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Klimaklage





KlimawandelNetto-Null – ohne Klarheit keine Erfolge

Bergwiese mit wenigen Häusern im Nebel
Emissionsziele müssen klar formuliert sein, sonst droht Verwirrung und ein suboptimales Ergebnis. (Foto: Böhringer Friedrich auf Wikimedia / CC BY-SA 2.5)

Politik und Unternehmen überbieten sich mit Ankündigungen für mehr Klimaschutz. Doch die Details hinter dem Netto-Null-Label unterscheiden sich enorm. Diffuse Definitionen gefährden den Klimaschutz. Forscher fordern mehr Vergleichbarkeit.

14.06.2021 – Das Pariser Klimaabkommen legte nicht nur das 1,5-Grad-Ziel fest. Die Staats- und Regierungschefs einigten sich außerdem darauf, die Treibhausgasemissionen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auszugleichen, so dass die Summe aller durch menschliche Aktivitäten ausgestoßenen Treibhausgase gleich Null ist. Diesem Ziel verpflichtet, verkünden immer mehr Länder und Unternehmen Netto-Null-Ziele.

Doch die Vorhaben sind schwer zu vergleichen, die Definitionen unklar. Die Details hinter dem Begriff Netto-Null unterscheiden sich enorm. Manche Ankündigungen beziehen sich nur auf Kohlendioxid, andere auf alle Treibhausgase. Manchmal werden gar keine echten Reduktionen angestrebt, sondern nur Kompensationsmaßnahmen.

Ohne Klarheit bei den Begriffen ist das Pariser Klimaziel in Gefahr. Davor warnt ein Forscherteam im Fachjournal Nature. Denn wenn die Klimaziele verschiedener Staaten nicht verglichen und überprüft werden können, werden auch die Strategien hinter den Zielen nicht verstanden. Die Forscher setzen drei Kernthemen auf ihre Checkliste.

Welche Emissionen sind gemeint?

Zum einen sollten die Ziele angeben, welche Emissionsquelle und welche Gase gemeint sind – Kohlendioxid, alle Treibhausgase oder eine Teilmenge. Der Zeitpunkt, wann das Netto-Null-Ziel erreicht werden soll, gehört ebenso dazu wie die Angabe, ob Emissionen reduziert, entfernt oder ausgeglichen werden sollen.

Als Beispiel führen die Forscher die verschiedenen Klimawirkungen von CO2 und Methan an – wo die Unterschiede bei den Reduktionszielen besonders ins Auge fallen. CO2 ist die Hauptursache für den Anstieg der globalen Temperaturen; es sammelt sich an und verbleibt für Hunderte bis Tausende von Jahren in der Atmosphäre. Werden die CO2-Emissionen auf null reduziert, wird die weitere Erwärmung gestoppt, aber die Auswirkungen des bereits in der Atmosphäre vorhandenen CO2 dauern noch Jahrhunderte an.

Im Gegensatz dazu halten sich kurzlebige Treibhausgase wie Methan nur wenige Jahre bis Jahrzehnte. Eine Reduzierung dieser Gase würde ihren Beitrag zur Erwärmung relativ schnell vermindern. Aber es gibt derzeit keine Technologien, um sie aktiv aus der Atmosphäre zu entfernen, was bei CO2 möglich ist.

Die EU verfolgt das Ziel, alle Treibhausgase bis 2050 zu eliminieren. Chinas Netto-Null-Plan konzentriert sich auf den Ausgleich nur der CO2-Emissionen bis 2060. Der aktuelle Klimaplan der USA zielt darauf ab, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen, legt aber noch nicht fest, welche Gase darunterfallen. Das Pariser Abkommen berücksichtigt alle Treibhausgase; Emissionen, die nicht eliminiert werden können, müssen durch die Entfernung einer entsprechenden Menge CO2 aus der Atmosphäre ausgeglichen werden.

Die Strategien der Länder sehen allesamt eine schnelle und möglichst große CO2-Reduktion vor, zusätzlich tiefe Reduktionen von Nicht-CO2-Treibhausgasen und die Entwicklung von Technologien zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre. Doch die dabei verwendeten Begriffe sind vage und mitunter ungenau. Zum Beispiel würden die Begriffe kohlenstoffneutral und klimaneutral manchmal als Synonyme für Netto-Null-CO2 und Netto-Null-Treibhausgasemissionen verwendet, manchmal nicht. Frankreichs Strategie zum Beispiel spricht von Kohlenstoffneutralität, bezieht sich aber auf alle Treibhausgase. Wenn über verschiedene Gase gesprochen wird, verschiedene Zeiträume und verschiedene Methoden, können die Ergebnisse stark voneinander abweichen. 

Gerade beim Klimaschutz auf Unternehmensebene lohnt ein Blick auf die erfassten Emissionsquellen. Der schwedische Möbelriese IKEA zum Beispiel hat ein Netto-Null-Ziel, das alle Emissionen seiner gesamten Lieferkette einschließt. Microsoft will bis 2050 alle CO2-Emissionen neutralisieren, die es seit seiner Gründung 1975 ausgestoßen hat. Im Gegensatz dazu hat der ACI Europe, der mehr als 500 europäische Flughäfen vertritt, ein Netto-Null-CO2-Ziel für 2050 festgelegt, das nur die Gebäude und den Betrieb an Land umfasst, nicht aber die Emissionen der Flugzeuge. Nur zwei Prozent der Emissionen aller Flugaktivitäten, die über diese Flughäfen laufen, werden mit dem verkündeten Ziel angesprochen.

Angemessenheit und Fairness

Konsistenz, Klarheit und Genauigkeit bei der Zielbeschreibung sind deshalb nach Auffassung der Autoren entscheidend. Als zweiten wichtigen Aspekt sehen sie Angemessenheit und Fairness an. Definiert man eigene Ziele, trifft man unweigerlich Annahmen darüber, was ein fairer Beitrag wäre und was andere beitragen sollten. Was als fair angesehen wird, unterscheidet sich von Land zu Land und von Gemeinschaft zu Gemeinschaft. Die Akteure und Länder befinden sich in unterschiedlichen Entwicklungsstadien mit einer Vielzahl von Möglichkeiten, Finanzierungen und Ressourcen und unterschiedlichen Beiträgen zur globalen Erwärmung.

Klimapolitik kann eine Win-Win-Situation sein, aber Emissionsziele sind ein Nullsummenspiel. Wenn ein Land oder ein Unternehmen weniger tut, müssen andere mehr tun, um das gleiche globale Temperaturergebnis zu erreichen. Wenn ein Land beispielsweise das Jahr 2065 als nationales Netto-Null-CO2-Ziel für die Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius festlegt, erwartet es implizit, dass alle anderen Länder zusammen Netto-Null-CO2 vor 2050 erreichen werden.

Sind Kompensationsmaßnahmen billig (und leider häufig nur Kosmetik), kann das dazu führen, dass ein Unternehmen nur begrenzte Anstrengungen zu tatsächlichen Reduktionsminderungen unternimmt. Die Kompensation von Emissionen durch Projekte in einem anderen Land verlagert alle sozialen und ökologischen Risiken. Dazu kommt ein Rechentrick: Wenn beispielsweise ein Aufforstungsprojekt in Sierra Leone eine Kompensationsgutschrift an Microsoft verkauft, wird diese Emissionsreduktion doppelt gezählt, wenn sie auch auf das Emissionsziel von Sierra Leone angerechnet wird. Das Klima sieht den Nutzen natürlich nur einmal.

Die Forscher empfehlen zwei Fragen zu stellen, um die Fairness genauer zu beurteilen: Würde die Welt immer noch netto null erreichen, wenn jeder diese Logik anwenden würde? Und wäre es fair, die gleiche Logik auf alle Länder anzuwenden?

Langfristiger Fahrplan

 Schließlich sind die Netto-Null-Ziele glaubwürdiger, wenn sie Meilensteine und einen Umsetzungsplan enthalten. Geschieht das nicht, sind Untätigkeit und Scheitern wahrscheinlich. Zudem sind Netto-Null-Ziele keine Endpunkte, sondern selbst Meilensteine auf dem Weg zu netto-negativen Zielen in der Zukunft.

Diejenigen, die am ehesten in der Lage sind, eine netto-negative Zukunft zu erreichen, müssten nach Meinung der Forscher jetzt dafür planen - nicht aus Großzügigkeit, sondern aus der Notwendigkeit heraus, netto null global zu erreichen. Finnland und Schweden zum Beispiel haben sich zum Ziel gesetzt, bis 2035 bzw. 2045 netto null Treibhausgasemissionen zu erreichen und danach netto negativ zu werden. Im Kontext eines EU-weiten Netto-Null-Ziels für 2050 können diese Absichten die schwächeren Leistungen anderer Länder mit größeren technischen oder politischen Hindernissen kompensieren. pf

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