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Kaltes NahwärmenetzGemeinde in der Südpfalz heizt klimafreundlich

Luftaufnahme Offenbach altes und neues Rathaus, Sportplatz, Kita
In Offenbach an der Queich befinden sich viele öffentliche Gebäude und Anlagen in nächster Nähe – ein Vorteil für das geplante Nahwärmenetz. Auf dem Dach des neuen Rathauses erzeugen Kombimodule Strom und Wärme. (Foto: ESW Projektentwicklung/Gemeinde Offenbach)

Wenn Akteure auf kommunaler Ebene gut zusammenarbeiten, können sie viel bewegen. Vor mehr als zehn Jahren wurden in Offenbach die ersten Windräder gebaut, weitere Klimaschutzprojekte folgten. Nun beginnt der Bau eines kalten Nahwärmenetzes.

02.12.2021 – Offenbach an der Queich ist eine kleine Gemeinde in der Südpfalz, eingebettet in üppige Wiesen, die von dem beschaulichen Flüsschen bewässert werden. Seit fast zwei Jahrzehnten ist hier Axel Wassyl Bürgermeister. Der studierte Verwaltungsprofi hat die Energieversorgung der Gemeinde von Anfang an im Blick gehabt. Persönliches Interesse, wie er selbst sagt, aber auch die Überzeugung, dass sich etwas ändern muss, treiben ihn an.

Rechnerisch erzeugt die Gemeinde bereits doppelt so viel Strom aus Windkraft und Photovoltaik wie sie selbst benötigt. Die Anfänge dafür liegen mehr als zehn Jahre zurück. Als die Regionalplanung 2008/2009 einen Standort für drei Windkraftanlagen suchte, winkten viele Bürgermeisterkollegen in der Nachbarschaft ab. Wassyl hob die Hand: „Stellt sie zu uns, wir nehmen sie gern.“ Die Gemeinde machte den Weg frei für die planerische Ausweisung, aus der Bürgerschaft gab es keinen Widerstand. Vor fünf Jahren kamen weitere sechs Anlagen hinzu, an denen auch die Gemeinde beteiligt ist.

Parallel zum Bau der ersten Windräder – es gibt ja immer mehrere Baustellen, wie Wassyl mit einem Augenzwinkern erzählt – stand die Schwimmbadrenovierung an. Das Wasser im Queichtalbad wird über längere Zeiträume vorgeheizt, ein energieintensiver Service. Wassyl kam die vor Jahren angedachte und wieder verworfene Idee an ein Nahwärmenetz in den Sinn. Eine alte Geothermie-Bohrung, die zur Stromerzeugung erkundet worden war, existierte noch. Zur dauerhaften Stromausbeute hatte das gefundene Reservoir nicht ausgereicht. Die Bohrung sollte eigentlich von Amts wegen stillgelegt werden, Wassyl konnte das erfolgreich ausbremsen – mit dem Argument, die Wärme eines Tages nutzbar machen zu wollen.

Für das Schwimmbad initiierte Wassyl schließlich eine Funktionalausschreibung, die ein Ziel vorgab und keine konkreten Leistungen. Aus dem konventionell beheizten Schwimmbad sollte ein nachhaltig beheiztes werden. 2009 wurde die CO2-neutrale Lösung in Betrieb genommen. Sie funktioniert mit Solarabsorbern, Solarthermie und einer nächtlichen Beckenabdeckung. Allein letztere senkt den Energiebedarf um 30 bis 40 Prozent. Die Idee des Nahwärmenetzes verschwand wieder in der Schublade – aber nicht für immer.

Über die Jahre wurde in der Gemeinde kontinuierlich die Photovoltaik ausgebaut. Auf den öffentlichen Gebäuden in Offenbach finden sich diverse zum Teil mit Batteriespeichern kombinierte Anlagen: auf der Schule, dem Museum, dem Grillhaus.

Nach dem Strom kommt die Wärme

Auf die bereits zurückgelegte Wegstrecke kann die Gemeinde nun aufbauen: beim Nahwärmenetz, das endlich Gestalt annehmen und zukünftig das Queichtalquartier versorgen soll. „Beim Strom sind wir schon weit, bei der Wärme müssen wir noch besser werden“, beschreibt Wassyl den Ausgangspunkt für das aktuelle Projekt, das nun schon so viele Jahre in seinem Kopf rumort.

Die Initialzündung kam mit der Entscheidung für den Neubau des Rathauses. Das alte Rathaus logiert in einem Gebäude aus den 70er Jahren, ein Betonbau mit hohem Energieverbrauch, der zudem von oben und von der Seite undicht ist. Die Sanierung hätte Unsummen verschlungen. Die Diskussionen dauerten Jahre, bevor der Neubau beschlossen wurde. Er wurde unter der Prämisse geplant, alle gegenwärtigen Erkenntnisse zu Nachhaltigkeit und Effizienz einfließen zu lassen. Inzwischen steht das Gebäude – direkt vor dem alten. Noch vor dem Winter soll der Umzug stattfinden.

Die Projektentwicklungsgesellschaft der Energie Südwest, die bereits das Schwimmbad erfolgreich klimaneutral saniert hatte, brachte die Idee eines kalten Nahwärmenetzes ins Spiel. Wassyl fand das hochinteressant, weil die Verlegung der Rohre viel einfacher und preiswerter ist. Zudem konnte er einen Vorteil nutzen: Viele öffentliche Gebäude stehen in direkter Nachbarschaft. Gegenüber dem Rathaus befinden sich das Schwimmbad und die Sporthalle, dahinter das Funktionsgebäude des Stadions sowie die Feuerwehr und die kommunale Kita direkt neben dem Rathaus. „Da liegt der Gedanke nahe, alles miteinander zu vernetzen. 2011 und 2016 hatten wir zwei Anläufe dafür genommen, jeweils immer noch mit einem Hochtemperaturnetz und einem Blockheizkraftwerk. Eine Rentabilität ließ sich aber nur mit viel gutem Willen darstellen.“ Mit dem Konzept des kalten Nahwärmenetzes lebte die alte Idee auf und entwickelte neuen Charme.

Ein kaltes Nahwärmenetz wird mit geringeren Temperaturen betrieben und kommt anders als klassische Wärmenetze weitgehend ohne Heizzentrale aus. Es wird lediglich eine kleine Technikzentrale benötigt. Im Wärmenetz wird eine Betriebstemperatur von 10 bis 15 Grad Celsius angestrebt. Dennoch wird dem Wasser im Kreislauf ein Frostschutzmittel zugesetzt, da die Temperatur im Winter auch in die Minusgrade gehen kann, je nachdem, welche Wärmequelle genutzt wird. Auf der Gebäudeseite heben Wärmepumpen diese Niedertemperaturwärme auf Temperaturen zwischen 35 und 40 Grad, mit denen dann geheizt werden kann. Kalte Nahwärme hat den Vorteil geringer Temperaturverluste: Das Netz muss nicht gedämmt werden. Die ungedämmten Rohre können zudem als Wärmekollektoren Umweltwärme aus dem Boden ziehen, wenn es entsprechende Temperaturunterschiede gibt. Zusätzlich sind diverse andere Quellen möglich: Brunnen, Erdwärmesonden oder Abwärme.

Bestehende Strukturen einbinden

Das Ingenieurbüro Schäffler Sinnogy hat verschiedene Wärmequellen untersucht, eine Bestandsaufnahme der bestehenden kommunalen Gebäude gemacht und simuliert, welchen Wärmeanteil die jeweiligen Wärmequellen beitragen und wie ein Jahresverlauf aussehen könnte. „Die Besonderheiten bei diesem Projekt liegen in den vielen unterschiedlichen Wärmequellen, die eingebunden werden sollen“, erläutert Projektleiter Matthias Burr. Wie viele Erdwärmesonden am Ende erforderlich sind, soll die Simulation klären. Denn die Sonden müssen sich auch regenerieren.

„Man darf dem Boden um die Sonde nicht unendlich viel Wärme entziehen. Es muss auch Ruhephasen geben, damit sich das Erdreich um die Sonde wieder erwärmen kann.“ Der spannende Punkt wird nach Burrs Meinung das Freibad sein – denn das soll womöglich nicht nur als Verbraucher ans Wärmenetz angeschlossen werden – sondern auch als Wärmequelle. Die dort verlegten Wärmeabsorber, schwarze Kapillarrohrmatten, duchfließt derzeit noch das chlorhaltige Wasser des Schwimmbeckens. „Wir prüfen, wie wir diese Wärmequelle in die Netzarchitektur integrieren können, denn der bestehende Wasserkreislauf zur Beheizung des Schwimmbads könnte in dieser Form nicht beibehalten werden. Sich darüber den Kopf zu zerbrechen könnte sich lohnen, denn die Absorber werden im Winter geleert, aber wir könnten die natürlich dann auch gut als Quelle für das Nahwärmenetz nutzen.“ Dahinter steht der Anspruch von Sinnogy, möglichst große Teile der bereits existierenden Infrastruktur in das Netz einzubinden.

Doch zurück zum Rathaus, das nicht nur den Neuanfang für das Wärmenetz bedeutete, sondern in dem sich auch dessen wichtigster Maschinenraum befindet. Der Projektentwickler Dominik Hoffmann von der ESW erzählt: „Wir haben uns entschieden, im neuen Rathaus eine Wärmpumpe einzubauen und das Dach mit PVT-Kollektoren zu belegen.“ Das sind Kombimodule, die aus der Kraft der Sonne nicht nur Strom erzeugen, sondern auch die Wärme absorbieren. Das Gebäude selbst wird damit nahezu autark versorgt.

„Eine Nahwärmeleitung rüber zum Schwimmbad und zur Feuerwehr ist nun der Grundstein des Nahwärmenetzes, das in weiteren Stufen ausgebaut werden soll“, berichtet Hoffmann. Die Wärmepumpe mit 50 Kilowatt Leistung ist auf die Ausbeute aus den PVT-Kollektoren optimiert. Sie liefern schon bei niedriger Einstrahlung genügend Wärme. Von ihrem Aufbau her ist sie eine Erdwärmepumpe, nur dass sie keine Erdsonde als Wärmequelle nutzt, sondern die Kollektoren auf dem Dach.

Hoffmann geht auch auf die Wirtschaftlichkeit ein: „Mit der Grundlast der bestehenden Gebäude können wir bereits eine schwarze Null erreichen. Wichtig ist, dass der Kern funktioniert. Danach ist das Netz problemlos erweiterbar.“

Zukunftsvision: Wärme für die ganze Gemeinde

Dieser Gedanke hat ganz reale Gründe. Direkt neben dem bestehenden Quartier soll ein Neubaugebiet erschlossen werden. Klar, dass Bürgermeister Wassyl daran denkt, die Häuslebauer zum Anschluss ans Nahwärmenetz zu bewegen. Auch ein zusätzliches Gewerbegebiet wird gedanklich schon einbezogen. Abwärme zum Beispiel von den Öfen eines Flammkuchenherstellers oder aus dem Kühlprozess eines Recyclingbetriebes für technische Schmierstoffe könnten zusätzliche Wärmequellen werden. Stehen die Inselnetze für das Queichtalquartier, das geplante Neubau- und Gewerbegebiet, können diese leicht verbunden werden. Dann ergeben sich neue Synergien. Die dazwischen liegenden Wohnhäuser könnten angeschlossen werden.

Das schon Erreichte war kein Selbstläufer. Bürgermeister Wassyl ist ein zentraler Akteur, der viele Dinge angeschoben und ermöglicht hat. Seit einigen Jahren ist er nicht nur Ortsbürgermeister, sondern auch Verbandsbürgermeister. Das erleichtert vieles. „Der ist ein Macher und bekommt auch seine Räte motiviert“, sagt Hoffmann über Wassyl. Und Wassyl selbst, was ist sein Erfolgsrezept? „Ich lebe mit offenen Augen und Ohren. Nicht lockerlassen und hartnäckig sein, das sind ebenfalls gute Voraussetzungen. Es geht darum, Möglichkeiten und Chancen zu erkennen und tatsächlich auch als Chance zu sehen. Das Machbare versuchen, keine Pauschalurteile fällen oder übernehmen.“

Wassyl schätzt aber auch seinen innovativen und entscheidungsfreudigen Gemeinderat und verweist auf das örtliche Stromnetz, das in harten Verhandlungen einem großen Stromversorger abgekauft wurde. Dafür wurde die Queichtal-Energie gegründet, die jetzt auch als Investor und Betreiber ins Nahwärmenetz einsteigt. Der dortige Geschäftsführer ist ebenfalls ein wichtiger Partner, aber auch die Ingenieure der Projektentwicklung der ESW. „Dort ist man offen für Ideen.“

Unbegrenzte finanzielle Möglichkeiten hat auch die Gemeinde Offenbach nicht, aber doch recht auskömmliche Gewerbesteuereinnahmen. Doch Wassyl war schon immer der Meinung, dass die Gemeinde sich nicht von Zuflüssen oder Almosen von Landesbehörden abhängig machen dürfe. Eigene Wirtschaftsbetriebe sollten seiner Meinung nach ein finanzielles Standbein der Kommune sein. „Die Wirtschaftlichkeit von Projekten muss aber stimmen, man kann die Kommune ja nicht in ein Risiko hineinreiten.“

Ganz zum Schluss sagt Wassyl noch etwas sehr Einfaches, das aber in Erinnerung bleibt: „Es geht schneller, wenn Klima Chefsache ist. Der Klimamanager bei uns bin ich. Wenn das Thema nicht von oben unterstützt wird, steht jeder Enthusiast auf verlorenen Posten.“ Doch Wassyl weiß ebenso seine Partner zu schätzen, auf die er zählen kann: Neben dem Gemeinderat, dem Projektentwickler und dem kommunalen Stromversorger sind das vor allem die Offenbacher Bürger. Petra Franke

Der Artikel erschien zuerst im Magazin energiezukunft, Ausgabe 31 – November 2021.


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