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Offshore-WindenergieWindkraft Hoch 2 – Nezzy taucht auf

Schwimmende Windkraftanlage Nezzy2 im Meer
Die schwimmende Windkraftanlage Nezzy2 soll 2022 im Südchinesischen Meer ihren Betrieb aufnehmen. (Foto: Jan Oelker)

Nach rund sechs Jahren Entwicklungsarbeit wird der Prototyp Nezzy2 nächstes Jahr den Betrieb aufnehmen. Die globale Offshore-Branche blickt gebannt ins Chinesische Meer, wo die 16 MW-Anlage – falls alles funktioniert - eine neue Ära einläuten könnte.

23.12.2021 – Tatsächlich: Im Sommer 2022 soll es losgehen. Das Abenteuer Nezzy2 wird dann Realität. Und zwar im Südchinesischen Meer, irgendwo in der Nähe vor Macau, wo die Beteiligten den Prototyp des Offshore-Ungeheuers – ein schwimmendes Fundament von dessen Zentrum zwei schräg installierte Türme zwei Turbinen tragen – an einem Standort mit einer Wassertiefe von 32 Metern und mehr aufstellen.

Genauere Koordinaten würde der Chefkonstrukteur von Nezzy2, Sönke Siegfriedsen, sicherlich gerne weitergeben, doch möchten dies die Projektpartner, zum einen das Energieunternehmen EnBW und zum anderen ein noch nicht öffentlich genannter chinesischer Hersteller, bislang geheim halten. Dem dezidierten Wunsch auf Diskretion beugt sich der erfahrene Profi Siegfriedsen ganz und gar, will er doch seinen kühnen Beitrag zur Weiterentwicklung der globalen Offshore-Windenergie nach langen Jahren mühsamer Vorarbeit und Diskussionen auf der Zielgeraden nicht unnötig belasten.

Der grüne Windpionier

Am Telefon sagt Siegfriedsen nur das, was seine Auftraggeber auch möchten. Allerdings schwingt die unverrückbare Zuversicht an den kommenden Erfolg seines Projektes in jedem seiner Sätze mit. „Wir arbeiten derzeit intensiv an der weiteren Auswertung der Messdaten unseres Modells im Maßstab 1:10, das wir im Herbst 2020 nach einem erfolgreichen ersten Test in einem niedersächsischen Gewässer bei Bremerhaven im Greifswalder Bodden in die Ostsee hievten“, erzählt Siegfriedsen. Damals überstand das Nezzy2-Modell einen echten Härtetest, als nämlich der Orkan „Gisela“ mit Windstärke 9 über den Teststandort fegte.

„Die Anlage ist ausgelegt auf Taifune mit Wellen von 21 Metern Höhe“, ist Siegfriedsen über die Offshoretauglichkeit seiner Nezzy2 in südchinesischen Gewässern ziemlich überzeugt. „Dabei ist eine solche Wellenhöhe ein Wetterphänomen, das statistisch betrachtet nur alle 50 Jahre einmal auftritt“, sagt der 65-jährige Siegfriedsen, der einst im windreichen Nordfriesland aufwuchs und während seiner Zivildienstzeit auf dem Hof von Baldur Springmann, einem Mitbegründer der Grünen in Westdeutschland, zu Beginn der 80-er-Jahre seine erste Windenenergie-Anlage baute.

Seitdem hat Siegfriedsen eine beeindruckende Karriere als Anlagenentwickler und -konstrukteur hingelegt. Schon 1983 gründete er die aerodyn Energiesysteme GmbH, mit der er bis 2013 insgesamt 27 Gesamtanlagenentwicklungen voranbringen konnte. Darunter Milestones wie die Entwicklung der 5-MW-Multibrid-Anlage, die im ersten deutschen Offshore-Testfeld alpha ventus zum Einsatz kam. Anfang der 2000er-Jahre ging Siegfriedsen dann nach China und mischte dort den größten nationalen Windenergiemarkt ziemlich auf.

Eigentlich hätte sich der gebürtige Nordfriese entspannt zurücklehnen können, doch als Krönung seiner Laufbahn entstand die Idee einer schwimmenden Anlage. Mit der ebenfalls von ihm gegründeten aerodyn Engineering GmbH, einem kleinen, kompakten Team von Ingenieuren, arbeitet er seit 2015 aktiv an der Realisierung einer schwimmenden Offshore-Anlage: zuerst Nezzy mit einem Turm und einer Turbine mit zwei Flügeln und später Nezzy2 mit zwei Turbinen und jeweils drei Flügeln. Letzteres mutet noch futuristischer an, ist aber am Ende das effiziente Resultat des entscheidenden Motivs, von dem Siegfriedsen und sein eingeschworenes Mitarbeiter-Team angetrieben wurden: Die Kosten für die installierte Kilowatt Leistung im Offshore-Bereich deutlich zu senken!

Angekommen sei man jetzt bei Nezzy2 auf 4.000 Euro Herstellungskosten pro installierter Kilowattstunde. Zum Vergleich: Die Mitwettbewerber im Offshore-Herstellerbereich liegen derzeit bei 5.000 bis 7.000 Euro pro Kilowatt. „Wir müssen jetzt dem globalen Offshore Markt im Südchinesischen Meer zeigen, dass unsere Konstruktion in Originalgröße funktioniert“, setzt Siegfriedsen auf den Beginn einer neuen Offshore-Ära.

Überzeugungsstrategien

Dabei sind nicht nur harte technische Fakten und ingenieurtechnische Lösungen gefragt, sondern es geht bei dieser Pioniertat eben auch um psychologische Aspekte. „Wir müssen das Vertrauen bei potenziellen Kunden gewinnen. Das ist wichtig, denn die Psychologie kommt oft vor der Technik und entscheidet, ob sich etwas auf dem Markt durchsetzt oder nicht“, ist Siegfriedsens Erkenntnis aus vier Jahrzehnten Maschinenbau und Konstruktionsarbeit.

Viel Skepsis galt es innerhalb der Offshore-Branche zu überwinden, um überhaupt von potenziellen Partnern ernstgenommen zu werden. Zuerst waren es Japaner, aufgerüttelt von der Fukushima-Katastrophe und fieberhaft auf der Suche nach neuen Energien, die sich für den schwimmenden Anlagentyp Nezzy interessierten. So wurde ein in Rendsburg auf der Nobiskrug-Werft gebautes Modell im Maßstab von 1:10 vor einigen Jahren in der Bucht von Hiroshima symbolträchtig in das dort schroff abfallende Küstengewässer en Detail gemessen und geprüft.

Schon damals war Jörg Zeumer dabei. Der Elektrotechniker von der Firma Recase Regenerative Energien, dessen Expertise Siegfriedsen einwarb, verantwortete beim Projekt unter anderem die Messsysteme. „Die Nezzy 1:10 lief richtig gut“, erinnert sich Zeumer an die ersten Ergebnisse. Danach war er auch in die Entwicklung der Nezzy2 involviert;  einen Job, den er bis Ende 2020 ausübte, als er das Messprogramm mit 180 Sensoren für Welle, Wind, Strömung und anderen Parametern für das 1:10-Testmodell in einer umfangreichen Dokumentation abschloss.

Nach jahrelanger Beschäftigung mit dem schwimmenden Konzept ist er vom Erfolg des kommenden Prototyps in Originalgröße überzeugt. „Wenngleich es bei der Hochskalierung noch besondere Effekte geben kann, sehe ich keinen Grund, dass es nicht funktionieren sollte“, so Zeumer. Ein wichtiger Garant dafür sei für ihn auch die Herangehensweise von aerodyn. So habe das Team um Siegfriedsen in jedem Stadium der Entwicklung keinen Aufwand gescheut: ob es nun die Tests im Wellenkanal in Cork waren, der Bau von Testmodellen oder auch die Tests an verschiedenen Standorten, ob nun in Aachen, Japan, Niedersachen und Ostsee. „Damit hat man wichtige Erfahrungen sammeln können, die jetzt eine gewisse Sicherheit für den potenziellen Hersteller liefern, der ja am Anfang wahnsinnig viel investieren muss“, konstatiert Zeumer.

Gute Prognosen für die schwimmende Windenergie

Dass schwimmende Offshore-Anlagen eine große Zukunft haben werden, daran zweifelt mittlerweile kaum mehr einer. Auch auf der letzten Windforce Conference 2021, veranstaltet Anfang Oktober von der Offshore-Agentur wab in Bremerhaven, war Floating eines der ganz wichtigen Themen.

Unter anderen trug Jan-Christoph Hinrichs von der aerodyn engineering GmbH zu Entwicklungsgeschichte von Nezzy2 vor. Obwohl die deutschen Offshore-Gebiete in relativ flachen Gewässern liegen und daher bisher ausschließlich konventionelle Gründungsmethoden zum Zuge kommen, will Heike Winkler, wab-Geschäftsführerin, den Einsatz von Floating-Konzepten in deutschen Offshore-Gewässern nicht gänzlich ausschließen. „Sag niemals, nie“, wirft sie ein und verweist aber zugleich auf einige technische Herausforderungen hinsichtlich der Verankerungssysteme, die es noch zu lösen gelte.

Indessen hält Jörg Zeumer dies nicht für ein eklatantes Problem, weil die Lösungen hierfür in den Reihen sowohl der internationalen Schifffahrt als auch in der Erdöl- und Erdgasexploration auf dem Meer bereits vorhanden seien.

Wie dem auch sei, die EnBW hält sich derweil bedeckt, was die Herausgabe von Informationen zum Fortschritt des Baus von Nezzy2 anbelangt. „Leider kann ich aktuell nichts Neues berichten“, entgegnet Stefanie Klumpp, Pressesprecherin Windenergie Offshore bei der EnBW schon seit Monaten gebetsmühlenartig. Vielleicht steckt hinter dieser Nicht-Informationspolitik auch eine raffinierte Taktik, um ähnlich wie im Frühjahr 2020, als sie plötzlich verkündete, dass die EnBW als Forschungspartner ins Nezzy-Projekt einsteigt, einen medialen Coup landete. Und wer weiß, vielleicht kündigt sie im nächsten Wonnemonat sogar den Bau des ersten schwimmenden Offshore-Windparks an. Aber im Zweifelsfall eben auch nicht. Dierk Jensen


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