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VersorgungssicherheitStörfall stellt europäischen Netzverbund auf die Probe

Strommasten ragen aus Nebel
In Sekundenschnelle haben die Regelmechanismen beim Frequenzabfall im europäischen Verbundnetz gegriffen. (Foto: NickyPe auf Pixabay)

Ein plötzlicher Frequenzabfall im europäischen Stromnetz hat Anfang Januar für einige Fragezeichen und Aufregung gesorgt. Die Ursachen sind immer noch nicht aufgeklärt. Fest steht: Die automatische Gegensteuerung hat funktioniert.

15.01.2021 – Das Szenario eines europaweiten Black Outs beschwört viele Ängste herauf. Als es vergangenen Freitag zu einem plötzlichen Abfall der Frequenz im europäischen Stromnetz kam, meldeten sich sehr schnell alarmierende Stimmen. Der Geschäftsführer des Industrieverbandes VIK, Christan Seyfert, sprach von einer Warnung. Der FDP-Politiker Martin Neumann beschwor das Bild der wackligen Beine, auf denen die europäische Versorgungssicherheit stehe.

Dabei haben die Systeme den Störfall gut abgefedert. Aus bisher ungeklärter Ursache kam es am 8. Januar 2021 kurz nach 14 Uhr Ortszeit zu größeren Frequenzabweichungen ausgehend von Südosteuropa, in deren Folge sich diese Region vom übrigen europäischen Verbund automatisch abtrennte.

Die Abtrennung des Teilnetzes hatte deutliche Auswirkungen auf die Netzfrequenz im übrigen Verbund. Sie sank innerhalb von 14 Sekunden von circa 50,027 Hz auf minimal 49,742 Hz. Auf europäischer Ebene fehlte deshalb schlagartig relevante Leistung in Gigawattgröße.

Nach einer Stunde wurden Netzregionen wieder verbunden

Für solche Fälle ist Vorsorge getroffen. Gestaffelte Regelmechanismen sollen zu einer Leistungsanpassung führen, um zunächst die Frequenz wieder zu stabilisieren (Primärregelleistung) und anschließend wieder zu 50,0 Hz zurückzuführen (Sekundär- und Tertiärregelleistung). Diese Regelmechanismen kamen in diesem Fall zum Tragen. In einigen Regionen wurde zusätzlich Kraftwerksleistung zugeschaltet, in Frankreich und Italien wurden ausgewählte Verbraucher vom Netz getrennt. Ungefähr eine Stunde waren die beiden Netzregionen voneinander getrennt, bis sie wieder verbunden werden konnten.

Tobias Veith, Professor für Energiewirtschaft an der Hochschule Rottenburg und Mitinitiator von Gridradar, beurteilt das Ereignis so: „Die aus der Netzaufspaltung 2006 gezogenen Lehren haben das Dunkelschalten großer Teile Europas dieses Mal verhindert. Die Zusammenarbeit und Koordination der Übertragungsnetzbetreiber auf europäischer Ebene hat gut geklappt. Innerhalb von ein bis zwei Sekunden wurden tausende Kilometer entfernt in Frankreich Verbraucher abgeschaltet.“ In anderen Regionen wurde Kraftwerksleistung zugeschaltet.

Seiner Meinung nach sind die Übertragungsnetzbetreiber gut für solche Szenarien aufgestellt. Allerdings seien dabei die noch vorhandenen großen Schwungmassen, die in konventionellen Kraftwerken bereitgestellt werden, ein wesentlicher Faktor. „Darauf sind die Übertragungsnetzbetreiber im Moment stark angewiesen. Darauf basiert schlichtweg das vorhandene Regelkonzept“, erklärt Veith. Die Schwungmassen bilden die sogenannte Momentanreserve und die erste Stufe eines vierstufigen Regelmechanismus. Reichen sie nicht aus, um die Frequenz zu stabilisieren, greifen nacheinander drei Regelleistungsstufen.

Das Problem werde dann größer, wenn die Schwungmassen verstärkt abgeschaltet werden und kein anderes Konzept existiert. Die Übertragungsnetzbetreiber müssten sich darauf vorbereiten und vorbereitet werden. „Bei diesem Ereignis fiel die Frequenz sehr schnell ab. Das könnte darauf hindeuten, dass vielleicht nicht genügend Momentanreserve zur Verfügung stand. Ich glaube, das hat alle überrascht, mit welcher Geschwindigkeit dieser Frequenzabfall vonstatten ging“, fügt Veith hinzu.

Hintergrundwissen

Das Europäische Verbundnetz ist ein Zusammenschluss der Übertragungsnetze der kontinentaleuropäischen Länder. Von Portugal über Zentraleuropa bis in die Türkei reicht der Verbund, in dem 41 Übertragungsnetzbetreiber aus 34 Staaten zusammenarbeiten. Koordiniert wird diese Zusammenarbeit von ENTSO-E, dem Verband, in dem alle Übertragungsnetzbetreiber Pflichtmitglieder sind. Die Abkürzung ENTSO-E steht für die englische Bezeichnung des Verbandes: European Network of Transmission System Operators for Electricity.

Das Verbundnetz wird mit Wechselstrom gespeist, der eine Frequenz von 50,0 Hz hat. Diese Netzfrequenz ist mit Ausnahme von lokalen kurzfristigen Pendelungen im gesamten Verbundnetz gleich.

In jedem Augenblick müssen die Kraftwerke genau so viel Strom erzeugen, wie von den Verbrauchern nachgefragt wird. Gibt es Abweichungen wird das Leistungsdefizit zwischen zugeführter und abgenommener Leistung aus der Rotationsenergie der Generatoren gedeckt. Diese werden dadurch langsamer, infolgedessen sinkt die Netzfrequenz. pf

Nachtrag vom 18.01.2021: Der Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber hat am 15.01.2021 eine Analyse zum Vorfall veröffentlicht. Sie ist hier zu finden.

Update vom 26. Januar 2021: ENTSO-E teilt mit, dass ein Vorkommnis in einem Umspannwerk in Kroatien der Auslöser für die Kettenreaktion und schließlich die Splittung des europäischen Verbundnetzes war. Ein fehlerhafter oder in der technischen Planung unberücksichtigter Überstromschutz in der Umspannanlage gilt als Ursache.


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Kommentare

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Ing. Ivo Krieg 29.05.2021, 08:54:36

Ist im Kohleausstiegsgesetz ein Passus, der den Weiterbetrieb des Generators als Schwungmasse vorsieht, oder eine Umrüstung aller Steuerungen zur Anpassung an flexiblere Frequenzen ermöglicht?

Die Starren 50 Hertz braucht heute keiner mehr. Wen jukts, wenn die Rolltreppe 3% langsamer läuft?


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