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Nachhaltige LebensstileGemeinsam gegen die Klimakrise

Gemeinsam stark im Kampf gegen politische Ignoranz: Fridays for Future fordern mehr Klimaschutz  (Foto: Clemens Weiß)

Klimaforscher mahnen: Damit die Klimawandelfolgen beherrschbar bleiben, muss in den nächsten zehn Jahren eine Wende hin zu mehr Nachhaltigkeit erfolgen. Begonnen werden sollte damit sofort. Ein bewusster Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft ist angenehmer als ein plötzlicher und erzwungener Wandel.

04.06.2019 – Laut Umfragen ist in Deutschland die Angst der Menschen vor dem Klimawandel größer als vor Terrorismus. Doch apokalyptische Klimamodelle leiten noch keinen gesellschaftlichen Kurswechsel ein. Zwar wünscht sich die Mehrzahl der Bevölkerung eine schnellere Umsetzung der Energiewende, mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit in allen Bereichen: saubere Luft, keine Massentierhaltung, ökologische Landwirtschaft und Schutz der Natur. Doch ein Blick auf die Marktdaten zeigt etwas anderes. Unsere Autos und Wohnungen werden größer, der Fleischkonsum steigt, wir fahren zum Skilaufen auf künstlich beschneiten Pisten – in all dem steckt eine gewaltige Menge Energie. Flugreisen nehmen zu, der Online-Händler Amazon schreibt Rekord­zahlen. Saubere Energie ja, aber das Windrad soll nicht vor der eigenen Haustür stehen.

Blaupausen für die Wende

Seit vielen Jahren diskutieren wir schon die Wende, hin zu einer nachhaltigen Entwicklung. Einiges ist auf den Weg gebracht: Die Energiewende wurde von wenigen Protago­nisten angestoßen, daraus ist eine Bürgerbewegung entstan­den: Unternehmen, Bürger, Kommunen und Städte reali­sieren seit Jahren erfolgreich Projekte. Doch es reicht nicht – der menschengemachte Klimawandel und seine Folgen haben uns mit voller Wucht eingeholt.

„Die Blaupausen für die Wende liegen vor“, sagt Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie, und fordert in seinem Buch „Die Große Transformation“ global gerechte Entwicklungsmöglichkeiten für alle Menschen auf einem ökologisch begrenzten Planeten. Doch davon sind wir weit entfernt. Während bspw. in Deutschland jährlich mehr als elf Millionen Tonnen Lebensmittel in der Tonne landen, hungern weltweit über 800 Millionen Menschen. Doch die deutsche Bundesministerin für Ernährung und Landwirt­schaft spricht sich gegen Gesetze aus, die Supermärkten ver­bieten, Lebensmittel einfach zu entsorgen. Stattdessen wirbt sie im Bundestag mit einem Pappkarton gegen die Lebensmittelverschwendung: In die Beste-Reste Box könnten Restaurantgäste Essensreste nach Hause transportieren.

Die Bundesbürger gaben 2018 fast elf Milliarden Euro für Bio-Nahrung aus – im Vergleich mit dem Gesamtmarkt bleibt Bio jedoch eine Nische: Der Anteil am Lebensmit­telmarkt liegt in Deutschland bei gerade mal zehn Prozent. Zwölf Prozent der Bauern bewirtschaften nur 8,9 Prozent der Agrarfläche hierzulande öko-landwirtschaftlich. Doch in Brüssel setzt sich die deutsche Agrarministerin keineswegs für eine Änderung des Subventionssystems der EU ein – darin werden große landwirtschaftliche Betriebe bevorzugt, in Folge geben immer mehr kleine, ökologisch betriebene Höfe auf.

Der zunehmende Verzehr tierischer Produkte nimmt indes weltweit riesige Agrarflächen in Anspruch. Laut aktueller Studien würde der Wegfall dieser energie- und ressourcenintensiven Landwirtschaft 75 Prozent der weltweiten Ackerflächen freimachen – ganz zu schweigen von der Einsparung an Emissionen und Wasserverbrauch. Deutschland bringt es mit CO2-Emissionen aus Verkehr und Kohlekraft sowie dem Verbrauch von Ackerland und Wald­flächen zum ökologischen Fußabdruck eines Riesen.

Der Einfluss der Konsumenten

Durch unser Konsumverhalten nehmen wir global Einfluss. Die Zusammenhänge sind manchmal schwer zu erkennen: Was hat etwa die Verstädterung in China mit der Abholzung des Regenwaldes im Amazonas-Gebiet zu tun? „In China geht die rapide Verstädterung auf Kosten wertvoller landwirtschaftlicher Flächen“, erläutert Forscher Felix Creutzig in der aktuellen Studie „Gobal Sustainability“ des Mercator Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) die fatale Entwicklung. „Die Landwirtschaft holt sich die Anbaugebiete dann in abgelegenen Regionen wie dem Amazonas zurück – auf Kosten der letzten natürlichen Öko­systeme.“

So sorge auch die Nachfrage für brasilianisches Soja, niedersächsische Hühnchen oder chinesische Schweine indirekt dafür, dass weitere Waldflächen des Amazonas verschwinden. MCC-Direktor Ottmar Edenhofer warnt: „Die Verstädterung, die sich lokal verändernden Lebensstile und die Fernwirkung bestimmter Konsumentscheidungen treiben die teilweise bedrohliche Veränderung der Erdober­fläche voran.“ Das macht die Mitverantwortung europä­ischer Konsumenten deutlich. „In Europa und Nordamerika würde zum Beispiel ein gemäßigter Konsum von Fleisch- und Milchprodukten schon zum Schutz der Regenwälder beitragen“, so Creutzig.

Alternativen bieten statt verbieten

Nach dem Hitzesommer 2018 mit folgender Dürre und Ernteausfällen haben sich bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen die Stimmen für die Grünen verdoppelt. Doch trotz steigendem Rückhalt in der Bevölkerung machen die Bundesgrünen in Berlin recht zaghafte Schritte in Sachen Umweltpolitik. Man will den klimapolitischen Rahmen ändern, aber keine Ökodiktatur errichten. Dass Verbotsrhetorik die meisten Menschen abschreckt, wurde den Grünen in der Veggieday-Debatte deutlich. Sie vermeiden seitdem alles, was auch nur danach aussehen könnte. Die Menschen in der Realität abholen und gemeinsam Alterna­tiven entwickeln – das wäre ein gangbarer Weg. Wer allerdings keine echten Alternativen anbietet, läuft mit seinen Vorschlägen ins Leere. So will Berlins Verkehrssenatorin am liebsten alle privaten Autos aus der Stadt verbannen, um Mensch und Rad mehr Platz zu geben.

Berlin hatte als erste deutsche Stadt ein Mobilitätsgesetz verabschiedet. Ziel ist eine „vernetzte Mobilität, bei der dem Umweltverbund aus ÖPNV, Rad- und Fußverkehr der Vorrang gegeben wird“. Die Realität sieht aber ganz anders aus. Dieselbusse belasten die Berliner Luft, gerade mal vier Elektrobusse fahren in der Stadt, die Bahnen sind überfüllt, die Ampelschaltung bleibt fußgängerfeindlich und Fahrradwege werden unzureichend ausgebaut.

Um sich die Straßen wenigstens für ein paar Stunden demonstrativ zurückzuerobern, treffen sich in Berlin und vielen anderen Städten weltweit Radfahrer regel­mäßig zur Critical Mass, fahren geschlossen durch die Stadt und blockieren den Autoverkehr. Lokale Initiativen setzen sich bei Aktionen unter dem Motto Reclaim the Streets dafür ein, den Stadtraum wieder menschengerechter zu machen.

Global denken, lokal handeln

Weniger reden, mehr tun – einige tausend Städte, Gemein­den und Landkreise haben unter dem Motto „global denken – lokal handeln“ Strategien und Projekte einer nachhaltigen Entwicklung bereits auf den Weg gebracht. Wie das geht, zeigen urbane Quartiere oder die vielen Energiekommunen, die mit Energieerzeugung und Ressourcennutzung vor Ort die lokale Wirtschaftskraft stärken sowie Genossenschaften, die alternative Wohn- und Lebensformen ausprobieren und die kleine Landwirtschaft zurück in die Siedlung oder Kom­mune holen – mit alternativen Anbaumethoden bis hin zur Permakultur, in der nachhaltige Lebensformen aufgebaut werden, die für Mensch und Natur eine dauerhafte Lebens­grundlage sichern können.

Solidarisieren statt resignieren

„Was der Biene schadet, muss vom Markt“, versprach CDU-Agrarministerin Julia Klöckner vor einem Jahr. Eine ihr unterstellte Behörde hatte dann anschließend 18 neue Ackergifte zugelassen. Die Ignoranz der Politik bringt mitt­lerweile viele Bürger auf die Straße. In Bayern haben in kurzer Zeit 1,8 Millionen Menschen mit ihrer Unterschrift zum Volksbegehren „Rettet die Bienen und die Bauern“ die Landesregierung ein wenig in Bewegung gebracht. Und auf die Proteste tausender Schüler, die unter dem Titel Fridays for Future seit Monaten freitags auf den Schulunterricht ver­zichten und stattdessen für den Klimaschutz demonstrieren, muss die Politik nun reagieren.

Das ruft die Bestandswahrer auf den Plan, sie reagieren gestresst. Die jungen Demonstranten werden wegen Schulschwänzen angeklagt und auch andere basisdemokratische Bewegungen kommen wieder ins Visier. Was etwa die Globalisierungskritiker der Menschenrechtsorganisation Attac machen, soll laut Bundesfinanzhof nicht mehr gemeinnützig sein. Daraus scheint ein gefähr­liches Muster zu erwachsen – nämlich unliebsame NGOs über den Hebel Gemeinnützigkeit unter Druck zu setzen. Nun stellt die CDU den entspre­chenden Status auch bei der Deutschen Umwelthilfe in Frage.

Doch nachdem FDP-Chef Christian Lindner den Schülern die Sachkompe­tenz abgesprochen hatte, eilten ihnen mit Scientists for Future die Wissen­schaftler zu Hilfe und lieferten Daten und Fakten, die der Politik längst bekannt sein dürften. Die Parents for Future unterstützen ihre Kinder, Entrepreneurs for Future und Farmers for Future präsentieren Lösungen für die Praxis.

Konkrete Vorschläge werden neu formuliert: „Wir Bio-Bäuerinnen und -Bauern sollten die Fridays for Future-Proteste der Jugendlichen zum Anlass nehmen, unser eigenes Handeln zu überdenken“, sagen die ambitionierten Landwirte. „Was können wir konkret tun, um noch mehr Kohlenstoff in unseren Böden zu speichern? Wie können wir Dauergrünland erhalten oder Acker dahingehend umwandeln?

Viele Betriebe haben bereits Lösungswege entwickelt. „Lasst uns unser Wissen teilen!“, fordert Demeter-Landwirt Jakob Schererz auf, „denn nur, wenn wir voneinander lernen und uns vernetzen, können wir große Schritte gehen. Und große Schritte sind jetzt absolut notwendig.“ Die gut ausgebildeten jungen Menschen fordern eine Gesellschaft, die sich auf Nachhaltigkeit ausrichtet, Konsum-, Ernährungs- und Mobilitätsmuster grundlegend ändert. Doch verbind­liche Klimaschutzmaßnahmen wollen weder Wirtschafts-, noch Verkehrs- oder Landwirtschaftsministerium geben. Derweil schlummern unzählige Studien zu Energiewende und Klimaschutz in den Schubladen der Bundesministerien – vom Steuerzahler finanziert, aber nicht öffentlich zugäng­lich. Die Opposition vermutet, dass unbequeme Wahrheiten unter Verschluss gehalten werden sollen.

Klimaschutz nützt allen

„Klimaschutz wird nur dann funktionieren, wenn unser Wohlstand nicht gefährdet ist“, gibt Bundeswirtschaftsmini­ster Peter Altmeier zu Bedenken. „Klimaschutz sichert den Wohlstand. Und zwar dauerhaft und nachhaltig“, kontert Claudia Kemfert, Professorin für Energie, Ökonomie und Nachhaltigkeit am Deutschen Institut für Wirtschafts­forschung, auf Twitter. „Das Verhindern von effektivem Klimaschutz und ein zu langes Festhalten an der Vergan­genheit gefährden hingegen den Wohlstand.“

Kommunen, Energiegenossenschaften und grüne Fonds beweisen längst, dass gerade mit Klimaschutz ein stabiles und vor allem nach­haltiges Wachstum möglich ist. Es braucht dazu Menschen, die etwas anstoßen, und viele, die dann mitmachen. Ohne die über Jahrzehnte aktive Anti-Atombewegung hätte die damals von CDU/CSU/FDP geführte Bundesregierung 2011 nach der Fukushima-Katastrophe nicht den Atomaus­stieg beschlossen und wir wären heute nicht bei 40 Prozent Erneuerbaren Energien.

Bürger stoßen Klimaschutz an

Bürger- und Volksbegehren haben auch dafür gesorgt, dass München ein Kohlekraftwerk abschaltet, Hamburg sein Fernwärmenetz und Berlin sein Stromnetz zurückbekommt. Und der Hambacher Wald ist vorerst gerettet – auch das haben Aktivisten und tausende Bürger erreicht – doch trotz geplantem Kohleausstieg sollen weiterhin ganze Dörfer für die zukünftige Kohleförderung verschwinden. Es geht nicht um das Gemeinwohl – sondern um Gewinnmaximierung der großen Konzerne.

„Die vergangenen 20 Jahre haben gezeigt, dass die technologische Entwicklung sehr schnell voranschreitet, die Möglichkeiten für den Klimaschutz enorm und die Kosten immens gesunken sind“, sagt Mit-Initiator der Entrepreneurs for Future David Wortmann, Unternehmer und Gründer der Eco Innovation Alliance. „Doch derzeit schützen politische Rahmenbedingungen Geschäftsmodelle und Industrien der Vergangenheit – umweltfreundlichen Technologien bleibt ein fairer Marktzu­gang versperrt.“ Mehr als 300 Unternehmen wollen daher Klima- und Umweltschutz schneller vorantreiben. Nicole Allé


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