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Die Meinung
20. Oktober 2021

Wenn jeder kalte Tag eine Existenzfrage stellt

Energiearmut in der EU existiert und sie verschärft sich angesichts der explodierenden Energiepreise. Fossile Energien sind klimaschädlich und ein soziales Pulverfass. Deshalb müssen wir sie konsequent mit Erneuerbaren ersetzen. Eine Klimadividende für mehr Klima-Gerechtigkeit wäre außerdem richtig.

Michael Bloss, Abgeordneter der Grünen/EFA im Europäischen Parlament

Michael Bloss, Abgeordneter der Grünen/EFA im Europäischen Parlament
Foto: Patrick Haermeyer

Wenn jetzt der Winter an Europas Tür klopft, kann es für viele Menschen in der Europäischen Union eine böse Überraschung geben. Dann wird jeder kalte Tag eine Frage der Existenz. Denn Energiearmut ist in der EU ein großes Problem und verschärft sich angesichts der explodierenden Strom- und Gaspreise rasant. Einmal mehr zeigt sich: die fossilen Energien wie Kohle, Öl und Gas entpuppen sich nicht nur als massiv klimaschädlich, sondern auch als soziales Pulverfass. Jetzt müssen wir handeln und die Fehler rasch ausbessern. Dafür braucht es drei Maßnahmen.

Wie ein Preisschock Europas soziale Ader pulsieren lässt

Nicht nur der Winter kann kalt sein. Auch die Europäische Union wirkt in der Sozialpolitik oftmals eisig, wenn die Mitgliedsländer ihr dafür die Zuständigkeit entziehen. Ausgerechnet ein Preisschock bei Strom und Gas lässt jetzt die Alarmglocken in den Hauptstädten Europas schrillen. Denn Energiearmut und damit kalte Zimmer im Winter für 30 Millionen in der EU betroffene sind Gift für die politische Unterstützung von Klimapolitik - die Benzinpreis-Diskussion lässt grüßen.

In Bulgarien sind über 30 Prozent der Menschen von Energiearmut betroffen. In Litauen oder Zypern über 20 Prozent, aber auch anderswo in der EU leiden viele Menschen darunter. Wenn Strom oder Gas abgeschaltet werden, ist die Verzweiflung groß. Europas Regierungschef*innen wissen das.

Jetzt hat die EU-Kommission einen guten Vorschlag auf den Tisch gelegt, den die EU Staats- und Regierungschef*innen nutzen müssen. Strom und Gas dürfen nicht vom Lieferanten abgeschaltet werden. Gleichzeitig aber müssen wir neu denken und uns zukünftig überlegen, ob ein europäisches Energiegeld in Form einer Klimadividende die sich aus dem EU-Emissionshandel speist, möglich wäre. Nur so kann der grüne Übergang zur klimaneutralen Gesellschaft sozial abgefedert werden. Gleichzeitig bekommt damit die EU eine soziale Ader.

Kohle, Öl und Gas rechnen sich nicht mehr

Wollen wir das 1,5-Grad-Klimaziel ernst nehmen, müssen die weltweiten Reserven von Kohle, Öl und Gas im Boden bleiben. Das ist eine einfache, wie auch erschreckende Erkenntnis. Erschreckend, weil der weltweite Bedarf an diesen Ressourcen aktuell gigantisch ist und kräftig wächst. Wie die Internationale Energieagentur ausgerechnet hat, ist der Kohle- und Ölverbrauch dieses Jahr wieder stark angestiegen. Die Prognose für die jährlichen Emissionen sind dementsprechend katastrophal. Es wird der zweitstärkste jemals gemessene Anstieg der CO2-Emissionen erwartet.

Das hat einen einfach Grund. Denn laut dem Internationalen Währungsfond (IWF) erhält die Industrie für fossile Brennstoffe jede Minute Subventionen in Höhe von 11 Millionen Dollar. Der IWF stellte fest, dass die Förderung und Verbrennung von Kohle, Öl und Gas im Jahr 2020 mit 5,9 Billionen US-Dollar subventioniert wird. Mit einem Markt hat das nichts mehr zu tun. Würden die Umweltfolgekosten mit einberechnet werden, wären die Erneuerbaren mit Abstand billiger.

Alleine für Deutschland wären laut einer Analyse Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft die Erneuerbaren 9,7 Cent pro Kilowattstunde günstiger als die Fossilen. Und je mehr Wind- und Solarkraftanlagen hinzukommen, desto billiger wird es. Am Ende wäre nicht nur dem Klima geholfen, sondern auch dem Geldbeutel der europäischen Bürger*innen. Stattdessen zahlen die Bürger*innen dreifach. Bei den Klima-Folgekosten durch die Fossilen, bei teuren Subventionen über Steuern und am Ende von Preisschocks durch Abhängigkeiten von Kohle, Öl und Gas. Die Europäische Union kann hier wenigstens einen Kostenfaktor rasch streichen, indem sie das Ende der fossilen Subventionen jetzt beschließt.

Leiten wir die Gelder in Sonne- und Windkraft

Und gerade weil Sonnen- und Windkraft deutlich billiger sind, sollte die wichtigste Maßnahme lauten, so zügig wie möglich auf 100 Prozent Erneuerbare Energien umzustellen. Bislang aber will die EU laut dem neuen Ziel nur 40 Prozent bis 2030. Wir tappen damit gezwungenermaßen in die nächste fossile Falle. Ziele nach oben schrauben und Gelder statt für neue Gasprojekte auszugeben, in den benötigten Ausbau der Erneuerbaren umleiten, das muss jetzt die klare Ansage aus Brüssel sein.

Wenn wir kurz- und langfristige Ziele zur Eindämmung der Energiekrise jetzt zusammen denken, können wir nicht nur einen großen Schritt nach vorne machen und die Klimakrise abfedern. Wir können auch die EU sozialpolitisch anschieben und zeigen, dass wir in der Krise zusammen halten – so, wie wir es in der Vergangenheit immer wieder gezeigt haben.




Kommentare

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Stephan Geue 22.10.2021, 20:22:35

Ich vermisse das Wort "Speicher" in diesem Beitrag. Solange die Erneuerbaren noch an keinem Tag des Jahres 100 Prozent der deutschen Stromversorgung übernehmen, braucht man sich theoretisch nicht um dieses Thema zu kümmern. (Allerdings: Selbst wenn die 60...80 GW des deutschen Bedarfs erneuerbar erzeugt würden, dann würden fehlende Überlandleitungen zwischen Nord und Süd verhindern, dass sie ausschließlich zur Deckung des deutschen Bedarfs herangezogen werden könnten.) Ich möchte an die schwachen Windmonate der letzten Zeit erinnern. Wenn wir keinen - technisch mittelfristig umsetzbaren - Plan haben, wie wir in solchen Zeiten die Energieversorgung aufrechterhalten, werden sogar die aktuellen Abschaltungspläne für Atom und Kohle scheitern, nicht zu reden von Paris 1,5 oder auch nur Paris 2,0. Sicher, man kann über 100% Kapazität installieren, und man sollte das sogar tun, solange das eine zuverlässige Stromversorgung billiger gewährleistet als teure Speicher. Das ändert aber nichts daran, dass im Winter die Nacht 16 Stunden dauert, und wenn dann mal eine Flaute über Deutschland ist - nur für eine Nacht -, braucht es einen Plan B, d.h. Speicher (für die Überbrückung einer Nacht wäre das etwa 1 TWh, das ungefähr Tausendfache dessen, was der aktuell größte Speicher in China an Kapazität aufweist). Es wäre ideologisch und blauäugig zugleich, so zu tun, als würde sich das schon irgendwie von alleine regeln. Und wer meint, er könne in Januarnächten zur Not französischen Atomstrom importieren, verkennt erstens die regelmäßig wiederkehrende Stromnot im Winter beim Nachbar und lügt sich zweitens in die Tasche: selbst abschalten und die Nachbarn kritisieren für etwas, worauf man angewiesen wäre - das wäre heuchlerisch.


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