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Energiewende-StudieEuropas Zukunft ist erneuerbar

Die Freiflächen-Solaranlage Rüdersdorf bei Berlin auf einer ehemaligen Mülldeponie versorgt die Stadt mit Ökostrom
Solarstrom vom Land in die Stadt: Die Freiflächen-Solaranlage Rüdersdorf bei Berlin auf einer ehemaligen Mülldeponie versorgt die Stadt mit Ökostrom. Leise, sauber, und gut fürs Klima. (Foto: Nicole Allé)

Das Potenzial von Wind- und Solarenergie ist groß genug, um Europa zu 100 Prozent mit Ökostrom zu versorgen, zeigt eine Studie. Auf regionaler und lokaler Ebene ist Selbstversorgung rechnerisch meist möglich. Eng wird es lediglich in Ballungsräumen.

04.09.2019 – Es gibt bereits mehrere Studien, die mit verschiedenen Ansätzen und Berechnungen auf ein ähnliches Ergebnis kommen wie die aktuell publizierte Studie des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam: 100 Prozent Erneuerbare Energien sind für Europas autarke Stromversorgung möglich.

Die Möglichkeit zur autarken Stromversorgung ausschließlich mit Wind- und Solarenergie setzt zunächst voraus, dass genügend Flächen zur Energiegewinnung zur Verfügung stehen. Die Forscher von IASS und der ETH Zürich ermittelten daher das technische Potenzial der Dach- und Freiflächen-Photovoltaik sowie der On- und Offshore-Windkraftanlagen durch eine Analyse der Verfügbarkeit und Zulässigkeit von Landflächen. Dafür berücksichtigten sie die aktuelle Landbedeckung und Landnutzung durch Siedlungen oder Agrarflächen, es flossen Höhenlagen und lokale klimatische Bedingungen mit in die Betrachtung ein. Mittels dieser Daten und Zahlen bestimmten sie die Menge an Ökostrom, die dabei unter Berücksichtigung technischer Aspekte erzeugt werden kann.

Eine nachhaltige und sozial verträgliche Stromerzeugung werde allerdings das technische Potenzial nicht komplett ausschöpfen können, so die Wissenschaftler. Deshalb zogen sie bestimmte Flächen in ihren Berechnungen ab. In Naturschutzgebieten werden bspw. keine technischen Anlagen geplant, auf Ackerland nur solche, die die Agrarwirtschaft nicht verhindern. Ein Beispiel für die kongeniale Kombination von ökologischer Landwirtschaft und Solarenergie ist die Agrophotovoltaik, die vor allem in der Bodenseeregion schon erfolgreich eingesetzt wird.

Interaktive Karte zeigt Ökostrom-Potenzial

Die Forscher des IASS machen ihre Ergebnisse in einer interaktiven Europakarte für jede europäische Region und Kommune online anschaulich und überprüfbar. Dabei zeigt die Karte europaweit, welches Potenzial für die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien jeweils besteht und ob die Region sich damit auch selbst versorgen kann. Man zoomt ganz einfach in der Karte in eine Region – sei es auf die Insel Zypern in Europas Südosten, in die norwegische Kommune Nordkapp im äußersten Norden, in Europas östliche Spitze ins rumänische Sulina, in die Metropolen Berlin, Paris oder Rom, bis hin zum portugiesischen Ort Sagres an Europas südwestlichstem Zipfel: Im Vergleich stehen jeweils Einwohnerzahl, der aktuelle Stromverbrauch und die möglichen Ausbaukapazitäten.

Alles ist möglich: Potenzial größer als Nachfrage

Wie in bereits durchgeführten Analysen konnten die Autoren erneut belegen, dass das technisch-soziale Potenzial von erneuerbarem Strom größer ist als die Nachfrage auf kontinentaler und nationaler Ebene. Um eine Stromautarkie ebenso auf subnationaler Ebene zu erreichen, müssten Regionen allerdings sehr große Teile oder ihr gesamtes nicht bebautes Land für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien nutzen, so das Studienergebnis.

In den Ballungsräumen mancher Städte würde es eng werden, meinen die Autoren, eine Vollversorgung mit Erneuerbaren werde dort zwangsläufig mit einem hohen Landverbrauch einhergehen.

Städte wie etwa Oslo hätten bspw. wenig Potenzial, da weniger als ein Viertel der Nachfrage nach Strom durch lokale Erneuerbare Energien gedeckt werden könnte – legt man die Betrachtungsweise der Studie zugrunde. In weiteren städtischen Gebieten sehen die Forscher ein unzureichendes technisch-soziales Potenzial, darunter auch die Regionen Île-de-France, Dublin oder Berlin. Um hier trotzdem Autarkie zu erreichen, könnten diese Städte mit dem Umland kooperieren und so dann doch autarke Metropolregionen formen. Die Forscher geben aber zu bedenken, dass Ökostrom-Autarkie um jeden Preis zu einer Konzentrierung der Stromproduktion hin zu bereits dicht besiedelten Gebieten führt: „Das wäre möglich, aber ob es auch wünschenswert ist, muss jede Region für sich entscheiden“, schreiben die Studienautoren.

Urbane Energiewende voranbringen

Große Freiflächen sind in Großstädten natürlich Mangelware, vor allem die großen Wohn- und Gewerbegebäude könnten jedoch für Solaranlagen genutzt werden. In vielen Städten ist das Potenzial an Dachflächen für Solarenergie kaum ausgeschöpft. Einige Städte haben denn auch Solardachprogramme angestoßen, bemühen sich um Mieterstromprojekte oder verpflichten Bauherren von Neubauten zu einem Solardach. So könnten allein in den zwanzig größten deutschen Städten bis zu 33.000 PV-Anlagen installiert werden. Um die gesamte Stromnachfrage der bayerischen Hauptstad München zu decken, müssten bspw. knapp neun Prozent des Stadtgebietes für die Installation von Solaranlagen verwendet werden – das entspräche einer Fläche von 27 Quadratkilometern. In Berlin betrüge der Anteil rund 8,4 Prozent. Rund 2.400 Hektar an Dachflächen stünden in Berlin für die Installation von Solaranlagen zur Verfügung. In Paris müsste bspw. allerdings knapp die Hälfte des gesamten Stadtgebietes mit Solarzellen bestückt werden.

Die Politik macht es dem Ausbau der Solarenergie allerdings schwer. Dabei ist gerade im urbanen Raum die Nachfrage groß: Mieterstrom macht es theoretisch vielen Bürgern möglich, sich aktiv an der Energiewende zu beteiligen. Doch die bürokratischen Hürden sind groß. Oft fehlt es auch einfach an Wissen und Kommunikation.

Möglichkeiten für Europas saubere Energiezukunft

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass in ländlichen Regionen oder Stadtregionen mit viel ländlichem Umland Autarkie basierend auf Strom ausschließlich aus erneuerbaren Energiequellen möglich wäre: Auf der lokalen Ebene sei das Potenzial in 75 Prozent der Kommunen ausreichend, um die jährliche Nachfrage zu decken.

Bei Anwendung der Einschränkungen des technisch-sozialen Potenzials, das die Forscher errechnet haben, beträgt das Gesamtpotenzial auf kontinentaler Ebene laut Studie 15.000 Terawattstunden pro Jahr (TWh/a) – das übersteige den heutigen Strombedarf um das Vierfache, so die Forscher. Selbst bei strengen sozialen Zwängen, bei denen das technische Potenzial um über 90 Prozent reduziert wird, wäre das Potenzial Europas für Strom aus Erneuerbaren Energien immer noch hoch genug, um Stromautarkie auf kontinentaler Ebene zu erreichen. Grundsätzlich, so das Fazit der Studie, sei ein stromautarkes, komplett Erneuerbares Europa möglich – vor allem, wenn zwischen den Regionen und Ländern ein Handel auf den Weg gebracht wird. na


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