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Die Meinung
17. Dezember 2020

Milliardengrab Gasnetz

Wussten Sie, dass in den kommenden zehn Jahren etwa 8,5 Milliarden Euro für den Transport von fossiler Energie in die Netze investiert werden soll? Nein? Genau das passiert aber gerade im Gasnetz. Hier gilt nämlich nicht der Grundsatz, dass Klimaschutz der Ausgangspunkt für Infrastrukturplanung sein muss. Ein Riesen-Defizit.

Nadine Bethge, Stellvertretende Bereichsleiterin Energie & Klimaschutz bei der Deutschen Umwelthilfe

Nadine Bethge, Stellvertretende Bereichsleiterin Energie & Klimaschutz bei der Deutschen Umwelthilfe
Profilbild von Nadine Bethge
Bild: ©Heidi Scherm

17.12.2020 – Stromnetzplanung hat Klimaschutz als Maßstab, beim Gasnetz fehlt dies völlig. In der Rechtsgrundlage dafür, im Energiewirtschaftsgesetz, muss Klimaschutz als Ziel verankert werden. Die Deutsche Umwelthilfe fordert einen umfassenden Neustart der Energiewende, der den Herausforderungen beim Ausbau Erneuerbarer Energien sowie der Strom- und Gasnetze vereint begegnet.

Energie braucht Infrastrukturen, das ist nichts Neues. Wenn wir den auf hoher See erzeugten Windstrom nach Mittel- und Süddeutschland transportieren möchten, braucht es Leitungen oder Kabel. Will man Solarstrom regional verteilen oder in die Lastzentren transportieren sind auch hier Leitungen und Kabel nötig. Fossile oder nukleare Kraftwerke werden „peu a peu“ abgeschaltet, alte Höchstspannungsleitungen sind vorhanden – man nutzt Standorte und Infrastrukturen für die neuen Energieerzeugungen. Aufgrund der Transformation unseres Energiesystems werden Netze um- und ausgebaut.

Energiewende ist Klimaschutz. Um die Energiewende voranzubringen sind die passenden Netze eine Voraussetzung. Energiewende ist aber nicht einzig allein eine Stromwende. Nicht nur die elektrischen Erzeugungs-Infrastrukturen müssen den Klimazielen angepasst werden. Es ist in Zeiten von 1,5°C-Zielen nicht mehr diskutierbar, ob der Aus- und Umbau unserer kompletten Energieinfrastruktur an den Klimazielen ausgerichtet sein sollte – Fossile Infrastrukturen dürfen schlichtweg nicht mehr geplant und somit nicht mehr gebaut werden.

Was ist die Ausgangssituation?

Der Bundestag beschloss Ende Juni 2011 die Beendigung der Kernenergienutzung und musste viele Gesetze anpassen. Im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und mit dem neuen Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) wurde für die Stromnetzplanung eine gute Basis gelegt. Der Netzentwicklungsplan Strom (NEP Strom) basiert auf einem Szenariorahmen, um „für die mindestens nächsten zehn und höchstens 15 Jahre die Bandbreite wahrscheinlicher Entwicklungen im Rahmen der mittel- und langfristigen energiepolitischen Ziele der Bundesregierung abdecken“ zu können (§ 12 EnWG). Die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) machen jeweils den Aufschlag für Szenarien und NEP Strom, in einem strukturierten Verfahren wird die Öffentlichkeit mehrfach beteiligt und abschließend von der Bundesnetzagentur bestätigt. Dies passiert alle zwei Jahre. Alle vier Jahre braucht es die Bestätigung der Planungen durch den Deutschen Bundestag, die dann in ein Bundesbedarfsplangesetz mündet. Dieser Tage ist es wieder soweit.

Das Planungsprozedere ist so aufgebaut, dass nur die Leitungen in den Bundesbedarfsplan übernommen werden, die sich in den unterschiedlichsten Szenarien als notwendig erweisen. Und ist eine Leitung nicht mehr nötig, dann fliegt sie auch wieder aus dem Gesetz raus. Ziele der Planung sind der sichere Betrieb des Stromnetzes bei weiterem Zubau von Erzeugungskapazitäten aus erneuerbaren Energiequellen und bei weiterem Ausbau des europäischen Binnenmarktes.

In den letzten Jahren hat sich eine gesellschaftliche Debatte um die Energiewende durch diese Szenarien und Netzentwicklungspläne ergeben. Sowohl der Planungsprozess als auch die Planungskriterien wurden weiter angepasst, dass das Stromnetz mehr und mehr für den Klimaschutz geplant werden kann. Wenn auch sicher noch nicht alles optimal läuft, so sind wir bei den Stromnetzen doch auf dem richtigen Weg.

Die Lösung für die Energiewende liegt aber nicht allein im Stromnetz, deswegen muss der Blick auf alle Netzplanungen ausgeweitet werden. Den Gasnetzen wurde bisher kaum öffentliche Aufmerksamkeit zuteil. Spätestens mit dem Ergebnis der Strukturwandelkommission und dem schleichenden Ausstieg aus der Kohleverstromung nimmt die Debatte zur Defossilisierung des Gassektors gerade erst Fahrt auf.

Gasnetze werden heute so geplant, dass eine Menge X an Gas eingespeist und die Menge X auch wieder ausgespeist werden kann. Die gebuchten fossilen Kapazitäten der Gasnetzbetreiber ist die alleinige Prämisse für die Planung. Somit sind es die Gasnetzbetreiber selbst, die sich einen gasfreundlichen Szenariorahmen wie auch den passenden Netzentwicklungsplan mit einem Investitionsvolumen von 8,5 Milliarden Euro für die kommende Dekade selbst erstellen. Dieser Betrag ist für die Transformation des Energiesystems verloren. Mehr noch: Er wird in die genaue falsche Infrastruktur investiert.

Das Energiewirtschaftsgesetz ermöglicht den Gasnetzbetreibern diesen Weg. Der Blick auf die Gasnetzplanung zeigt große Unterschiede im Vergleich zu den Stromnetzen. § 15 EnWG ist die Basis für die Gasnetzplanung. Hier formuliert der Gesetzgeber bisher keinerlei Vorgaben zur Berücksichtigung des Klimaschutzes: Der Netzentwicklungsplan Gas (NEP Gas) muss „alle wirksamen Maßnahmen zur bedarfsgerechten Optimierung, Verstärkung und zum bedarfsgerechten Ausbau des Netzes und zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit enthalten, die in den nächsten zehn Jahren netztechnisch für einen sicheren und zuverlässigen Netzbetrieb erforderlich sind“. Damit folgt die Gasnetzplanung Transportbedarfen, die keinerlei klimapolitischer Vorgaben bedürfen. In der Folge wird im Wesentlichen Infrastruktur für fossiles Gas gebaut.

Was muss passieren?

Klimaschutzvorgaben fehlen bei der Gasnetzplanung völlig. Die Erfahrungen aus der Stromnetzplanung müssen genutzt werden, um auch die Gasnetzplanung zügig auf den Klimaschutzpfad zu bringen. Die aktive Beteiligung der Öffentlichkeit wie auch des Bundestages sind unumgänglich.

Im Energiewirtschaftsgesetz müssen im § 1 der Zweck und das Ziel des Gesetzes so formuliert sein, dass die Einhaltung der Klimaziele der Maßstab für alle Infrastrukturplanungen ist. Klimaschutz ist dann als Gesetzeszweck verankert, Klimaschutz muss zur Grundlage der Gasnetzplanung werden. Wenn dann für das Gasnetz ein Szenariorahmen erstellt wird, der von den gleichen Annahmen wie der Szenariorahmen Strom ausgeht, also eine Reduktion von CO2 um 95% bis 2050, dann würde dies die Befassung mit der Frage auslösen, wie Gas selbst dekarbonisiert wird und welche Transportherausforderungen für neue grüne Wasserstoffleitungen entstehen.

In der Konsequenz muss die Einhaltung der Klimaziele bei allen Infrastrukturvorhaben geprüft und sichergestellt sein. Nur so lassen sich „sunk investments“ und „stranded assets“ vermeiden, also Infrastruktur, die aufgrund der politischen bzw. wettbewerblichen Vorgaben vor Ablauf ihrer Refinanzierungszeit stillgelegt werden muss.

Solange Klimaziele nicht der Maßstab aller Infrastrukturplanungen sind, muss der Ausbau fossiler Infrastrukturen gestoppt werden. Die Nutzung von fossilem Gas muss ein Enddatum erhalten.




Kommentare

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Ralf Boecker 03.01.2021, 16:40:55

Zu "schmeichelnden Narrativen", mit denen die Erdgas-Lobby sich Marktanteile der Kohle zu erobern versucht, um sich auch künftig mit fossilem Wachstum in unserem Energiesystem zu sedimentieren, siehe auch:

❑ Green-Washing von Erdgas als »Brückentechnologie mit grünen Visionen« (22.10.20) ➭ http://www.klimareporter.de/energiewende/equinor-sich-mit-erdgas-dumm-stellen

 

➯ So nämlich entlarvt des Pudels Kern, welche Idee sich hinter dem ökonomischen Unfug verbirgt, aufwendig produzierten, hochwertigen Wasserstoff als Beimengung zu billigem Erdgas zu verplempern:

Was als angebliche »Brückentechnologie« angepriesen wird, ist nichts weiter als eine Leimrute der Erdgas-Lobby, ein gigantisches Geschäft als vermeintlich »Klima-freundlichen« Ersatz für Kohle zu etablieren...

 

❑ Erdgas statt Kohle: Investitionen mit Erpressungspotenzial? (04.08.20) ➭ http://www.klimareporter.de/deutschland/das-erdgas-drama

 

❑ Dossier zur eifrigen Mitarbeit der Fossil-Lobby in Altmaiers Ministerium (23.06.20) ➭ http://www.duh.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/deutsche-umwelthilfe-deckt-auf-wie-die-intime-beziehung-zwischen-gaslobby-und-wirtschaftsministeriu 

 

➯ so schickt man sich an, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben!

Tatsächlich wird aus dem Irrweg solcher Investitionen eine erneute fossile Pfadabhängigkeit, obwohl sich leicht nachrechnen lässt, dass »grüner« Wasserstoff als »Champagner der regenerativen Energien« mit Brennwert-Kosten oberhalb von 100 €/MWh immer viel zu teuer sein wird, um mit anderen Lösungen zu konkurrieren!

 

➯ "Defossilierung des Erdgasnetzes" ist ein prinzipiell falscher Ansatz, sofern damit nicht "Hahn abdrehen" gemeint ist.

Ralf Boecker 03.01.2021, 16:41:38

Bei konsequenter Beseitigung der diversen Methan-Leckagen, kann Erdgas als wohl letztes fossiles "Auslaufmodell" zwar noch eine Weile die Energiewende begleiten, jedoch muss der Fokus grundsätzlich auf dessen baldige Ablösung wie auch aller anderen fossilen Energieträgern gerichtet werden!

Vor allem mit einer großen, EU- & weltweit angelegten Initiative für massiven dezentralen EE-Ausbau und damit angetriebene (Photovoltaik)-Wärmepumpen, deren Flexibilisierung im Smart-Grid-Verbund mit Wärmespeichern zugleich einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Stromnetzes leisten kann:

❑ Wärmepumpen Praxis in Bestand & Neubau ➭ http://www.klimaschutz-niedersachsen.de/themen/waerme/waermepumpe/waermepumpen-in-wohngebaeuden.php

 

❑ Übersicht Kalte Nahwärme: Technik, Vorteile, Praxisbeispiele ➭ http://www.energynet.de/2018/01/17/kalte-nahwaerme

 

❑ Wärmepumpen in Bestandsgebäuden (02.08.20) ➭ http://www.energie-experten.org/news/effizienter-als-gedacht-altbau-waermepumpen-brillieren-im-fraunhofer-feldtest

 

❑ Fraunhofer ISE Studie »WPsmart« (27.10.20) ➭ http://www.ise.fraunhofer.de/de/presse-und-medien/presseinformationen/2020/warmepumpen-funktionieren-auch-in-bestandsgebaeuden-zuverlaessig.html


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