Menü öffnen

WasserkraftPro und Contra für mehr Kleinwasserkraft

Blick auf den Fluss Lahn mit einem Wehr, im Hintergrund die Stadt Marburg
Am grünen Wehr in Marburg arbeitete früher eine Papier- und Ölmühle, die Grüner-Mühle. (Foto: Ludwig Sebastian Micheler auf Wikipedia / CC BY-SA 4.0)

Kleine Wasserkraftwerke haben ihren festen Platz im Erneuerbaren Energiesystem. Doch an kleinen Flüssen existieren darüber hinaus viele tausend ungenutzte Wehre. Sollte deren Potenzial für die Energiewende gehoben werden? Ein Pro und Contra.

18.10.2021 – „Die energetische Nutzung von Wasserkraft in Deutschland ist ausgereizt.“ Das ist zwar immer wieder zu hören oder zu lesen. Aber ist das wirklich so?

Ja: Das stimmt sicherlich, wenn es um die möglichen Kraftwerke an großen und mittleren Flüssen oder Kanälen geht. Dort bringt das hinabstürzende Wasser Turbinen zum Rotieren, die wiederum recht große Generatoren zur Stromproduktion antreiben. Um solche Kraftwerke zu bauen, sind massive Eingriffe in die Flussverläufe notwendig, die es Fischen recht schwer machen, sich im Flusslauf in Richtung Quelle zu bewegen. Schon aus diesem ökologischen Grund wird das heute kaum mehr passieren. Deshalb das Ja.

Nein: Das sagen Menschen, die sich darauf besinnen, dass es zigtausende Querverbaue an Gewässern dritter Ordnung gibt, oft flapsig Wehre an Bächen genannt. Viele davon waren früher Standorte von Kleinwasserkraftanlagen: Wasserräder, die zwischen drei und vierzig Kilowatt Leistung an der Welle aufwiesen, trieben Mühlsteine oder Hammerwerke an. Mit der Industrialisierung verlor diese Art der Wasserkraftnutzung ihre Bedeutung. Nur an wenigen Stellen wurden die Wasserkraftwerke auf Stromerzeugung umgenutzt. Oft laufen die Räder heute noch – aber nur zur Schau, ohne konkrete Funktion. Deshalb das Nein.

Ein Blick zurück

Weit über eine halbe Million Kleinwasserkraftanlagen gab es um 1900 in Europa, die Hälfte davon dürften Wasserräder gewesen sein, die sich in Deutschland gedreht haben – viele davon bis zum Zweiten Weltkrieg. Doch inzwischen weist die Statistik des Umweltbundesamts nur noch etwa 7.600 Wasserkraftanlagen aus. Kleine mit Wasserrädern sind kaum mehr darunter. Die meisten der nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Jahr 2008 vergüteten 6.249 Kleinanlagen sind solche mit Turbinen.

Doch nähme man nur jede Dritte, also eine Zahl von 100.000 nicht mehr existierenden Kleinwasserradanlagen mit einer durchschnittlichen Leistung von 10 Kilowatt (kW) wieder in Betrieb – schon hätte man eine zusätzliche elektrische Grundlast von 1.000.000 kW. Oder umgerechnet 1.000 Megawatt Leistung. Das wäre ein Viertel der aktuell genutzten Wasserkraft. Und fast so viel wie ein Atomkraftwerk, aber auf die gesamte Fläche der Bundesrepublik dezentral verteilt. Hochspannungsleitungen wie für riesige Windparks in Nord- oder Ostdeutschland würden nicht gebraucht, weil die elektrische Energie in den Ortschaften nahe der Klein-Kraftwerke verbraucht würde.

Wirtschaftlich ja, aber…

Warum aber wird die Reaktivierung nicht durchgeführt? Und das selbst in Zeiten, in denen Atomkraft in Deutschland bis Ende 2022 beendet und Kohlestrom bis spätestens 2038 nicht mehr produziert wird? Die Wirtschaftlichkeit dürfte es nicht sein. Denn für den Bau von Wasserrad und Generatorhaus ist der Aufwand überschaubar. Und in den Flusslauf müsste dank des bestehenden Querbauwerks kaum eingegriffen werden.

Das zumindest wäre zu vermuten. Wenn es da nicht die deutsche Gesetzgebung gäbe. „Selbst ein bestehendes Wasserrecht, z.B. an einer Mühle, erlischt automatisch, wenn es drei Jahre lang nicht genutzt wurde. Und dann ist es extrem schwierig, ein neues Wasserrecht zu bekommen.“ Was Kleinwasserkraftfan Bruno Bosy erklärt, ist zwar nicht ganz richtig: das Wasserrecht erlischt nicht automatisch. Aber bei einem Neu-Antrag werde die alte Genehmigung aberkannt, und ein ganz neues Verfahren werde in Gang gesetzt, wissen juristisch begabte Fachleute.

Thomas Keller, der Chef des staatlichen Wasserwirtschaftsamts (WWA) in Ansbach, zählt auf, was potenzielle Wasserkraftanlagenbetreiber zu beachten haben, auch bei bestehenden Querbauwerken: „Durchgängigkeit, Fischschutz, Mindestwassermengen.“ Bei Wasserrädern sieht er den Fischschutz nicht als Problem, die anderen beiden Punkte dagegen schon. Denn weil die Gewässer hierzulande nicht in einem guten Zustand seien, müsse die Durchgängigkeit auch der Bäche erhöht werden. Selbst „das eine oder andere Querbauwerk müsste noch geschliffen werden“, meint WWA-Direktor Keller sogar.

Das sieht beispielsweise der Landesverband Erneuerbare Energien in Nordrhein-Westfalen völlig anders: Viele Querbauwerke könnten schon aus Hochwassergründen nicht entfernt werden; deshalb „bietet die Nutzung dieser Wehre durch die Wasserkraft die Möglichkeit, die Fischdurchgängigkeit herzustellen und somit die gewässerökologische Situation vor Ort zu verbessern. Auf diese Weise gehen Natur- und Klimaschutz Hand in Hand. Für ohnehin bereits ausgebaute Bäche und Flüsse ist die Wasserkraft daher oft eine Chance auf angewandten Naturschutz.“

Mehr oder weniger Fische durch Kleinwasserkraft?

Für den Münchner Axel Berg, den Vorsitzenden der deutschen Sektion von Eurosolar, bedeutet „mehr Kleinwasserkraft sogar mehr Fische“. Dazu hat Eurosolar vor einigen Jahren eine eigene Studie veröffentlicht; Berg war daran maßgeblich beteiligt. Der Landesfischereiverband Bayern ist dennoch gegen die Wiederinbetriebnahme von Wasserrädern: „Das lehnen wir konsequent ab, weil die zu wenig Energie liefern“, erklärt Pressesprecher Thomas Funke. Und Querbauwerke seien kein Hochwasserschutz; der Verband will viele sogar entfernt sehen.

Zudem seien die Räder früher beileibe nicht dauernd in Betrieb gewesen, sondern nur wenn wirklich gemahlen oder gehämmert wurde. Dass Angler heutzutage gerade an den Querbauwerken fischen würden, erklärt Funke so: „Die passen sich halt an.“

Ziele aus dem Atomzeitalter

Ganz anders die Argumentation von Josef Rampl, dem Geschäftsstellenleiter der Vereinigung Wasserkraftwerke in Bayern. Er könne nicht nachvollziehen, dass ausgerechnet Naturschützer wie der BUND mit Wassersportlern und Anglern an einem Strang ziehen. „Wenn man den heutigen Zustand der Gewässer beklagt, dann hätte der vor 100 Jahren bei den damals 12.000 Wasserrädern in Bayern noch schlimmer sein müssen“, zeigt Rampl in die Vergangenheit. Außerdem kritisiert er, dass die Europäische Wasserrahmenrichtlinie aus dem Jahr 2000 immer noch gilt: „Wir hatten 2011 Fukushima, 2015 die Klimavereinbarung von Paris, und damit kamen neue Klimaziele. Aber wir setzen Ziele aus dem Atomzeitalter um: Der Klimaschutz hat keine Stimme“, gibt sich Josef Rampl enttäuscht.

So sieht der Umweltverband BUND Wasserkraft weiterhin „mit keinerlei Nutzen oder einer nachhaltigen Bewirtschaftung von Gewässern verbunden“. Ganz anders im Nachbarland Österreich. Dort „arbeitet die TIWAG seit 25 Jahren mit dem Tiroler Fischereiverband (TFV) eng zusammen, um die heimische Fischfauna zu fördern“, heißt es vom Tiroler Wasserkraftbetreiber. Die Grenzen in Europa sind also selbst beim Thema „Fischer gegen oder für Kleinwasserkraft“ noch deutlich sichtbar.

Ein solches Miteinander erhofft sich auch Jochen Zehender: „Ich würde mir wünschen, wenn man das Ganze neutraler betrachten würde, also gleichermaßen Klimaschutz durch regenerative Energie und Naturschutz.“ Zehender ist Geschäftsführer der staatlichen Bayerische Landeskraftwerke GmbH. Heinz Wraneschitz

Der Text erschien zuerst in den DGS-News der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie.


Mehr zum Thema


Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Habek 22.12.2021, 21:41:20

Wir haben in Deutschland versagt.


Neuen Kommentar schreiben


Name: *
E-Mail: *
(wird nicht veröffentlicht)
Nicht ausfüllen!


Kommentar: *

(wird nicht veröffentlicht)
max 2.000 Zeichen


energiezukunft