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Nachgefragt
01. September 2022

Agrarwende: Kurswechsel für die Landwirtschaft

Die Erzeugung von Nahrungsmitteln geht viel zu oft zu Lasten von Umwelt und Klima. Dabei ist der Kurswechsel hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft und Landnutzung auch für die Ernährungssicherheit unabdingbar.

Christian Rehmer war bis Ende August 2022 Referent für Agrarpolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

Christian Rehmer war bis Ende August 2022 Referent für Agrarpolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
Christian Rehmer
Foto: BUND e.V.

Was genau ist mit Agrarwende gemeint?

Die Agrarwende ist nicht hinreichend definiert. Bäuerinnen und Bauern verstehen das oft falsch, sie fühlen sich persönlich angegriffen. Ganz im Gegensatz zur Energiewende. Da weiß jeder ungefähr, was es bedeutet – Fossile weg und Erneuerbare rein. Und das ist schon kompliziert genug. Bei einigen Bäuerinnen und Bauern sorgt das Wort Agrarwende aber sofort für einen geschwollenen Hals. Für sie bedeutet  das ein Zurückgehen zu mittelalterlichen Landwirtschaftsstrukturen, also eine Kehrtwende und nicht ein veränderter Kurs. Stattdessen geht es um eine zukunftsfähige Landwirtschaft, die innerhalb planetarer Grenzen wirtschaftet und damit die Produktionsgrundlagen von morgen sichert.

 

Wie kann die Landwirtschaft das Klima schützen?

Grob gesagt geht es aber um zwei Bereiche: Die Landwirtschaft selbst und die veränderte Landnutzung. Das sind in der Klimaberichterstattung zwei verschiedene Sektoren, aber die gehören eng zusammen. Wenn man den Blick weiter fasst, gibt es mehrere Stellschrauben. Alle kann man sowohl über Anreize als auch über Ordnungsrecht und Gesetze bearbeiten. Noch sind wir in einer Phase, wo es mit Anreizen, also Förderung und so funktionieren könnte. Das wird teilweise auch gemacht, aber nicht ambitioniert genug. Es gibt auch nicht die eine Lösung. Für uns ist die Mischung und Vielfalt dieser Maßnahmen entscheidend.

 

Wie können Maßnahmen für mehr Biodiversität von der Politik gefördert werden?

Die Gemeinsame Agrarpolitik, die GAP wäre eine Möglichkeit. Das ist ein riesiger Fördertopf in Europa von grob 54 Milliarden im Jahr. Die Gelder werden momentan zumindest größtenteils so vergeben, dass man sich mehr oder weniger nur an das geltende Recht halten und nicht unbedingt höhere Ambitionen zeigen muss. Das könnte man ändern. Ab dem nächsten Jahr beginnt die neue Förderperiode. Man könnte dort entweder die Standards erhöhen, unter denen diese Gelder ausgeschüttet werden, oder Zusatzprämien konzipieren. So könnte man besonders klimafreundliches Wirtschaften honorieren.

 

Wo besteht der größte Änderungsbedarf?

Änderungsbedarf besteht bei Pestiziden, den Landschaftsstrukturen, bei der Sortenwahl und vielem mehr. Es gibt keine Pflanze, die alles abkann. Bei der Biodiversität im ländlichen Raum gibt es mehrere Baustellen. Bodenfruchtbarkeit und Erosion sind die eine Sache. Was wir brauchen, ist eine Verbesserung derStruktur, Fruchtfolgen, mehr Vielfalt. Und zwar aus verschiedener Hinsicht. Wenn man immer dieselbe Pflanze am selben Standort anbaut, kann sich das negativ auf die Nährstoffe im Boden  auswirken. Aber wenn du eine Fruchtfolge einhältst, kannst du Schädlinge deutlich stärker reduzieren, als wenn du immer wieder dieselben Pflanzen anbaust. Das liegt daran, dass in der Erde oder in der dort verbleibenden Ernte gegebenenfalls schon die Grundlage für die nächste Schädlingspopulation vorhanden ist. Die beeinträchtigt dann im nächsten Jahr deine Kultur. Dann muss auf Pflanzenschutz – und in dem Fall vor allem auf chemischen Pflanzenschutz – zurückgegriffen werden, der wiederum auch die Biodiversität direkt und indirekt schädigen kann. Direkt, indem zum Beispiel Insektizide ein bestimmtes Insekt oder auch nahverwandte Insekten töten. Indirekt, indem Herbizide beispielsweise Unkraut vernichten, das für die Insekten als Nahrungsgrundlage wichtig wäre.

 

Wie können Böden nachhaltig genutzt werden?

Indem zum Beispiel dafür gesorgt wird, dass keine Winderosion den Boden abtragen kann. Dafür muss er festgehalten werden. Das funktioniert ganz gut über Wurzeln. Der Boden darf nicht blank liegen, sondern muss immer etwas begrünt sein. Alternativ geht das über mulchen. Da liegt totes, organisches Material auf dem Boden, das den Boden wie eine Decke schützt. Der Mulch schützt mechanisch, hält aber auch Feuchtigkeit im Boden und bietet eine ständige Nährstoffzufuhr. Es ist auch wichtig, dass genug Bodenorganismen, die für den Abbau von organischer Masse zuständig sind, vorhanden sind. Regenwürmer zum Beispiel. Eine weitere Möglichkeit ist, dass man mehr Strukturen in der Agrarlandschaft schafft. Unsere Agrarlandschaften sind ja relativ groß und ausgeräumt, in einigen Regionen Deutschlands zumindest. Grund dafür ist, dass der Ackerbau maschinengerecht sein soll. Aber dort wäre es notwendig, wieder mehr Strukturen zu schaffen – und zwar in dem Fall vertikale. Wir wollen eine mosaikhafte Landschaft mit vielen kleineren Strukturen. Weil überall da, wo Strukturen aneinanderstoßen, die Biodiversität höher ist. Man müsste Hecken oder Bäume oder etwas in der Art einbringen. Agro-Forst wäre eine gute Option.

 

Oder Agri-Photovoltaik?

Das kann man gut eingebettet auch mit Agri-PV machen. Für die Zukunft kann ich mir das durchaus vorstellen: Einen vielfältigen Acker mit vielen Kulturen in kleineren Mosaiken oder Streifen, der von kleinen Feld-Robotern bewirtschaftet wird, die sich wiederum am Ende des Tages an ihre Ladestation anschließen, die tagsüber von der Agri-PV-Anlage aufgeladen wurde, direkt am Feld. Allerdings ist es in der Realität oft so, dass sich große Anlagen und große Investitionen besser rechnen als kleinere.


Wie sieht es mit Nutztieren und der Fleischproduktion aus?

Insgesamt betrachtet müssen wir die Anzahl an Tieren abbauen, um unsere Klimaziele einhalten zu können. Der BUND fordert eine Halbierung der Nutztierhaltung bis 2050. Vielleicht müsste die Anzahl für das Klima sogar noch mehr reduziert werden und auch schneller. Wenn man verschiedene andere Aspekte wie die Wirtschaft im ländlichen Raum, Nährstoffkreisläufe oder die menschliche Gesundheit betrachtet, stellen sich wieder andere Fragen. Bei letzterem kommt man durchschnittlich auch in etwa auf eine Halbierung der Fleischmenge. Da kann man sich an den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung orientieren. Ein Erwachsener sollte demnach etwa 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche essen. In Deutschland isst man eher 1200 Gramm. Frauen ein bisschen weniger, Männer ein bisschen mehr. Wenn wir noch das Thema Ressourcen betrachten, darf man aber nicht nur Fleisch in den Fokus nehmen, sondern auch die Milchviehhaltung. Die verbraucht auch nennenswert Flächen und trägt zu den Treibhausgasemissionen bei.

 

Können Verbraucher mit Ihrem Konsumverhalten zur Agrarwende beitragen?

Die gesellschaftlichen Änderungen, die wir brauchen, dürfen nicht nur Verbraucherinnen und Verbrauchern aufgelastet werden. Wenn wir als Gesellschaft sagen, wir haben ein bestimmtes Ziel, das ist notwendig oder gewollt, warum auch immer, dann ist es auch eine gesellschaftliche Verantwortung. In unserem Fall ist es der Staat beziehungsweise das Parlament, das Gesetze macht und Förderprogramme beschließt, um dieses Ziel mit entsprechenden Mitteln zu erreichen. Man kann das dann noch unterstützen, indem man Verbraucherinnen und Verbraucher mitnimmt, und sie ermuntert, bestimmte Produkte zu kaufen und andere nicht. Zum Beispiel Strom aus Erneuerbaren Energien anstatt Atomenergie oder Bio anstatt billiges Hackfleisch aus der Intensivtierhaltung. Der Strommarkt ist da ein ganz klares Beispiel, denn ohne das EEG wären wir nie so weit vorangekommen. Ohne das EEG hätten die wenigen Öko-Stromanbieter, die es vor 20 Jahren gab, es nie geschafft, den Anteil an Erneuerbaren Energien so stark zu erhöhen, wie wir das jetzt haben. Man kann diesen gesellschaftlich notwendigen Wandel, den man für sich erkannt hat, nicht nur von Kaufentscheidungen abhängig machen. Das wäre zu wenig. Die Gesellschaft kann durch Kaufentscheidungen eine Richtung unterstützen. Aber die Verantwortung liegt primär bei der Politik.

 

Das Interview führt Julia Broich


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