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Die Meinung
08. Dezember 2022

CETA steht nicht für Fairness und Klimaschutz

Die im CETA-Vertrag enthaltenen Sonderklagerechte für Konzerne gefährden Demokratie, Klima- und Umweltschutz. Dabei wäre es rechtlich durchaus möglich gewesen, den Investitionsschutz aus dem Abkommen zu streichen. Die versprochene Interpretationserklärung ist eine Mogelpackung.

Arbeitsschwerpunkt von Anne Bundschuh bei PowerShift ist die Handels- und Investitionspolitik

Arbeitsschwerpunkt von Anne Bundschuh bei PowerShift ist die Handels- und Investitionspolitik
Foto: Stephanie von Becker

Nach Jahren des Stillstands ging es plötzlich ganz schnell: Mit einer deutlichen Mehrheit von 559 Ja- zu 110 Nein-Stimmen hat der Bundestag Anfang Dezember die vollständige Ratifizierung des EU-Kanada-Abkommens CETA beschlossen, das schon seit 2017 zu großen Teilen vorläufig in Kraft ist. Neben den Fraktionen von SPD, CDU/CSU und FDP stimmten auch die Grünen dem Vertrag zu, lediglich drei ihrer Abgeordneten waren dagegen. Damit votierte das Parlament für die Ausweitung eines Klagesystems, das massiv den staatlichen Handlungsspielraum unter anderem in Bezug auf den Klimaschutz und die Energiewende bedroht.

Dass CETA ausgerechnet unter Federführung eines grünen Wirtschaftsministeriums ratifiziert wird, ist bemerkenswert: Denn die im Vertrag enthaltenen Sonderklagerechte für Konzerne gefährden Demokratie, Klima- und Umweltschutz. 2015/16 waren unter anderem deshalb noch Hunderttausende gegen TTIP und CETA auf die Straße gegangen – darunter auch viele sozialdemokratische und grüne Abgeordnete. Und noch im Wahlprogramm zur Bundestagswahl hatten die Grünen versprochen, CETA in seiner jetzigen Fassung nicht zu ratifizieren.

Dennoch tun sie nun genau das. Zwar soll dem Vertrag eine sogenannte Interpretationserklärung beiseitegestellt werden, die den Investitionsschutz in einigen Punkten entschärfen soll. Doch diese Erklärung ist eine Mogelpackung – und zwar gleich in mehrerer Hinsicht:

Zum einen ändert die Erklärung nichts am grundlegenden Mechanismus der Sonderklagerechte: Internationale Konzerne können nationale Gerichte umgehen und vor einem extra dafür eingerichteten Schiedsgericht hohe Entschädigungen von Staaten verlangen, wenn staatliches Handeln ihre Investitionen schmälert – zum Beispiel, weil konsequenter Umwelt- oder Klimaschutz umgesetzt wird. Auch wenn manche davon heute nichts mehr wissen wollen: Es war dieses Prinzip, das 2015/16 die Menschen auf die Straße trieb, nicht seine detaillierte Ausgestaltung.

Zudem ändert die Erklärung nichts am eigentlichen CETA-Vertragstext und ist auch deshalb völlig unzureichend: Selbst den Schutz von Investoren vor „ungerechter Behandlung“ und vor „indirekter Enteignung“, zwei besonders gefährliche und schwammige Vertragsklauseln, werden durch die Erklärung nicht aus CETA gestrichen, sondern lediglich etwas anders interpretiert. Wenn das Abkommen vollständig in Kraft tritt, können Investoren also auch diese Klauseln als Basis für Konzernklagen heranziehen. Ob beispielsweise eine Klimaschutzmaßnahme als „ungerechte Behandlung“ von Investoren gewertet und mit hohen Entschädigungszahlungen belegt wird, liegt dann im Ermessen des CETA-Schiedsgerichts – dessen Mitglieder keinerlei umweltrechtliche Expertise vorweisen müssen.

Wie gefährlich dieses Klagesystem ist, zeigt unter anderem der Energiecharta-Vertrag: 2009 beispielsweise reichte Vattenfall eine Klage gegen die Genehmigung des Kohlekraftwerks Hamburg-Moorburg ein, die an wasserrechtliche Auflagen geknüpft worden war, und forderte 1,4 Milliarden Euro Entschädigung. Die Entschädigung bekam der Konzern zwar nicht zugesprochen – doch er ging trotzdem als Gewinner hervor, denn als Ergebnis der Klage wurden die Umweltauflagen abgesenkt und deutsche Steuerzahler:innen mussten die Hälfte der Prozesskosten finanzieren. Eine andere Klage wurde im August dieses Jahres entschieden: Ein Schiedsgericht sprach dem britischen Öl- und Gaskonzern Rockhopper 250 Millionen Euro Schadenersatz zu, weil Italien eine Ölbohrinsel in der Adria nicht genehmigt hatte – ein Vielfaches der Summe, die der Konzern zuvor in das Projekt investiert hatte.

Dass die Bundesregierung den Ausstieg aus dem gefährlichen Energiecharta-Vertrag beschlossen hat, ist daher ein absolut richtiger und wichtiger Schritt – und zudem ein großer Erfolg der klima- und handelspolitischen Bewegung. Auch darüber hat der Bundestag am Donnerstag abgestimmt. Völlig unverständlich und inkohärent ist es hingegen, aus einem klimaschädlichen Investitionsschutzvertrag auszusteigen und im gleichen Atemzug in einen anderen einzusteigen. Statt Sonderklagerechte für Konzerne auslaufen zu lassen, weitet sie die Bundesregierung durch die Hintertür wieder aus: Mindestens 360 kanadische Unternehmen bekämen nach Greenpeace-Berechnungen mit CETA die Möglichkeit, Klagen gegen Deutschland einzureichen – viele davon im Energiesektor. Sogar US-amerikanische Konzerne mit Tochterfirmen in Kanada könnten die Sonderklagerechte nutzen.

Hinzu kommt: Die CETA-Interpretationserklärung gibt es (noch) gar nicht! Wiederholt hatten die Grünen in den vergangenen Monaten versprochen, CETA erst nach der Verabschiedung dieser Erklärung durch EU und Kanada zur Abstimmung zu stellen. Doch noch zu Beginn der Sitzungswoche im Bundestag lag den Abgeordneten der fertige Text nicht vor, anhand dessen sie sich ein Urteil hätten bilden können. Am Tag vor der Abstimmung wurde schließlich bekannt, dass noch nicht einmal eine Einigung mit Kanada erreicht werden konnte. Im Klartext: Die Regierung knüpfte die CETA-Ratifizierung an Bedingungen, von denen sie bis dato noch gar nicht weiß, ob sie eingehalten werden – dennoch wurde das Abkommen bereits abgesegnet. Allein das sollte eigentlich schon als Grund ausreichen, die Zustimmung zu verweigern.

Statt einen echten Neustart in der Handels- und Investitionspolitik zu wagen, führt die Bundesregierung mit der CETA-Ratifizierung also den bisherigen Weg fort und weitet Sonderklagerechte für Konzerne aus, statt sie konsequent zurückzufahren. Dabei wäre es rechtlich durchaus möglich gewesen, den Investitionsschutz aus dem Abkommen zu streichen, ohne die anderen Teile des Abkommens zu beeinträchtigen.

Auch im kommenden Jahr stehen weitere handelspolitische Entscheidungen an. Unter anderem könnte das EU-Mercosur-Abkommen unterzeichnet werden sowie die Abkommen mit Chile und Mexiko, die ebenfalls Sonderklagerechte für Konzerne vorsehen. Wenn die Bundesregierung die Handelspolitik wirklich „ins 21. Jahrhundert bringen“ will, wie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Andreas Audretsch, in der Bundestagsdebatte verlauten ließ, darf sie die Abkommen in dieser Form nicht akzeptieren.

Stattdessen müssen Sonderklagerechte für Konzerne gestoppt und starke sowie durchsetzungsfähige Nachhaltigkeitsvorgaben eingeführt werden; auch die Verhandlungen zu Handelsabkommen müssen transparenter, demokratischer und partizipativer gestaltet werden. Insgesamt brauchen wir Handelsbeziehungen, die auch dem Globalen Süden dienen und die Mensch und Umwelt den klaren Vorrang vor Konzerninteressen einräumen.




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