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Lokale WärmewendeViel Druck, etwas Biogas und optional Sonne

Dithmarscher Landesmuseum
Das Gebäude, in dem das Dithmarscher Landesmuseum untergebracht ist, wird einer der Abnehmer der grünen Wärme werden. (Foto: Dierk Jensen)

Die Dithmarscher Kleinstadt Meldorf strebt die Wärmewende an. Sie will mit einem großen Erdbeckenspeicher Wärme aus Solarthermie, Biogaserzeugung und Industrie auffangen und über lokale Wärmenetze an städtische und private Nutzer liefern.

20.12.2021 – Verschlafen? Na ja, ein bisschen schon, obwohl die kleine Stadt an der Westküste Schleswig-Holsteins einiges zu bieten hat. Rundum drehen sich Windenergieanlagen. Sie ist nah an der Nordsee, am Nationalpark Wattenmeer, sie verfügt über ein spannendes Landesmuseum und sie hat sogar einen backsteinernen „Dom der Dithmarscher“.

Tatsächlich ist Meldorf, ein schnuckeliger Ort mit 7.500 Einwohnern, nicht zu unterschätzen. Und auch nicht seine Menschen. Einer von ihnen ist Rolf Claußen, der als Baustoffhändler und Betreiber einer Kiesgrube in der Region ziemlich hohen Bekanntheitsgrad hat. Aus dem Baugeschäft hat sich der 67-Jährige zwar schon zurückgezogen, doch stattdessen ist er umso mehr in der lokalen Wärmewende engagiert.

Wenn es nach ihm ginge, dann wäre Meldorf in seiner Wärmeversorgung schon in wenigen Jahren klimaneutral. Einen wichtigen Baustein dahin hat er schon parat, zumindest liegt er als Projekt vor: Als Geschäftsführer der sogenannten Wärme Infrastruktur Meldorf GmbH & Co. KG (WIMeG), einer 100-prozentigen Tochter der Stadt Meldorf, will er mit einem innovativen Erzeugungsmix und einem Saisonalwärmespeicher bzw. einem Erdbeckenspeicher in einigen Jahren rund zehn Prozent des Gebäudebestandes in Meldorf mit grüner Wärme versorgen. Darunter auch das Dithmarscher Landesmuseum, das derzeit energetisch komplett saniert wird.

„Ja, der Wärmespeicher ist kompliziert“, sagt Claußen zum 50.000 Kubikmeter fassenden Speicherbau, der in eine große Grube versenkt wird. Bedeckt wird er mit einem sogenannten Floating-Cover, einem Sandwich-Deckel aus Polyethylen (PE) und dämmendem Material. „Dabei ist die Abdeckung über derart große Fläche die eigentliche Herausforderung“, weiß Claußen über das 6,5 Millionen-Projekt, das neben anderen Förderinstrumenten auch eine Unterstützung im Rahmen der Bundesförderung „Kommunale Klimaschutz Modellprojekte“ über mehrere Millionen Euro erfährt. „Soll doch mit dem Erdbeckenspeicher nicht mehr als rund ein Viertel der gespeicherten Wärme an die Umgebung verloren gehen“, geht Claußen in technische Details. Damit am Ende jährlich auch tatsächlich rund 3.000 Megawattstunden Wärme an die städtischen und privaten Kunden abgegeben werden kann.

Wärmemix aus grünen Quellen

Apropos grüne Wärme: Woher kommt sie, wer erzeugt sie? Geplant ist, die Wärme aus drei Quellen zu beziehen. Zum einen ist es die Abwärme einer benachbarten Biogasanlage, die von drei Landwirten (RKM NatUrgas) seit Jahren betrieben wird. Die installierte Leistung der Biogasanlage liefert am Hauptstandort 800 kW elektrisch, hinzu kommt noch ein Satelliten-BHKW mit einer Leistung von 150 kW elektrisch.

Zum anderen soll die Abwärme des größten Betriebes in der Dithmarscher Kleinstadt, die Druckerei der Eversfrank Gruppe, kombiniert werden und den angedachten Speicher auf gewünschte Temperaturen aufheizen. 800 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen, dessen Anfänge vor dem Ersten Weltkrieg liegen, insgesamt an drei Standorten, rund 400 allein in Meldorf. Das Unternehmen gilt als verantwortungsvoller Arbeitgeber und als nachhaltig geführter Betrieb. Als dritte Quelle kommt optional die Solarthermie hinzu, die auf einer Freifläche errichtet werden würde.

Klimaschutz-Vordenker

Weshalb Eversfrank so einen guten Ruf hat? Das hat triftige Gründe. Denn der Eigentümer und frühere Chef Carsten Evers hat sich schon vor einem Vierteljahrhundert, also zu einer Zeit, als viele andere Zeitgenossen die Erneuerbaren Energien und den Klimaschutz noch ignorierten, um eine effiziente und sparsame Produktion intensiv Gedanken gemacht. Besonders die enormen Abwärmemengen, die die Druckprozesse vor allem während des Sommers hervorbringen, haben Evers umgetrieben. Dabei geht es um eine ungenutzte Wärmemenge in der Größenordnung von drei bis sechs Gigawatt – die Nichtnutzung wäre also eine riesige Ressourcen-Verschwendung.

Selfmade Wärmewende

Daher gründete Evers zusammen mit Claußen und anderen vorausschauenden Wärmewende-Pionieren in den 90er-Jahren in Meldorf einen Verein, der es sich zum Ziel setzte, das örtliche Schwimmbad mit der Abwärme aus dem Druckereibetrieb zu versorgen. Was den Wärme-Avantgardisten ziemlich schnell gelang: Sie bauten eine Wärmeleitung von der Druckerei ins nicht weit entfernte Schwimmbad (ca. 300 Meter); seither wird diese Freizeitstätte problemlos mit der industriellen Abwärme beheizt. Es entstand eine Win-Win-Situation: Das Schwimmbad zahlt als städtische Liegenschaft fortan nur 75 Prozent des jeweils aktuellen Ölpreises. Es spart damit ein Viertel der Energiekosten, während Evers aus vermeintlichem „energetischen Abfall“ – über die klimafreundlichen Aspekte hinaus – eine interessante Erlösquelle generierte.

Allerdings ruft dieses Schwimmbad nur einen Bruchteil des Wärme-Angebots der Druckerei ab. Und da sind wir wieder bei Rolf Claußen, der sich als CDU-Kreispolitiker in der Pflicht sah, neue Nutzungsszenarien zu entwickeln. Wie schon gesagt wurde die WIMeG ins Leben gerufen und viele weitere Experten ins Boot geholt. Darunter auch Peter Bielenberg von der EnergieManufaktur Nord (EMN) aus Nordfriesland. Er koordiniert das ambitionierte Wärmeprojekt in Meldorf, versucht die Beteiligten unter einen Hut zu bekommen.

Gute Kommunikation ist der Schlüssel zur Umsetzung

Das Credo von Bielenberg, der zurzeit in ganz Schleswig-Holstein lokale Wärmewendeprojekte auf den Weg bringt, ist, dass „die Menschen zum Projekt kommen – nicht umgekehrt.“ Neben der technischen Seite sei bei Wärmeprojekten in ausgesuchten Quartieren die Kommunikation mit den Einwohnern ein entscheidender Baustein über den späteren Erfolg oder eben Misserfolg.

„Wir müssen die sozialen, privaten und kommunalen Besonderheiten in unserer Konzeptarbeit sensibel berücksichtigen“, sagt Bielenberg, der nach einigen Corona bedingten Verzögerungen nun auf rasche Projektfortschritte in Meldorf setzt.  Zumal sich alle Meldorfer Stadtpolitiker über die Parteigrenzen hinweg einig sind, dass es für „Fair-Trade-Town“ Meldorf, die sich per Stadtvertretungsbeschluss dem Gemeinwohl verpflichtet hat, ganz wichtig sei, ihre angedachte Wärmewende zügig voranzubringen.

Dabei ist sie, und das ist die ernüchternde Wahrheit, ohne öffentliche Förderung ökonomisch derzeit nicht darstellbar. Mit diesem Umstand müssen sich lokale Akteure der Wärmewende an vielen Orten in Schleswig-Holstein und anderswo herumplagen. „Hätten wir 2019 nicht die Zusage über eine etwas mehr als 60-prozentige Förderung seitens des Projektträgers Jülich erhalten, wir hätten unser Quartiersprojekt nicht umsetzen können.“

Dennoch: Aufgrund der hohen CO2-Einsparung werde, so die feste Überzeugung aller Beteiligten, die Wärmeversorgung mittel- bis langfristig günstiger sein als eine Beschickung mit fossilen Energieträgern. Zudem bestehe der Vorteil, so wirbt die WIMeG auf ihrer Website, dass alle Anschlussnehmer bei anstehenden Gebäudesanierungsmaßnahmen günstige Kredite und Fördermittel erhalten.

Act local, think global

Letztlich alles eine Frage des Timings, das in Sache Wärmewende nicht immer stimmt. Während Schleswig-Holstein auf der Stromseite mit Erneuerbaren Energien schon seit langem den Eigenbedarf decken kann, dümpelt der Wärmebereich im nördlichsten Bundesland weiterhin noch mit einem EE-Anteil weit unterhalb von 25 Prozent. Insofern sind Leuchtturmprojekte wie Meldorf trotz der Fortschritte im Strombereich und den ersten erfolgreichen Ansätzen einer Wasserstoffwirtschaft umso wichtiger, um das Bewusstsein der Bevölkerung auch für die eigene fossile Heizungsanlage im Keller zu schärfen.

Wer die „Dekarbonisierung bis 2045“ nicht nur als grüngewaschene und leere Proklamation aus dem Munde der amtierenden Präsidentin der Europäischen Kommission wahrnehmen möchte, der sollte vor Ort jetzt handeln. Ganz im Sinne: „Act local, think global“.

Flexibel bleiben

Dennoch ist auch ein Ort wie Meldorf dem Strudel tiefgreifender sozialökonomischer Wandelungen ausgesetzt. So geht die anhaltende Krise der gedruckten Medien, zusätzlich angefeuert durch die Corona-Pandemie, an einer Druckerei wie Eversfrank nicht spurlos vorbei. Aufträge sind ausgeblieben, Beschäftigte verloren ihre Arbeit, Druckmaschinen sind weniger ausgelastet und geben weniger Abwärme ab. Weniger als prognostiziert, was direkte Auswirkungen auf die bisherigen Wärmekonzepte hat. „Dann brauchen wir eben mehr Solarenergie“, zeigt sich Rolf Claußen aber offensiv flexibel. Dierk Jensen


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