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Die Meinung
17. September 2020

Wie ein CO2-Grenzausgleich gelingen kann

Der Preisanstieg im EU-Emissionshandel und ambitioniertere Klima-Ziele setzen die treibhausgasintensive Industrie unter Druck, klimaneutral zu produzieren. Mittels CO2-Grenzausgleich will die EU im Rahmen des Green Deal Klimaschutz und Wettbewerb in Einklang bringen. Wie kann das gelingen?

Jörg Lange, Vorstand CO2 Abgabe e.V.

Jörg Lange, Vorstand CO2 Abgabe e.V.
Jörg Lange ist Vorstand des CO2 Abgabe e.V.
Foto: CO2 Abgabe e. V.

17.09.2020 – Die Dekarbonisierung der Industrie ist eine der größten Herausforderungen Deutschlands und Europas, sollen die Klimaschutzziele erreicht und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erhalten bleiben. Es ist daher folgerichtig, dass die Europäische Union (EU) im Rahmen des Green Deal Vorschläge gemacht hat, wie beide Ziele ohne Nachteile für europäische Unternehmen erreicht werden können [EU 2019]. Mit mehr als 700 Millionen Tonnen CO2 ist die EU gleichzeitig der weltweit größte Nettoimporteur von CO2-Emissionen.

Erzeugt werden diese Emissionen über Importe von Waren und Dienstleistungen, die in Drittstaaten ohne oder mit nur geringen Klimaschutzanforderungen produziert werden (EU 2020). Es ist daher nicht nur aus Gesichtspunkten des Wettbewerbs notwendig, diese Emissionsimporte in gleicher Höhe mit den Klimaschadenskosten zu belasten wie die EU eigenen Emissionen. Es würde auch mittelfristig die internationalen Liefer- und Wertschöpfungsketten und ihre Auswirkungen für den Klimaschutz stärker in den Blick rücken. Die globalisierte Arbeitsteilung ist nur gut, wenn sie keine negativen Folgen für das Weltklima produziert.

Deutschland ist Exportweltmeister von CO2-Emissionen

Im Gegensatz zur EU liefert Deutschland als „Exportweltmeister“ über Waren und Dienstleistungen allerdings mehr Emissionen in andere Länder als es importiert. So können die EU und Deutschland über die Lieferketten einen großen Einfluss auf die Emissionen nehmen. Als Industrieland mit großen Emissionsimporten und -exporten könnte Deutschland aber auch am stärksten von der Verlagerung der Produktion ins Ausland betroffen sein.

Durch die Strompreiskompensation und die kostenfreie Zuteilung von Zertifikaten im EU-Emissionshandel (EU-ETS) konnte bislang eine nennenswerte Verlagerung von Emissionen durch den EU-ETS – wenn auch immer wieder behauptet – nicht nachgewiesen werden [DIW 2020]. Gleichzeitig sind die Emissionen in den am EU-ETS teilnehmenden energieintensiven Industrien wegen steigender EU-ETS-Preise und der Kompensation entgegen langläufiger Meinung, der EU-ETS wirke auch hier, zu wenig gesunken, um ausreichend auf die Klimaziele einzuzahlen [CO2 Abgabe 2020].

Deutschland muss demnach gerade wegen ambitionierterer Klimaziele, weniger Emissionsberechtigungen und weiter steigender Preise im bestehenden EU-ETS an einem Grenzausgleich ein besonderes Interesse haben, wenn es die eigene treibhausgasintensive Industrie nicht verlieren möchte. Ohne Umstellung auf klimaneutrale Produktionsverfahren wird die Industrie nicht überlebensfähig und damit auch nicht wettbewerbsfähig bleiben.

Vier Varianten plus X für die Ausgestaltung eines Grenzausgleiches

Die EU-Kommission schlägt nun vier Varianten eines CO2-Grenzausgleichs im Rahmen des Green Deal vor [EU 2020a]. Alle Optionen beziehen sich auf Importe:

A. Eine Steuer auf Einfuhren an der EU-Grenze für bestimmte Produkte mit Herstellung in Sektoren, die dem Risiko einer Verlagerung von CO2-Emissionen unterliegen. Hierbei könnte es sich um eine Grenzsteuer oder einen Zoll auf bestimmte CO2-intensive Produkte handeln.

B. Eine Ausdehnung des EU-Emissionshandelssystems auf Einfuhren, was den Kauf von Emissionszertifikaten im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems durch ausländische Hersteller oder Einführende erfordern könnte.

C. Die Verpflichtung, Zertifikate von einem spezifischen, für Einfuhren geltenden Pool außerhalb des ETS zu erwerben, in dem sich der ETS-Preis widerspiegeln würde.

D. Eine CO2-Steuer (z. B. Verbrauchssteuer oder eine Art Mehrwertsteuer) auf Verbraucherebene auf bestimmte Produkte mit Herstellung in Sektoren, die dem Risiko einer Verlagerung von CO2-Emissionen unterliegen. Im Rahmen dieser Option wäre die Steuer auf die Produktion in der EU und Einfuhren anwendbar.

Daneben gibt es weitere Vorschläge, die von denen der EU-Konsultation abweichen. Demnach wäre der Vorschlag einer Konsumabgabe, wie vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung entwickelt [DIW 2020], die neben Importen auch Exporte adressiert, in Teilen eine Option:

E. Eine Ergänzung des EU-Emissionshandelssystems durch einen Konsumabgabe zu den in der EU verkauften Primärgrundstoffen. Der Beitrag würde auch auf Halbfertig- und Endprodukte in dem Maße erhoben (weitergereicht), wie sie Grundstoffe enthalten.

Mindestens vier Kriterien muss ein Grenzausgleich erfüllen

Alle Vorschläge müssen mindestens vier Kriterien erfüllen: Sie müssen ausreichend Preisanreize zur Klimaneutralität setzen (1), die Wettbewerbsbedingungen zur Vermeidung von Carbon Leakage vereinheitlichen (2), den bürokratischen Aufwand reduzieren (3) und rechtlich umsetzbar (4) sein.

1. Grundsätzlich können alle Vorschläge dabei mithelfen, die Klimaziele zu erreichen und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Um zu einer umfassenden Minderung der Treibhausgase in der energieintensiven Industrie und zum schnellst möglichen Erreichung der vereinbarten Klimaziele von Paris (CO2-Minderung bis 2030 um 71% gegenüber 1990) zu kommen, muss ein Grenzausgleich im Einklang mit dem bestehenden und dem weiterzuentwickelnden EU-ETS stehen. Dazu muss der Grenzausgleich vor dem Hintergrund der Anpassung der Emissionsmenge im EU-ETS, der Ziele in den nicht vom EU-ETS betroffenen Sektoren Heizen und Verkehr sowie einem perspektivisch einheitlichem, sektorübergreifendem CO2-Preis gedacht werden [CO2 Abgabe 2019].

Auch die Harmonisierung der Steuer und Umlagen auf fossile Energie im Rahmen der zeitgleich laufenden Konsultation zur EU-Energiesteuerrichtlinie ist zu bedenken [CO2 Abgabe 2020a]. Und nicht zuletzt ist die von der EU-Kommission bislang präferierte Weiterentwicklung der Marktstabilitätsreserve zu berücksichtigen. Sie darf anders als bislang von der EU-Kommission geplant, dem Streben nach Einführung eines wirksamen CO2-Mindestpreises, wie Deutschland im EU-Ratsprogramm fordert, z.B. in Form der Weiterentwicklung der Marktstabilitätsreserve in eine Preisstabilitätsreserve, um Planungssicherheit für Unternehmen zu schaffen, nicht im Wege stehen [CO2 Abgabe 2020]. Dabei werden die CO2-Preise steigen. Wie stark, wird nicht allein der Markt bestimmen, sondern davon abhängen, wie die Politik den ökonomischen Rahmen setzt.

2. Der CO2-Preisanstieg wird dazu führen, dass der Carbon-Leakage-Druck auf die Verursachenden von Treibhausgasen steigt. Das ist gewollt. Denn gleichzeitig rechnen sich mit dem Preisanstieg Investitionen in die Dekarbonisierung der Industrie umso schneller, je stärker die Grenzvermeidungskosten sinken und sich die Deckungslücke zwischen den CO2-Vermeidungskosten und den Investitionskosten verkleinert. Um zu verhindern, dass die kostenlose Zuteilung für anderweitige Investitionen oder zum Horten von Zertifikaten, dem sogenannten „Hedging“, führt und sich Investitionen schneller rechnen, sollten Ausnahmen und kostenlose Zuteilungen entfallen, denn diese verzerren den Wettbewerb und bieten den Unternehmen keinerlei Anreize, in die Dekarbonisierung ihrer Industrie zu investieren.

Hier beißt sich seit jeher die Katze immer wieder in den Schwanz: Erst beschließt die Politik schärfere Regeln für die Verursachenden von Klimaschäden, um sie dann auf Druck von Lobbygruppen wieder von den Regeln auszunehmen. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen und gleichzeitig eine Abwanderung der Verursachenden zu verhindern, braucht es Investitionsanreize ohne Ausnahmen. Und gleichzeitig staatliche Unterstützung, die Deckungslücke höherer CO2-Vermeidungskosten zu schließen. Als Finanzierungsinstrument für die Absicherung in die Klimaneutralität der Industrie bieten sich vor allem Differenzverträge (Carbon Contracts for Difference) an [DIW 2020a]. Sie können die kostenfreien Zuteilungen von EU-ETS-Zertifikaten sowie die bürokratische Strompreiskompensation als Schutzinstrumente vor Carbon Leakage vollständig ersetzen und bringen die Lenkungswirkung des Instrumentes für den Klimaschutz erst zur vollen Entfaltung.

3. Die Einführung eines vollkommen neuen Instrumentes wäre mit vergleichsweise hohem zusätzlichem bürokratischem Erstaufwand verbunden. Dies spricht eher gegen die Vorschläge A und D. Ein begrenzter Mehraufwand würde hingegen auf die Varianten B und C sowie E zutreffen. Allerdings wäre die Ausweitung des EU-ETS auf Importe (Vorschlag B und C) wesentlich komplexer. Um den Aufwand daher zu Beginn weiter zu reduzieren, sollte der CO2-Grenzausgleich zunächst nicht den tatsächlich gemessenen Kohlenstoffgehalt erfassen, sondern wie im Vorschlag E auf Produktbenchmarks basieren. Der Benchmark kann auf Grundlage der durchschnittlichen Leistung, der besten oder der schlechtesten verfügbaren Technologie ermittelt werden. Neben Importen würden auch Exporte in Vorschlag E erfasst. Das ist insofern sinnvoll, als das mittelfristig alle Treibhausgasemissionen mittels Software, Digitalisierung und Blockchain über die gesamte Liefer- und Wertschöpfungsketten erfasst werden können.

4. Um einheitliche Wettbewerbsbedingungen in Europa und der Welt zu ermöglichen, sollten Im- und Exporte gleichermaßen mit den Klimaschadenskosten bepreist werden. Ein entsprechender CO2-Grenzausgleich soll gewährleisten, dass Wettbewerb und Klimaschutz nicht gegeneinander ausgespielt werden. Doch genau das tun die Kritiker eines Grenzausgleichs. Dann wird oft pauschal behauptet, vor allem eine „Grenzsteuer“ sei mit WHO-Recht nicht kompatibel. Dabei muss die Ausgestaltung eines Grenzausgleichs sehr genau unterschieden werden. So wäre die Einführung einer EU-weiten CO2-Produktsteuer durch die Mitgliedstaaten aus handelsrechtlicher Sicht sogar der rechtssicherste Weg [SWP 2020]. Dazu müsste die EU zunächst einmal eine CO2-Steuer auf in der EU hergestellte Güter erheben, um die Steuer dann auch auf Importe anzuwenden. Die Mehrwertsteuer und die in vielen EU-Staaten bereits geltenden CO2-Steuern auf fossile Energieträger wie Heizöl und Erdgas gelten als beispielhaft. Gleichartige Importwaren würden damit WHO-konform genauso behandelt wie die inländisch erzeugten Produkte. Auch die Ergänzung des EU-Emissionshandelssystems um eine Konsumabgabe (Vorschlag E) ist mit dem WHO-Recht prinzipiell kompatibel und damit frei von nachteiligen Auswirkungen für die internationale Zusammenarbeit. Dagegen müsste die Ausweitung des EU-ETS auf Importe genauso wie für einen CO2-Zoll erst einmal mit einer Produktsteuer (Vorschlag A) handelsrechtlich gleichgesetzt werden.

Egal für welches Variante sich die Politik am Ende entscheidet. Ohne die Einführung eines Grenzausgleichs, der ausreichend Preisanreize setzt, die Wettbewerbsbedingungen zur Vermeidung von Carbon Leakage vereinheitlicht, mit der Weiterentwicklung des EU-ETS in Einklang steht, im ersten Schritt den bürokratischen Aufwand klein hält und rechtlich machbar ist, wird es auf Dauer keine Industrie in Europa geben. Maßnahmen wie der Grenzausgleich und die Weiterentwicklung des EU-ETS untermauern das Fundament einer notwendigen Verschärfung der Klimazielarchitektur und können konsequent umgesetzt Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit verknüpfen.




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