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WindenergieAlte Mühlen mit Zukunft?

Windräder am Horizont auf einem Hügel im Sonnenuntergang.
Der Weiterbetrieb alter Windenergieanlagen lohnt sich. (Foto: pexels.com, CC0 Public Domain)

Neujahr 2021 markiert eine Zäsur für die Energiewende. Erstmals wird zum Jahresswechsel für tausende Windenergieanlagen die Einspeisevergütung wegfallen. Damit werden sie zu einem wichtigen Kostenfaktor.

01.08.2019 – Bis zu 1,6 Milliarden Euro kann der Weiterbetrieb älterer Windanlagen bis Ende 2026 gegenüber dem Ersatz durch neue Windparks einsparen. Dies besagt eine Berechnung der NATURSTROM AG, die auf Daten der Übertragungsnetzbetreiber, der Bundesnetzagentur und aus aktuellen Studien basiert. Nach 20 Jahren EEG-Förderung müssen sich die alten Windräder im Markt behaupten. Weiterbetreiben oder stilllegen? Diese Frage stellt sich allein zum Jahreswechsel auf 2021 für Windräder mit einer Leistung von rund 4.000 Megawatt. Betroffen sind zum einen Anlagen, die im Jahr 2000 in Betrieb gingen, als das erste EEG in Kraft trat. Zum anderen aber auch alle Anlagen aus den 1990ern, für die das EEG eine Art Kulanzregelung vorsah: Auch sie erhielten damals einen Vergütungsanspruch für die kommenden 20 Jahre.

Der Umbruch kommt 2021 also mit Vehemenz. Doch entscheidend ist vor allem: 2021 ist kein Einzelereignis. Es werden fortan jährlich Anlagen mit rund 2.300 MW folgen – bis 2026 wird dies knapp 30 Prozent der aktuell installierten Windenergie-Leistung in Deutschland betreffen. In vielen Fällen wird ein Repowering, also der Ersatz durch neue Anlagen, aufgrund geänderter Abstandsregelungen und anderer Bestimmungen nicht möglich sein. Das geht aus einer Betreiberumfrage der Fachagentur Windenergie an Land hervor.

Für viele Anlagen wird ein wirtschaftlich auskömmlicher Weiterbetrieb keine Selbstverständlichkeit sein. Das liegt zum einen an den zu erwartenden Erlösen: Die Preise an der Leipziger Strombörse waren von 2008 an jahrelang im Sinkflug. Nach einem deutlichen Anstieg 2018 hat sich der Preis am Spotmarkt, also am Markt für den tagesaktuellen Handel, auf einem historisch betrachtet mittleren Level von rund 4,0 Cent pro Kilowattstunde (kWh) eingependelt. Der Marktwert von Onshore-Windstrom am Spotmarkt liegt spürbar unter dem Durchschnitt bei rund 3,3 Cent. Bei allen Ideen für die Stromvermarktung von Altanlagen, die derzeit in der Diskussion sind – vom Verkauf des Stroms an Ökostromanbieter wie NATURSTROM über PPA bis hin zu Power-to-X – wird der Wert des Windstroms am Spotmarkt die Referenz sein. Natürlich sind Mehrerlöse möglich, aber sie werden nicht hoch sein.

Den Erlösen steht die Kostenseite gegenüber: Auf dem Übergang zur dritten Betriebsdekade fallen nicht unerhebliche Kosten für ein Weiterbetriebsgutachten an. Neben diesen einmaligen gibt es auch laufende Kosten, v.a. für Service und Instandhaltung, die technische Betriebsführung, für die Direktvermarktung des Stroms und vielfach auch für die Grundstückspacht. Das Beratungsunternehmen Deutsche WindGuard hat für den BWE drei Betriebskonzepte modelliert: Im „Low Budget Konzept“, das Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen aufs Minimum beschränkt, sind 2,8 Cent pro kWh nötig, damit der Weiterbetrieb wirtschaftlich ist.

Für die Betreiber steht viel auf dem Spiel – aber auch für die Energiewende und die Stromkunden. Wenn vermehrt funktionstüchtige Altanlagen stillgelegt werden, droht dem Ausbau der Windenergie unter dem Strich ein deutlicher Einbruch. Und auch die Kosten sind nicht zu vernachlässigen: Denn Altanlagen produzieren zwar nicht kostenlos Strom, aber doch sehr günstig. Werden diese Anlagen stillgelegt, muss ihre Stromproduktion ersetzt werden. Geschieht dies durch neue Windräder, steigen die Stromgestehungskosten. Über einen Betrachtungszeitraum von sechs Jahren summieren sich die Mehrkosten in einem Worst-Case-Szenario auf rund 1,6 Mrd. Euro.

Wie kommt dieser Betrag zustande? Der Grundgedanke ist simpel: Wir haben die Erlösanforderungen der Altanlagen denen von neu zu errichtenden Windparks gegenübergestellt. Als Basis für die Erlösanforderungen der Neuanlagen dienen die Ergebnisse der Ausschreibungsrunden für Windenergie an Land aus 2018, die allesamt unter den korrigierten Bedingungen – also v.a. mit vorliegender BImSchG-Genehmigung – durchgeführt wurden und somit ein realistisches Bild liefern. Der Durchschnitt des durchschnittlichen, mengengewichteten Zuschlagswerts der vier Runden liegt bei 5,72 Cent pro kWh. Die Erlösanforderungen der Altanlagen liefert eine Studie der Deutschen WindGuard im Auftrag des BWE: 2,8 Cent gemäß dem oben erwähnten „Low Budget Konzept“.

Maßgeblich für die Berechnung der Kostendifferenz zwischen Alt- und Neuanlagen ist die zu erwartende Stromproduktion. Diese errechnet sich aus dem Bestand an Altanlagen sowie aus Annahmen zum durchschnittlichen Weiterbetriebszeitraum und zur Anzahl der Volllaststunden. Qualifizierte Abschätzungen hierzu sind in einer Studie der Deutschen WindGuard im Auftrag von NATURSTROM publiziert: Die Studie geht von einer durchschnittlichen Weiterbetriebsdauer von 3,5 Jahren aus. Des Weiteren ergab eine Kurzauswertung der Stamm- und Bewegungsdaten der Übertragungsnetzbetreiber, dass Altanlagen im Mittel auf 1456 Volllaststunden im Jahr kommen. Der Anlagenbestand geht aus den Anlagenstammdaten der Übertragungsnetzbetreiber hervor. Für die Berechnung wurden die Anlagen mit einer installierten Leistung von mindestens 1 MW berücksichtigt, da diese für den Weiterbetrieb besonders gut geeignet sind. Für 2021 ergibt sich hieraus eine Differenz zum Gesamtbestand von rund 1.900 MW. Schon ab 2001 hatten fast alle installierten Anlagen eine Leistung von 1 MW und mehr, so dass für die Betrachtung der Jahre ab 2022 kaum noch ein Unterschied besteht.

Die finanziellen Auswirkungen eines Worst Case sind hier beispielhaft am Jahr 2021 dargestellt: Die 2021 aus dem EEG fallenden Altanlagen mit einer Leistung von 1 MW und mehr verfügen zusammen über eine Leistung von 2.218 MW. Bei 1456 Volllaststunden erzeugen sie insgesamt 3.083.808 MWh Windstrom. Diese Strommenge wäre für 86.346.624,00 Euro zu haben, wenn die Erlösanforderungen des „Low Budget Konzepts“ von 2,8 Cent je kWh zugrunde gelegt werden. Gingen nun im schlimmsten Fall alle Anlagen vom Netz, müssten sie durch neue ersetzt werden. Bei einer Erlösanforderung von 5,72 Cent pro kWh würden die 3.083.808 MWh genau 176.393.817,60 Euro kosten. Hieraus ergeben sich gegenüber dem Weiterbetrieb der Altanlagen Mehrkosten in Höhe von 90.047.193,60. Unter Berücksichtigung des 3,5-jährigen Weiterbetriebszeitraums stehen bereits 315.165.177,60 Euro zu Buche – wohlgemerkt allein für die Anlagen, die 2021 aus dem EEG fallen. Da Jahr für Jahr weitere Anlagen nachfolgen, summieren sich die Mehrkosten über einen Betrachtungszeitraum bis 2026 auf dann 1,6 Mrd. Euro.

Wie ist diese Zahl einzuordnen? Vermutlich ist sie zu hoch gegriffen, da sie den Worst Case darstellt – das ist jedenfalls unsere Überzeugung. Für etliche Anlagen wird sich der Weiterbetrieb rechnen, wenn die Börsenstrompreise nicht unterwartet einbrechen. NATURSTROM und andere Branchenakteure haben sich des Themas angenommen und entwickeln Konzepte, wie sich die Vermarktung der Strommengen und der Anlagenbetrieb optimieren lassen. Die Berechnung zeigt indes: Es geht nicht nur um die Interessen des einzelnen Windmüllers und auch nicht „nur“ um die gesellschaftlichen Interessen auf der Metaebene – um Energiewende und Klimaschutz. Es geht auch darum, im Sinne der Stromkunden, Ökostrom möglichst günstig zu produzieren. Hierbei wird den Altanlagen künftig eine wichtige Rolle zukommen. Die Chancen, die sich durch den Weiterbetrieb bieten, dürfen sich nicht nur die Branche, sondern auch die Gesellschaft als Ganzes nicht entgehen lassen.

Oliver Hummel ist seit 2011 im Vorstand der NATURSTROM AG und verantwortet den Geschäftsbereich Energiebelieferung.


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