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Klimaklage





Bild: PicturePeople GmbH

Meinung 14.10.2022

Eine vier Grad wärmere Welt ist nicht mehr versicherbar

Zuletzt legte der weltweit größte Rückversicherer Munich Re eine neue Öl- und Gasrichtlinie vor und rückt so zu den Vorreitern in der Branche auf – ein wichtiger Schritt. Allerdings hängt die Messlatte tief. Denn selbst die ambitioniertesten Richtlinien der Branche reichen nicht, um wirklich einen Beitrag zur Erreichung des 1,5-Gradziel zu leisten.

Anna Lena Samborski, urgewald e. V.


Meinung 14.10.2022

Eine vier Grad wärmere Welt ist nicht mehr versicherbar

Zuletzt legte der weltweit größte Rückversicherer Munich Re eine neue Öl- und Gasrichtlinie vor und rückt so zu den Vorreitern in der Branche auf – ein wichtiger Schritt. Allerdings hängt die Messlatte tief. Denn selbst die ambitioniertesten Richtlinien der Branche reichen nicht, um wirklich einen Beitrag zur Erreichung des 1,5-Gradziel zu leisten.

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Anna Lena Samborski, urgewald e. V.



14.10.2022. Bereits 1973 warnte der deutsche und weltweit größte Rückversicherer Munich Re in der Publikation „Hochwasser, Überschwemmungen“ vor dem Klimawandel und seinen Folgen. Dies ist wenig verwunderlich: die möglichst präzise Vorhersage von Schadensrisiken gehört für Versicherer und besonders Rückversicherer zum Kerngeschäft. Am Problembewusstsein in Sachen Klimawandel und den Folgen für die Branche mangelt es also nicht.

Schon 2015 erklärte der damalige Vorstandsvorsitzende von AXA, Henri de Castries, dass eine 2°C Welt vielleicht noch versicherbar sei, eine 4°C Welt jedoch sicher nicht. Viele Versicherer setzen sich schon länger für die Förderung von Lösungen ein: Sie machen öffentlich auf den Klimawandel aufmerksam, treten Initiativen für Klimaschutz bei oder investieren und versichern gezielt Erneuerbare Energien. Lange zögerlich waren die Versicherer hingegen, wenn es darum ging, ihre eignen Investitionen und Versicherungsgeschäfte mit Bezug zu fossilen Energien, den Haupttreibern des Klimawandels, einzuschränken. Dabei hat gerade die (Rück-)Versicherungsbranche eine enorme potenzielle Wirksamkeit im Kampf gegen den Klimawandel.

Versicherungsbranche in Sachen Kohle bereits erfolgreich im Visier von Umweltorganisationen

Deshalb nahm 2017 urgewald die Versicherungsbranche zusammen mit einem internationalen Partner-NGO-Netzwerk in der „Unfriend Coal“-Kampagne (heute „Insure Our Future“) ins Visier. Die Umweltorganisationen forderten von führenden Versicherern weltweit den Ausstieg aus Kohle als klimaschädlichsten fossilen Energieträger, sowohl bei Kapitalanlagen als auch im Versicherungsgeschäft.

Mit Erfolg: Stand Oktober 2022 haben sich 41 große Versicherer weltweit Regeln bzw. „Richtlinien“ gegeben, die die Versicherungsleistungen für Kohle einschränken oder beenden, über 70 Versicherer haben Kohleunternehmen aus ihren (Eigen)-Anlagen divestiert. Dies gilt auch für die großen deutschen Versicherer Allianz, Hannover Re, Munich Re und Talanx, wobei es erhebliche Unterschiede in der Qualität und dem Umfang der jeweiligen Richtlinien gibt.

Die Einschränkungen und Ausschlüsse zeigen Wirkung, auch weil man mittlerweile von einem gemeinsamen, weitgehenden Kohleausschluss von Versicherern, Banken sowie Investoren sprechen kann. Neuere Veröffentlichungen etwa der Universität Augsburg oder des Imperial College London verdeutlichen beispielsweise, dass die Aktienkurse klimaschädlicher Unternehmen bei umfangreichen Divestments, sprich Abzug von Kapital durch Investoren, um durchschnittlich sieben Prozent nachgaben und ihr Zugang zu Bankkrediten deutlich schwieriger wurde. So wird ein klarer Anreiz für unternehmerischen Klimaschutz bzw. fossilen Ausstieg geschaffen.

Des Weiteren bestätigen Makler, Wirtschaftsprüfer und Unternehmen mittlerweile den Effekt von Versicherungseinschränkungen im Kohlebereich. Sie weisen darauf hin, dass Versicherungen nur noch schwer zu bekommen sind und falls es sie gibt, sie sehr teuer sind und damit die Profitabilität von Kohleprojekten schmälern. Die Kohleindustrie beklagt sich entsprechend lautstark, aber der Trend zum Kohleausstieg ist nicht zu Letzt aufgrund des zivilgesellschaftlichen Drucks unumkehrbar.

Auf Öl und Gas kommt es allerdings nun an

Auch wenn es im Kohlebereich gerade bei amerikanischen, japanischen und chinesischen Versicherern immer noch viel zu tun gibt und die existierenden Richtlinien weiterhin Luft nach oben haben, ist es mit dem Ausstieg aus der Kohle allein nicht getan. So drängt urgewald zusammen mit „Insure Our Future“ deutsche und internationale Versicherer zunehmend, auch Öl und Gas zu adressieren und besonders die Expansion in diesem Bereich nicht mehr (rück) zu versichern.

Denn unter anderem das Umweltprogramm der UN stellte fest, dass die Produktion von Erdöl und Gas bis 2030 jedes Jahr um drei bis vier Prozent reduziert werden muss, wenn die Erderwärmung auf 1,5 Grad beschränkt bleiben soll. Gerade für neue Öl- und Gasprojekte gibt es also klimapolitisch keinen Platz. Begonnen haben Versicherer in Bezug auf die Einschränkungen von Öl und Gas zunächst mit dem Ausschluss sogenannter „unkonventioneller“ Quellen bzw. Fördermethoden wie Ölsande oder Aktivitäten in der Arktis. Dies ist ein erster Schritt, aber bei weitem kein ausreichender.


urgewald und „Insure Our Future“ kooperiert auch mit Protestbewegungen gegen einzelne Öl- und Gasprojekte und übt Druck auf Versicherer aus. Ein Beispiel ist der Bau der umstrittenen East African Crude Oil Pipeline (EACOP). EACOP könnte die weltweit längste beheizte Rohölpipeline werden mit einer Gesamtlänge von 1443 Kilometern, verlaufend durch Uganda und Tansania. Die lokale, aber auch globale Zivilgesellschaft kritisiert nicht nur die Klimaschädlichkeit des Projekts, sondern auch die damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden im Zuge des Pipelinebaus. Dies zeigt Wirkung: Bisher schlossen neben 24 Banken auch 18 Versicherer, darunter die deutsche Munich Re, Allianz und Talanx ihre Unterstützung für den geplanten Pipelinebau aus.


 

In den letzten zwei Jahren haben nun einige Versicherer im Einklang mit den Forderungen von „Insure Our Future“ begonnen, auch den konventionellen Öl- und Gasbereich einzuschränken. So erließ Allianz als einer der bisher weltweit größten Öl- und Gasversicherer im April 2022 eine relativ umfassende Öl- und Gasrichtlinie. Das Unternehmen kündigte an, ab 2023 keine neuen Öl- und Gasfelder, neue Ölkraftwerke und keine neue Ölinfrastruktur mehr zu versichern (im Sinne von „Projektversicherungen“). Außerdem plant der deutsche Versicherer ab 2025, auch auf der Ebene von „Unternehmensversicherungen“ von Öl- und Gaskonzernen Kompatibilität mit den Pariser Klimazielen zu verlangen.

Der andere große Münchner Versicherungskonzern Munich Re (auch als Münchner Rück bekannt) gab sich in diesem Zusammenhang zunächst zögerlich. Letze Woche zog der weltweit größte Rückversicherer jedoch nach und legte eine neue, der Allianz ähnliche Öl- und Gasrichtlinie vor – was auch als Erfolg zivilgesellschaftlichen Drucks zu sehen ist. Ab 2023 wird Munich Re nun keine neuen Öl- und Gasfelder, auf denen zum 31. Dezember 2022 noch keine Förderung erfolgt ist, sowie keine neue Infrastruktur im Zusammenhang mit Erdöl und keine neuen Ölkraftwerke mehr (rück)versichern.

Schritt in richtige Richtung mit viel Luft nach oben

urgewald begrüßt die neue Selbstverpflichtung von Munich Re als einen Schritt in die richtige Richtung, da sie sich klar gegen die Expansion im Öl- und Gasbereich ausspricht – zumindest auf Projektebene. Nachbesserungen sind jedoch nötig. Denn Munich Re erlaubt - wie auch Allianz - nach wie vor die Versicherung neuer Gasinfrastruktur (etwa Flüssiggasterminals und Pipelines) sowie Gaskraftwerke. Diese jedoch würden die weitere Nutzung von klimaschädlichem fossilem Gas auf Jahrzehnte festschreiben – etwas, was sich unser Planet und wir als Menschen schlicht nicht mehr leisten können. Ein Ausschluss von „Unternehmensversicherungen“ von Öl- und Gaskonzernen auf Expansionskurs ist zudem in der Munich Re Richtlinie nicht vorgesehen.

Zusammenfassend ist die neue Munich Re Öl- und Gasrichtlinie im Branchenvergleich als durchaus ambitioniert zu bewerten. Ein Einklang mit dem 1,5-Gradziel und der dafür benötigten Halbierung der Emissionen bis 2030 und Net Zero bis 2050 ist jedoch sowohl für die Allianz also auch Munich Re in weiter Ferne. Um ihrem Selbstverständnis als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit gerecht zu werden, müssen die beiden Versicherer weitere Schritte folgen lassen.

Für den großen deutschen Versicherer Talanx mit der Tochterfirma HDI Global wird es hingegen nun Zeit, überhaupt einen sinnvollen Schritt in die richtige Richtung zu machen. Dabei spielt HDI in der Versicherung von Flüssiggasterminals etwa in Zeebrügge und Dunkirk oder dem gigantischen australischen Gasfeld Ichthys eine nicht unbedeutende Rolle. Es gibt also noch viel Arbeit für Umweltorganisationen wie urgewald und unser Netzwerk „Insure Our Future“– und die Zeit rennt davon.

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