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Nachgefragt
19. Juli 2022

Wärmewende ins Herbstpaket

Positive Überraschungen und ungenügende Weichenstellungen – mit etwas Abstand blickt Simone Peter, Präsidentin des Bundesverband Erneuerbare Energie, auf EEG-Novelle und weitere Verordnungen der letzten Wochen zurück. Erhebliches Verbesserungspotenzial sieht sie bei der Wärmewende.

Dr. Simone Peter, Präsidentin Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) e.V.

Dr. Simone Peter, Präsidentin Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) e.V.
Eine Frau mit blonden Haaren und rotem Balzer lehnt an einem Solarmodul
Foto: © BEE

Die Bundesregierung hält das Wiederhochfahren von Kohlekraftwerken angesichts der Gaskrise für nötig. Wirtschaftsminister Habeck nannte dies eine „bittere Entscheidung“. Wie sehen Sie das?

Dem Urteil des Wirtschaftsministers kann ich mich nur anschließen. Wir können die übergroße Importabhängigkeit von fossilen Energieträgern nicht so schnell überwinden, gerade in der Wärme, wo statt Gas auch Kohle-KWK zum Einsatz kommen kann. Allerdings sind auch die Erneuerbaren Alternativen eine Option, schnell mehr Wärme bereitzustellen. Sie blieben bisher unterbelichtet und gehören dringend ganz oben auf die Agenda zum Herbstpaket. Allen voran Biogas kann Ad-hoc fossiles Erdgas ersetzen. Denn kurzfristig lassen sich etwa 20 Prozent der aktuellen Leistung des Anlagenbestandes zusätzlich mobilisieren. Dies entspricht insgesamt 19 Terawattstunden (TWh) Gas bzw. 7 TWh Strom. Auch Boosterprogramme für Solarthermie und Wärmepumpen könnten den Wärmebedarf vieler Haushalte senken. Allein durch den Einsatz solarthermischer Anlagen in Ergänzung zur jungen Gasheizung kann der Bedarf in den kommenden zwei bis drei Jahren um bis zu 40 Prozent reduziert werden. Zudem stehen Pellets- und Holzscheitanlagen bereit und auch die Tiefengeothermie bietet noch erhebliche Potenziale.

Immerhin sieht das neue Energiesicherungsgesetz vor, dass noch klimaschädlichere Braunkohlekraftwerke nur dann eingesetzt werden sollen, wenn Steinkohlekraftwerke nicht ausreichen und die Trinkwasserversorgung nicht gefährdet ist.

Das Energiesicherungsgesetz muss den Spagat zwischen Energieversorgungssicherheit und Klimaschutz leisten, denn die Klimaziele müssen wir angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise auch einhalten. Deswegen sind Steinkohlekraftwerke für den Gasersatz den wesentlich dreckigeren Braunkohlekraftwerken vorzuziehen. Während Braunkohlekraftwerke zudem vor allem zur Grundlastdeckung beim Strom dienen, sind viele Steinkohlekraftwerke als Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen konzipiert und liefern Strom und Wärme. Damit dienen sie als direkter Gasersatz. Was im Energiesicherungsgesetz jedoch völlig fehlt, sind klimafreundliche Erneuerbare Energien. Damit ignoriert man die Potenziale des heimischen Biogases, das unmittelbar 5 Prozent des russischen Gases ersetzen könnte und mittelbar noch viel mehr.

Neben dem Energiesicherungsgesetz wurde auch an der Novelle des EEG, des Erneuerbare-Energien-Gesetzes geschraubt. Welche positiven Überraschungen hielten die finalen Verhandlungen aus ihrer Sicht bereit?

Die größte positive Überraschung gab es auf jeden Fall bei der Wasserkraft. Hier wurde in letzter Minute noch mal nachgebessert. Die Wasserkraft liegt in Zukunft im überragenden öffentlichen Interesse und die Förderstopps für Wasserkraftanlagen bis 500 kW wurden aufgehoben. Aber auch bei Wind und Solar gab es positive Überraschungen, ebenso bei Bürgerenergie und Mieterstrom. Dennoch muss im Herbst nachgebessert werden. Der Kanzler hat bereits ein Herbstpaket angekündigt.

Welche Rückschläge muss die Erneuerbaren Energienbranche hinnehmen?

Das Ziel des klimaneutralen Stromsystems bis 2035 mit 100 Prozent Erneuerbare Energien wurde gestrichen und stattdessen an die Vollendung des Kohleausstiegs geknüpft. Das ist kein gutes Signal an den Klimaschutz. Auch sollen nach dem Kohleausstieg keine Ausschreibungsvolumen und Gebotstermine mehr festgelegt werden. Das konterkariert die Planungs- und Investitionssicherheit in einer hochsensiblen Phase der Energiewende. Solche Festlegungen sollte man erst nach der Behandlung auf der Plattform Klimaneutrales Stromsystem treffen, wenn klar ist, wie die Marktwerte der Erneuerbaren Energien dauerhaft stabilisiert werden können. Dann käme auch die Rolle der Bioenergie als Flexibilitätsoption zum Tragen, die im EEG überhaupt keine Perspektive erhält. Bei der Windenergie werden die Reformen nicht die erhoffte Beschleunigung bringen. Das Zwischenziel 2027 im Wind-an-Land-Gesetz kann zu weiteren Verzögerungen beim Ausbau führen, genauso wie Regelungen im Bundesnaturschutz zum Artenschutz. Dabei brauchen wir jetzt deutlich schnellere und einfachere Regelungen und Flächen, auch bei Solar. Denn wir erleben weiter unterzeichnete Ausschreibungen. Wichtig sind zudem schnelle Regelungen für das Repowering. 

Was halten Sie von der Überarbeitung des Gebäudeenergiegesetzes?

Der Wärmebereich bleibt ohne die richtigen Maßnahmen der schlafende Riese der Energiewende, deswegen ist eine Reform des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) beziehungsweise auch der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) wichtig. Die angekündigte 65%-Nutzungspflicht für Erneuerbare Energien mit der Einführung im Jahr 2024 ist zu begrüßen, jedoch müssen bis dahin weitere Schritte folgen, um Vorzieheffekte zu vermeiden. Ein geeigneter Zwischenschritt ist das in § 72 Absatz 4 GEG verankerte Betriebsverbot für Öl- und Kohleheizungen die nicht schon die Nutzungspflicht für Erneuerbare Wärme einhalten, auf das Jahr 2023 vorzuziehen und auf die Nutzung fossiler Gase in Gasheizungen auszuweiten. Darüber hinaus würde eine deutliche Ausweitung des Betriebsverbots für überalterte Heizkessel auf Kohlekessel und Niedertemperaturkessel den Wandel der Wärmeversorgung beschleunigen. Dies in Kombination mit gesetzlichen verankerten Ausbauzielen schafft die dringend benötigte Planungs- und Investitionssicherheit für Hersteller von Wärmepumpen, Solarthermie- und Bioenergieanlagen und die Geothermie sowie für das Handwerk und Hauseigentümer:innen. In Anlehnung daran muss auch der Förderrahmen des BEG die Finanzierung der Erneuerbaren Projekte absichern und die Förderung fossil befeuerter Heiztechnik einstellen.

Auf europäischer Ebene spricht sich die Mehrheit im EU-Parlament nun dafür aus, Investitionen in Gas und Atomkraft als nachhaltig zu labeln. Was bedeutet das für die deutsche Energiewirtschaft?

Die Entscheidung des EU-Parlaments wird zusätzlich Anreize für Investitionen in fossile Industrien und Infrastrukturen schaffen und das im Jahr der größten fossilen Versorgungskrise und neuen Hitzerekorden. Das ist paradox! Angesichts des weltweiten Booms der Erneuerbaren mit stetig wachsenden Investitionen in günstige Wind- und Solarenergie wird dieses vorgestrige Signal aber hoffentlich ins Leere laufen. Durch die Entscheidung entwertet die EU damit auch ihr eigenes Label des Green New Deal, denn viele Investoren sind auch in Europa längs auf der Suche nach wirklich grünen Assets. Eine doppelt schlechte Entscheidung also. Die deutsche Bundesregierung sollte sich deshalb der Klage anderer Länder anschließen.

Auch in Deutschland wird mit neuen LNG-Terminals zusätzliche Gasinfrastruktur gebaut. Halten Sie dies für das richtige Vorgehen?

Wir müssen zwar kurzfristig auch auf Gas und Kohle zurückgreifen, um auf die immense Gasabhängigkeit von Russland kurz bis mittelfristig zu kompensieren, aber zugleich sollten alle Erneuerbaren Optionen entfesselt werden. Daneben zeigen die LNG-Terminals doch noch etwas ganz anderes: Sie wurden innerhalb von drei Monaten genehmigt. Es geht also! Warum so ein Tempo nicht auch beispielsweise bei der Windkraft? Hier liegt die durchschnittliche Genehmigungsdauer nämlich bei sechs Jahren. Wichtig ist zudem, dass neue Infrastrukturen den Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht blockieren und uns damit bei der Energiewende erneut zurückwerfen.

Das Interview führt Manuel Först


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