gutachten im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums ans Licht, mit dem Ergebnis, dass die von Umsiedlung bedrohten Dörfer Keyenberg, Kuckum, Ober- und Unterwestrich sowie Berverath nicht abgebaggert werden müssten, da rund ein Drittel der Braunkohle in Garzweiler II unter der Erde bleiben könnte, wenn man den Empfehlungen der Kohlekommission folge.

Das Gutachten wurde dem BMWi bereits im November 2019 vorgelegt. Beim Kohleausstiegsgesetz fand es offensichtlich keine Beachtung und wurde der Öffentlichkeit vorenthalten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und die Landtagsfraktion der Grünen in NRW hatten zuvor bereits  Berechnungen angestellt und öffentlich gemacht, die ebenfalls zu dem Ergebnis kamen, dass der Abriss der Dörfer energiewirtschaftlich nicht notwendig sei.

Wie für andere, liegt auch für Schomerus die Vermutung nahe, dass die Festellung der Notwendigkeit von Garzweiler auf Grundlage betriebswirtschaftler Kalkulationen von RWE erfolgte. Laut Kohleausstiegsgesetz soll der ebenfalls von RWE betriebene Tagebau Inden verkleinert werden, während Garzweiler komplett ausgeschöpft werden soll. Für den Energiekonzern wohl weitaus lukrativer, da an den Tagebau Inden lediglich das alte unrentable Kraftwerk Weisweiler angeschlossen ist, während Garzweiler unter anderem das Kraftwerk Neurath beliefert, wo neuere Blöcke effizienter Kohle verstromen.

Unzumutbare Rechtsunsicherheit

Die aktuell von CDU und FDP geführte NRW-Landesregierung legte indes im März dieses Jahres eine neue Leitentscheidung für das rheinische Revier fest. Darin hält die Regierung am Abriss der Dörfer fest, mit der Einschränkung, dass diese nicht vor 2026 in Anspruch genommen werden dürfen. Die spätere Inanspruchnahme gebe Zeit, um vorher noch einmal eine Überprüfung vorzunehmen, ob der Abriss der Dörfer wirklich erforderlich sei, ließ NRWs Wirtschaftsminister Pinkwart verlauten. Laut Bewohner:innen der bedrohten Dörfer sei der Tagebau jedoch ohnehin bis zu drei Jahre im Verzug.

Auch laufende und angestrebte Gerichtsverfahren werden voraussichtlich zu weiteren Verzögerungen führen. Der Initiative Menschenrecht vor Bergrecht gibt das juristische Gutachten von Professor Schomerus Rückenwind. Deren rechtlicher Vertreter, der Rechtsanwalt Dirk Teßmer, sagt: „Mit diesem Rechtsgutachten liegt ein weiterer Beleg vor, dass der Garzweiler-Paragraph untauglich ist, die Grundrechte meiner Mandanten zu beschneiden.“ Die nächste Bundesregierung müsse den Garzweiler-Paragraphen aufgrund seiner Verfassungswidrigkeit aufheben, so Teßmer. Die unzumutbare Rechtsunsicherheit für die Anwohner:innen müsse beendet werden.

Das fordert auch die Landtagsfraktion der Grünen in NRW, die kürzlich einen Antrag auf Überarbeitung der Leitentscheidung stellte, mit dem Ziel eines Kohleausstiegs bis 2030 und Ausschluss weiterer Umsiedlungen für die Braunkohle. Neben der Verfassungsbeschwerde erwartet die Initiative Menschenrecht vor Bergrecht indes ein weiteres Verfahren. Sie kauften 2019 gemeinsam ein Grundstück in der Nähe des Tagebaus, in Erwartung eines Enteignungsverfahrens seitens RWE. Linda Engel von der Initiative bezeichnet das neue Gutachten von Professor Schomerus als positiven Antrieb. „Verfassungswidrige Vorschriften dürfen natürlich nicht zur Rechtfertigung von Enteignungen herangezogen werden“, so Engel. Manuel Först


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