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KlimakriseResilienz des Planeten schwindet rasant

Blick auf die Erde vom Weltraum
Mit dem Raubbau an der Erde lässt ihre Widerstandskraft nach – die Wissenschaft schlägt Alarm. (Foto: NASA on Unsplash)

Der Raubbau an der Erde überschreitet bereits planetare Belastungsgrenzen, macht eine Studie deutlich. Das bringe mögliche Kipppunkte näher. Die Funktionsfähigkeit der Biosphäre als Gesamtsystems des Lebens ist in Gefahr, warnen Forscher.

19.09.2023 – Die in der Fachzeitschrift Science Advances publizierte Studie internationaler Forscher zu den planetaren Belastungsgrenzen trägt das Ausmaß menschlicher Verwüstung mit Raubbau an der Erde und seine Folgen zusammen und zieht ein trauriges Fazit: Von insgesamt neun untersuchten planetaren Belastungsgrenzen sind demnach bereits sechs überschritten – dazu gehören das Klimasystem mit globaler Erwärmung, der Zustand der Biosphäre, die Landnutzungsänderungen vor allem durch Entwaldung sowie die Verfügbarkeit von Süßwasser. Auch Stickstoffkreisläufe und Einträge von Substanzen wie Plastik oder Schadstoffe sind mehr als grenzwertig.

„Dieses Generalupdate der Planetaren Grenzen zeigt deutlich: die Erde ist ein Patient, dem es nicht gut geht“, zieht Johan Rockström, Mit-Autor der Studie und Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), einen anschaulichen Vergleich. Der Druck auf den Planeten nehme weiter zu. „Wir wissen nicht, wie lange wir entscheidende Grenzen derart überschreiten können, bevor die Auswirkungen zu unumkehrbaren Veränderungen und Schäden führen“, warnt der renommierte Klimaforscher. Eine Grenzüberschreitung sei zwar nicht gleichbedeutend mit drastischen Veränderungen, die sofort sichtbar werden, sie markiere jedoch eine kritische Schwelle für erheblich steigende Risiken, erläutern die Studienautoren.

Der siechende Patient

„Wir können uns die Erde als einen menschlichen Körper vorstellen und die planetaren Grenzen als eine Form des Blutdrucks“, sagt Hauptautorin Katherine Richardson von der Universität Kopenhagen und bleibt damit beim Bild des kranken Patienten. „Ein Blutdruck von über 120/80 bedeutet zwar nicht, dass ein sofortiger Herzinfarkt droht, aber er erhöht das Risiko. Deshalb arbeiten wir daran, den Blutdruck zu senken.“

Vor der Industrialisierung betrug der Wert der CO2-Konzentration in der Luft 280 ppm. 1990 wurde der kritische Wert von 350 ppm, bei dem das Klimasystem noch stabil geblieben wäre, überschritten, 2022 lag er schon bei 417 ppm. Das sei alarmierend – wie es infolge der damit einhergehenden Erderwärmung gerade weltweit mit Überflutungen, Dürren, Hitzerekorden und Stürmen sichtbar wird. Brandgefährlich für alle Systeme werde es bei 450 ppm.

Die Erde als Müllhalde

Die Studie quantifiziert auch erstmalig das Einbringen sogenannter Novel Entities, also neuartiger Stoffe. Auch hier sind die Belastungsgrenzen laut Studie bereits am Limit oder überschritten. Sie umfassen den Eintrag aller neuartigen, vom Menschen erzeugten chemischen Verbindungen in die Umwelt, wie etwa Mikroplastik, Pestizide oder Atommüll.

Zudem haben die Forschenden Belege für die Quantifizierung der Grenze für die Aerosolbelastung der Atmosphäre ausgewertet. Diese Grenze ist laut Studie noch nicht überschritten – regional könne es jedoch zu Überschreitungen kommen, besonders gefährdet wäre Südasien.

Die Grenze für Süßwasser bezieht sich sowohl auf das Wasser, das in landwirtschaftlichen und natürlichen Böden und Pflanzen enthalten ist, als auch auf alle Gewässer. Auch hier habe eine Grenzüberschreitung bereits stattgefunden.

Das Erdsystem als Ganzes betrachten

Als neue Kontrollvariable hat das Forscherteams die Grenze zur Funktionsfähigkeit der Biosphäre im Erdsystem beleuchtet. Die Analyse ergab auch hier eine Überschreitung – diese bestehe schon seit dem späten 19. Jahrhundert, als die Land- und Forstwirtschaft weltweit stark ausgeweitet wurde.  „Neben dem Klimawandel ist die Funktionsfähigkeit der Biosphäre die zweite Säule der Stabilität unseres Planeten. Und wie beim Klima destabilisieren wir derzeit auch diese Säule, indem wir zu viel Biomasse entnehmen, zu viele Lebensräume zerstören, zu viele Flächen entwalden usw.“, warnen die Forschenden.

Die Begrenzung der globalen Erwärmung müsse mit dem Erhalt einer funktionierenden Hand in Hand gehen, mahnt Mit-Autor Wolfgang Lucht, Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am PIK. Denn von der Funktionsfähigkeit der Biosphäre als Gesamtsystems des Lebens hänge nicht nur der Zustand der Erde ab, sondern auch derjenige der Gesellschaften und der Zivilisation insgesamt.

Verlust der natürlichen Kohlenstoffspeicher

Bisher mindere die Erde den menschlichen Nutzungsdruck, indem etwa die Hälfte der CO2-Emissionen in den Ozeanen und in Biomasse wieder gebunden wird. Diese natürliche Kohlenstoffsenke verlangsame die Klimaerhitzung, doch diese Fähigkeit gehe verloren, wenn der Druck zu groß wird, erklärt Lucht. „Wird es zu heiß, geht CO2 aus der Biosphäre auch wieder verloren: durch Waldbrände, sterbende Wälder, die beschleunigte Zersetzung von organischen Böden und anderes mehr.“ Viele Modelle zeigten, dass die Vegetation und die Böden der Erde, die beiden großen Kohlenstoffspeicher, von CO2-Senken zu CO2-Quellen werden, wenn die Erderwärmung zu stark wird.

Appell an die Menschheit: Das Ruder herumreißen

„Wissenschaft und Gesellschaft sind äußerst besorgt über die zunehmenden Anzeichen, dass die Widerstandsfähigkeit des Planeten schwindet“ sagt Rockström, das bringe mögliche Kipppunkte näher und verringere die Chance, die planetare Klimagrenze von 1,5°C doch noch einzuhalten. Gleichzeitig macht der PIK-Direktor Hoffnung und stellt die Bedeutung der neuen Studie heraus: Sie könne nun als Leitfaden für notwendige Maßnahmen dienen und wäre die Grundlage dafür, „durch systematischere Anstrengungen Schritt für Schritt die Widerstandsfähigkeit unseres Planeten zu schützen, erholen zu lassen und wieder herzustellen.“

Ein Beispiel für die reale Möglichkeit einer erfolgreichen Strategie haben die Forschenden auch gefunden. Die Ozonschicht bspw. erhole sich, dank internationaler Abkommen und Maßnahmen, die konsequent die Nutzung von FCKW beendeten. In der Antarktis werde der kritische Wert zwar saisonal noch immer überschritten, doch den Schutz der Ozonschicht werten die Forschenden dennoch positiv, denn es zeige, wie eine konsequente Umsetzung von verhandelten Maßnahmen viel bewirken kann und Alternativen möglich sind. na


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