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Abschlussbericht des WeltklimaratEs geht um jedes Zehntel Grad

Ausgetrockneter Grund eines Flusses mit Gebäuden im Hintergrund
Ausgetrocknetes Rheinbett in Düsseldorf. Extreme Hitze und Dürre, aber auch Fluten häufen sich in Deutschland. (Joe Shoe, Flickr, CC BY-ND 2.0)

Das 1,5 Grad Ziel wird nicht mehr zu erreichen sein. Nun geht es darum, jedes zusätzliche Grad an globaler Erwärmung durch entschiedene politische Maßnahmen zu verhindern. Eine Entschiedenheit, die in Deutschland aktuell fehlt.

21.03.2023 – Fast zwei Tage länger als geplant diskutierten die wissenschaftlichen Autor:innen des  Sachstandsberichts des IPCC, des sogenannten Weltklimarates, mit der Politik über die Formulierungen im gestern erschienen Abschlussbericht des sechsten Berichtszyklus. Der beinhaltete zuvor drei Sonderberichte (unter anderem zu Ozeane und Eismassen) und drei Arbeitsgruppenbeiträge (wie etwa den Verwundbarkeiten und Anpassungen an den Klimawandel), die nun im Abschlussbericht zusammengefasst wurden. Trotzdem dauerte die Abstimmung mit der Politik auf der Abschlusssitzung im schweizerischen Interlaken länger.

Wie der Spiegel berichtet, sei es auf der Konferenz, laut Teilnehmer:innen, zum Teil zugegangen sein, wie auf einer UN-Klimakonferenz. Die politischen Delegationen durften Änderungsanträge in den Formulierungen einbringen – jedoch nur wenn die Formulierungen weiterhin den wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen. Inwieweit Politiker:innen den Abschlussbericht in ihren Aussagen noch abmildern konnten, lässt sich nicht sagen. Die Verhandlungen fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Doch die Hauptaussagen des Abschlussberichts sind deutlich.

Das System stabilisieren

Das 1,5 Grad Limit werde in diesem oder dem nächsten Jahrzehnt erreicht. Und jede noch so kleine Zunahme der globalen Erwärmung werde multiple und gleichzeitig auftretende Gefahren verstärken. Oliver Geden, von der Stiftung Wissenschaft und Politik und Mitautor des Syntheseberichts, sagte gegenüber dem Science Media Center: „Selbst wenn wir über die 1,5 Grad gingen, selbst wenn wir dann nicht wieder auf 1,5 Grad herunterkämen: Jedes Zehntel Grad wird wichtig sein, auf welchem Niveau auch immer. Wir müssen es erst mal schaffen, den Temperaturanstieg zu stoppen, das System zu stabilisieren.“

Matthias Garschagen, Professor und Inhaber des Lehrstuhls für für Anthropogeographie mit Schwerpunkt Mensch-Umwelt-Beziehungen an der Ludwig-Maximilians-Universität München und ebenfalls Autor des Berichts, verwies auf die bereits deutlich sichtbaren Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels, im Vergleich zu achteinhalb Jahren zuvor, als der letzte Sachstandsbericht des Weltklimarates erschien. „Wir spüren die Auswirkungen. Wir wissen, dass die Auswirkungen mit jedem bisschen Erwärmung massiv ansteigen werden. Und gleichzeitig haben wir es noch in der Hand, dagegen vorzugehen und das Allerschlimmste abzuwenden.“ Dies habe man in den letzten Jahren verpennt, nun schließe sich das Fenster, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, rapide.

„Die Begrenzung der vom Menschen verursachten globalen Erwärmung erfordert netto Null CO2-Emissionen“, macht der neue Synthesebericht unmissverständlich klar. Schon die bestehende Infrastruktur für fossile Brennstoffe würde das verbleibende Kohlenstoffbudget für das 1,5 Grad Limit sprengen. Der verstärkte Einsatz negativer Emissionsmaßnahmen sei daher ohnehin nötig – bewerkstelligt durch Aufforstung, aber auch Technologien zur CO2-Abschiedung aus der Luft und Speicherung oder Weiterverwendung. Weitere Investitionen in fossile Brennstoffe dürfe es aber auf keinen Fall geben, um die Globale Erwärmung und die damit einhergehenden Gefahren noch irgendwie abzumildern.

Deutschland in der Pflicht

Doch genau das passiert, wie Umweltorganisationen nach Veröffentlichung des Abschlussberichtes kritisieren. Die Umwelt- und Menschenrechtsorganiation Germanwatch erklärte gestern: „Die Kluft könnte kaum größer sein: Während Öl- und Gasunternehmen sowie -staaten 2022 Rekordgewinne eingefahren haben und diese großteils wieder in neue Öl- und Gasfelder investieren wollen, warnt der heute veröffentlichte Synthesebericht des 6. Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC genau davor.“ Christoph Bals, politischer Geschäftsführer von Germanwatch, nimmt Deutschland in die Pflicht: „Für die Bundesregierung bedeutet dies, dass sie keine weitere Zeit verlieren darf. Sie muss jetzt die notwendigen Beschlüsse für den Umbau des Verkehrs- und Gebäudesystems, für die Beschleunigung des Ausbaus Erneuerbarer und der Energieeffizienz fassen. Es gilt, das Klimaschutzgesetz umzusetzen und ein Klimasofortprogramm zu verabschieden, das den Rechtsbruch insbesondere im Verkehrs-, aber auch im Gebäudesektor beendet.“

„Hitzewellen, Wasserknappheit, Artensterben, Ernteeinbrüche, Extremwetterereignisse sind auch in Deutschland bereits Realität“, mahnte Antje von Broock, Geschäftsführerin beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Die Ampelregierung habe Verantwortung in dieser krisenhaften Zeit übernommen und müsse dem nun nachkommen. Vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz müsste dafür dem (Nicht)-Handeln der FDP entgegentreten, die aktuell im Verkehrs- und Wärmebereich Klimaschutzmaßnahmen blockieren.

Auch Simone Peter, Präsidentin des Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) mahnte, den gemäß Koalitionsvertrag längst überfälligen Austausch von Öl- und Gasheizkesseln ab 2024 sozialverträglich voranzubringen, statt die Anforderungen an Heizsysteme abzuschwächen, wie es die FDP will und auch die Opposition fordert. Deutschland müsse raus aus den Top-Ten der Klimakillerländer und rein in die Klimaneutralität“, so Peter. Zugleich müsse Deutschland international seine Kooperation und Investitionen für Klimaschutzmaßnahmen in anderen Ländern verstärken, fordert Germanwatch. So müsse sich etwa die international zugesagte Klimafinanzierung im neuen Bundeshaushalt wiederfinden. Ende der Woche tagt der Koalitionsausschuss der Bundesregierung. Die Probleme stauen sich. mg


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