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Urbane EnergiewendeQuartiere neu denken

Lutbild des Geländes des zukünftigen Stadtteils.
Noch ist auf dem Gelände im Süden von Lichterfelde nichts von der Vision zu sehen. Das wird sich bald ändern. (Visualisierung:  © Groth Gruppe)

Es ist eines der größten Neubauprojekte Berlins. 6.000 Menschen sollen einmal in Neulichterfelde wohnen. Angesichts drängender Klima- und Umweltfragen wird ein nachhaltiges Quartier geschaffen, das den CO2-Ausstoß auf ein Minimum senkt.

11.06.2020 – In neuen nachhaltig geplanten Quartieren kann sich die Vielfalt der Energiewende auf engstem Raum entfalten.In Neulichterfelde wird der Ökostromanbieter NATURSTROM dafür einen neuen Standard setzen und zeigen, wie Sektorenkopplung funktioniert. Mit dem Konzept des Mikrostadtwerk wird das Unternehmen Ansprechpartner für alle Energiebelange im Quartier – von lokaler Energieerzeugung und intelligenter Steuerung über E-Mobilitäts-Sharing bis zu Bürgerdialogformaten. Die Lage des neuen Quartiers bietet dabei ideale Voraussetzungen, ein Reallabor für die nachhaltige Stadt der Zukunft zu entwickeln.

Ökonomie, Ökologie, soziale Verantwortung im Einklang

In Berlins Süden, unweit des S-Bahnhofs Lichterfelde Süd, befindet sich der ehemalige Truppenübungsplatz „Parks Range“, ein Gelände mit wechselhafter Geschichte. Während des Zweiten Weltkriegs war hier das Kriegsgefangenenlager Stalag III D untergebracht, wovon noch einzelne Baracken auf dem Gelände zeugen. Nach dem Krieg wurde das Gebiet an der Grenze zu Brandenburg von der US Armee als Übungsplatz für Häuserkämpfe genutzt. Seit Abzug der Truppen 1994 breitete sich schließlich die Natur auf der Fläche aus und entwickelte sich durch Landschaftspflegemaßnahmen wie z.B. einer extensiven Pferdebeweidung in den vergangenen Jahren zu einem echten „Hotspot“ der Artenvielfalt. In der nun so genannten Lichterfelder Weidelandschaft finden sich rund 500 Pflanzen- und 60 Brutvogelarten, zahlreiche Amphibienarten wie die geschützte Zauneidechse sowie knapp 300 Schmetterlings- und ebenso viele Wildbienen- und Wespenarten.

Auf etwa 39 Hektar des insgesamt 96 Hektar großen Geländes entwickelt die Berliner Groth Gruppe, die als Immobilienunternehmen die Fläche 2012 erwarb, nun ein neues Stadtquartier – Neulichterfelde. Mit den geplanten ca. 2.500 Wohnungen – davon rund 2.100 Geschosswohnungen und 400 Reihenhäuser und Doppelhaushälften, wird es ein neues Zuhause für etwa 6.000 Menschen sein. Die wertvollen Biotopstrukturen der Lichterfelder Weidelandschaft bleiben erhalten. Gleichzeitig wird ein Teil der Freifläche in Form einer naturnahen Parkanlage für alle Anwohner zugänglich gemacht. Nahversorgungseinrichtungen, eine Grundschule, Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie einen Sportplatz, der auch – Achtung, Spoiler! - für die Energieversorgung noch eine wichtige Rolle spielen wird, ergänzen das Quartier. Der Start des ersten Bauabschnitts ist für Herbst 2020 geplant.

Nicht nur Lage und Ausstattung des jüngsten Berliner Stadtviertels ist einzigartig, auch in der Planung und ganzheitlichen Entwicklung geht das Projekt neue Wege. Statt auf Standardangebote zu setzen hat die Groth Gruppe – begleitet von der Berliner Energieagentur – einen Innovationswettbewerb für das Quartier Neulichterfelde ins Leben gerufen. Dabei wurden potenzielle Wärmeversorger aufgefordert, zu den Themen Wärme und Stromversorgung, E-Mobilität, Logistik und Infrastruktur, Konnektivität und Digitalisierung sowie sozialen Aspekten innovative und kreative Umsetzungskonzepte einzureichen. NATURSTROM hat daraufhin für Neulichterfelde ein integriertes Energiekonzept entwickelt, das neben der Wärme- und Stromversorgung auch E-Mobilitätsangebote und Einbindung der BürgerInnen umfasst. Mit Erfolg: Das Konzept überzeugte, so dass Neulichterfelde nun als NATURSTROMs bisher größtes Quartiersprojekt realisiert werden kann.

Neben NATURSTROM sind drei weitere Partner von Beginn an im Projekt aktiv, um gemeinsam mit der Groth Gruppe den neuen Stadtteil zu entwickeln: Die Goldnetz gGmbH für die Initiierung von sozialen Netzwerkstrukturen sowie Beschäftigungs- und Beratungsprojekten für eine gute Nachbarschaft, die Toyota Kreditbank für das Mobilitätskonzept des Quartiers sowie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Berlin e.V. für Erhalt und Pflege der Lichterfelder Weidelandschaft. In einem gemeinsamen Entwicklungsprozess werden alle Belange eng miteinander verzahnt und entstehende Synergien genutzt.

Ein Sportplatz heizt ein

Das Herzstück der integralen Energieplanung für das Quartier ist klimaneutrale Wärme. In Neulichterfelde wird für die Geschossbauten ein klassisches Nahwärmenetz und ein innovatives Wärmepumpenquartier für die Reihenhäuser installiert. Das klassische Nahwärmenetz versorgt die Geschosswohnungen im Quartier mit Wärme aus anteilig biogasbetriebenen und von Solarthermie unterstützten Blockheizkraftwerken (BHKW) und Brennwertkesseln. Blockheizkraftwerke gewinnen durch Kraft-Wärme-Kopplung zugleich Wärme und elektrische Energie. Dadurch werden große Mengen an Brennstoff eingespart und Emissionen stark reduziert. Solarthermieanlagen auf den Häusern wandeln zusätzlich Sonnenenergie in nutzbare Wärme für die Gebäude um. Gespeichert wird sie in Wärmespeichern vor Ort.

Highlight des Wärmekonzepts ist jedoch die Errichtung eines innovativen und vollkommen brennstofffreien Wärmepumpenquartiers. Unter Nutzung einer Kombination aus oberflächennaher Geothermie und Abwasserwärmegewinnung heben Sole-Wasser-Wärmepumpen die Temperatur dezentral auf ein nutzbares Niveau. Die Netze in Wärmepumpenquartieren können bereits mit niedrigen Temperaturen von 0-15 Grad Celsius betrieben werden, verlieren wenig Wärme und sind daher hocheffizient. Das Wärmenetz wird als „kalt“ bezeichnet, weil die Temperatur der darin fließenden Sole deutlich unter den sonst üblichen 80 °C liegt. Dadurch kann die Energie der Umwelt genutzt werden: Das Erdreich weist ganzjährig Temperaturen von ca. 10 Grad auf. Diese Energie wird über Flächenkollektoren, die unter dem Sportplatz entstehen, nutzbar gemacht und zum Erwärmen des kalten Netzes genutzt. Gleichzeitig weist das Netz nur geringe Temperaturverluste auf, schließlich ist die Umgebung kaum kühler als das Netz selbst, so dass keine Rohrdämmung notwendig ist. Die dezentralen Wärmepumpen in den Reihenhäusern des Quartiers schließlich funktionieren wie ein umgekehrter Kühlschrank: Angetrieben mit Strom heben sie die Temperatur auf das für Warmwasser und Fußbodenheizung benötigte Niveau.

Umweltwärmenutzung, Kraft-Wärme-Kopplung, Solarthermie: Die Technologien für die Wärmeerzeugung sind modular einsetzbar und flexibel an die lokalen Gegebenheiten anpassbar – in diesem Fall heizt eben der Sportplatz dem Quartier ein. Ein Wärmepumpenquartier hat darüber hinaus den Vorteil, dass das System im Sommer durch die Kälte des Bodens zur Temperierung der Wohnhäuser und damit als „grüne Klimaanlage“ genutzt werden kann – ein wichtiger Faktor angesichts zunehmend heißer Sommer in Deutschland.

„NeuLicht-Strom“ für Mensch, Technik und Gefährt

Neulichterfelde ist ein gutes Beispiel dafür, dass urbane Quartiere ein enormes Potenzial für die Stromgewinnung aus der Sonne haben. Zu ihrer Nutzung sollen Photovoltaikanlagen auf den Dächern installiert werden, welche gemeinsam mit den Blockheizkraftwerken lokalen Strom für das Quartier erzeugen. Dieser Strom vom Dach und aus dem Keller wird in Neulichterfelde zum „NeuLicht-Strom“: Er kann die für die Wärmeversorgung nötige Technik wie die Wärmepumpen mit Strom versorgen; auch die im Quartier vorgesehene Ladeinfrastruktur für E-Mobilitätsangebote wird davon gespeist. Im Bereich Mobilität bietet NATURSTROM das durch den erprobten Einsatz in Köln bewährte E-Lastenrad-Sharing Donk-EE an. Mit den per App leihbaren Lastenrädern lassen sich Menschen, Einkäufe und Gepäck klimaneutral durch das Quartier transportieren. In den Reihenhäusern können darüber hinaus Wallboxen installiert werden zum schnellen und komfortablen Laden von Elektrofahrzeugen. Ebenfalls sollen auch die Bewohnerinnen und Bewohner von Neulichterfelde von der lokal erzeugten Energie profitieren: indem sie „ihren“ Strom als Mieterstromprodukt beziehen können.

Damit alle Energie-Komponenten im Quartier optimal aufeinander abgestimmt sind, sollen sie über eine moderne Energiedatenerfassung im „Internet der Dinge“ verbunden werden – denn die Energiewende ist zunehmend digital. Die konsequent verzahnten, intelligenten Technologien nutzen insbesondere dem Klima: Während die Wärme- und Stromversorgung für ein herkömmliches Quartier dieser Größe etwa 6.385 Tonnen CO2 pro Jahr verursachen würde, sollen es in Neulichterfelde lediglich 139 Tonnen pro Jahr sein.

Mensch und Energie im Dialog

Energie fließt in ihrer Vielfalt durch nahezu alle Bereiche des täglichen Lebens – und fristet im Bewusstsein der Menschen doch meist nur ein Schattendasein. In urbanen Quartieren, wo sich Energiewende und ihre positive Wirkung auf Umwelt und Klima auf engstem Raum betrachten, erfahren und erleben lässt, ergibt sich dagegen die Chance, dies nachhaltig zu verändern. Durch Kommunikation, Nähe und Interaktion können die Bewohnerinnen und Bewohner des Quartiers eine persönliche Beziehung zu diesem komplexen Thema aufbauen und damit klimafreundliches Handeln fördern.

Schon ab dem ersten Spatenstich in Neulichterfelde im Herbst 2020 wird das ganzheitliche Energiekonzept von NATURSTROM in einem Info-Pavillon auf dem Gelände im Süden Berlins für die Öffentlichkeit sichtbar gemacht werden. Ist gerade kein persönlicher Besuch der Lichterfelder Weidelandschaft geplant, lässt sich aber auch aus der Ferne beobachten, was gerade auf der Baustelle geschieht: Ein Online-Bautagebuch wird die einzelnen Bauphasen und die jeweils verbaute Technik erläutern und bebildern. Nach Bezug der Wohnungen und Häuser dann machen Führungen, Vorträge und Sprechstunden die Quartiersenergie greifbar, die zusätzlich durch ein digitales Energie-Portal ein Gesicht bekommt, in dem Energieerzeugung und -verbrauch visualisiert werden. Fast nebenbei werden die Menschen damit zu Energieexperten in ihrem eigenen Zuhause – und gelingt gelebte Energiewende im Zukunftsquartier Neulichterfelde. Silke Bartolomäus

Dieser Artikel erschien zuerst in der aktuellen Print-Ausgabe der energiezukunft – Das Thema: Urbane Energiewende.


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