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TschechienSpäter Kohleausstieg abgewendet

Klimaaktivsten in weißen Maleranzügen und Bannern besetzen einen Kohlebagger
Im Sommer 2020 demonstrierten Klimaaktivisten in einem tschechischen Tagebau und besetzten einen Bagger. (Bild: Peter Tkac, flickr, CC BY-SA 2.0)   

Vorgesehen war das Jahr 2038, als Ausstieg aus der Kohleverstromung in Tschechien. Zu spät, sagen Klimaschützer und machten Druck. Mit Erfolg: Die Entscheidung über den Kohleausstieg wurde vertagt. Wie es dazu kam.

05.02.2021 – Inspiriert von den Vorgängen in Deutschland setzte auch Tschechien 2019 eine Kommission ein, die über den endgültigen Kohleausstieg Tschechiens beraten sollte. Vorangegangen waren vielfältige Proteste von Umweltverbänden und Klimaschutzaktivsten gegen Kohleabbau und -verstromung in Tschechien. Kohle ist nach wie vor der wichtigste Energielieferant des Landes. Etwa ein Drittel des Energiebedarfs stammt aus der Verbrennung des fossilen Brennstoffes. Nicht nur der Klimaschutz, auch marktwirtschaftliche Bedingungen machen den Kohleausstieg unausweichlich. Der europäische Emissionshandel und strengere Richtlinien für klimaschädliche Emissionen machen die Kohleverstromung in Tschechien zunehmend unwirtschaftlich.

Doch über das konkrete Ausstiegsdatum wurde in der Kommission heftig gerungen. Neben dem Minister für Industrie und Handel sowie dem Umweltminister waren politische Vertreter der Kohleregionen Tschechiens vertreten. Des Weiteren waren Vertreter der Kohleindustrie Teil der Kohlekommission. Dazu kamen zwei Abgesandte von Umweltverbänden, Jiří Koželouh und Janek Rovenský von den tschechischen Ablegern von Friends of the Earth (Hnutí Duha) und Greenpeace.

Die „shadow coal commission“

Doch Umweltverbände und Aktivisten fühlten sich in dieser Kommission von Anfang an unterrepräsentiert. Proteste waren ein ständiger Begleiter der Arbeit der Kohlekommission. Einer ihrer Organisatoren war und ist Vít Masare, Mitglied bei Strana zelených, der Grünen Partei Tschechiens, und Gründer von BEZUHLI, einer Anti-Kohle Kampagne. „Aufgrund der unterrepräsentierten Stimmen von Klima- und Umweltschützern gründeten wir sogar eine shadow coal commission“, so Masare gegenüber der energiezukunft. Die Schatten-Kohlekommssion setzt sich aus renommierten Wissenschaftlern und Experten sowie Betroffenen aus den Kohleregionen zusammen. Gemeinsam bilden sie in der Öffentlichkeit eine Gegenstimme zu den Befürwortern eines späten Kohleausstiegs.

Denn in der Kohlekommission selbst zeichnete sich ein Übergewicht an Stimmen für einen Ausstieg 2038 ab und damit genau so spät wie in Deutschland, was auch hier als unvereinbar mit dem Klimaschutz gilt. Insbesondere der Minister für Industrie und Handel, Karel Havlíček, sprach sich als Co-Vorsitzender der Kommission für 2038 aus. Koželouh und Rovenský, die beiden Vertreter der Umweltverbände, sahen keine Möglichkeit mehr ein früheres Ausstiegsdatum durchzusetzen und verließen am 4. Dezember 2020 die Kommission, an dem Tag, als das Gremium das Ausstiegsdatum verkündete.

Reines „Greenwashing“

In einem offenen Brief kritisierte Greenpeace, die Mitgliedschaft der Umweltvertreter sei reines Greenwashing gewesen. Minister Havlíček habe zu keinem Zeitpunkt soziale, ökonomische oder klimarelevante Analysen in die Entscheidungsfindung einfließen lassen. Keine anderen Szenarien außer seinen eigenen hätten zur Debatte gestanden. Dabei wurde in der Folge publik, dass sich der andere Co-Vorsitzende, Umweltminister Richard Brabec, noch für einen Ausstieg im Jahr 2033 eingesetzt hatte.

Ungeachtet dessen sah Havlíček die Zustimmung des Parlaments als reine Formalie an. Havlíček ist ebenso wie Brabec Mitglied der ANO, die Partei, die mit 78 Abgeordneten die meisten Sitze im Parlament innehat und mit Andrej Babiš den Ministerpräsidenten stellt. Gemeinsam mit der ČSSD, der Sozialdemokratischen Partei Tschechiens, bildet die ANO eine Minderheitsregierung mit Unterstützung der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens (KSČM). Doch Havlíček hatte womöglich nicht mit dem Mobilisierungspotenzial der Klimaschützer gerechnet.

Die Partei der Grünen ist zwar aktuell nicht im Abgeordnetenhaus vertreten, doch im Oktober dieses Jahres finden die nächsten Parlamentswahlen statt. In Anbetracht möglicher zukünftiger Bündnisse habe man in Gesprächen mit sozialdemokratischen Abgeordneten und Ministern einiges erreichen können, teilt Masare von Strana zelených mit. Greenpeace rief die Bevölkerung derweil unter anderem dazu auf, Ministern und Abgeordneten E-Mails zu schreiben. „Über 1.500 E-Mails wurden bereits gesandt, mit der Bitte um einen früheren Kohleausstieg“, berichtet Lukas Hrabek, Pressesprecher von Greenpeace, auf Anfrage der energiezukunft. Daneben gab es weitere Aktionen von Fridays for Future, Extinction Rebellion und anderen.

Erfolgreiche Intervention

Die Gespräche und der Druck zeigten offensichtlich Wirkung. Außenminister Tomáš Petříček von der ČSSD und Gesundheitsminister Jan Blatný von der ANO stellten sich in der Folge klar hinter ein früheres Ausstiegsdatum. Arbeitsministerin Jana Maláčová (ČSSD) erklärte zumindest, man müsse weitere Studien abwarten, um eine Entscheidung zu treffen. Schließlich erklärte die gesamte Fraktion der Sozialdemokraten im Abgeordnetenhaus nicht für einen Kohleausstieg 2038 zu stimmen. Die Abstimmung war eigentlich für Montag anberaumt gewesen.

Innenminister Jan Hamáček, zugleich Vorsitzender der ČSSD, sagte, der Ausstieg würde nun mit den Ministern und anderen Organisationen, einschließlich zivilgesellschaftlichen, debattiert, bevor die Regierung eine Entscheidung treffe. 2033 oder früher steht inzwischen als Ausstiegsdatum zur Debatte. Frühestens im Sommer wird mit einer Entscheidung gerechnet.

Diese gilt es auch vor dem Hintergrund schärferer Klimaziele zu treffen, die die Europäische Union beschlossen hat. Um mindestens 55 Prozent sollen die CO2-Emissionen bis 2030 gesenkt werden. Für das EU-Parlament ist das zu wenig. Sie fordern unter anderem minus 60 Prozent und ein Treibhausgasbudget das festlegen soll, wieviel die EU insgesamt noch ausstoßen darf.

Anna Cavazzini, Mitglied des EU-Parlaments, kommentiert im Hinblick auf Tschechien und die Nachbarstaaten: „Alle EU-Staaten haben sich den Pariser Klimazielen verpflichtet und müssen ihren Beitrag zur Umsetzung des EU Green Deal leisten. Deshalb wäre es sehr wichtig, wenn sich in Tschechien die Kräfte durchsetzen, die einen früheren Ausstieg wollen. Das würde auch den Druck auf Polen und Deutschland erhöhen!“ Manuel Först


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