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Nachgefragt
06. Oktober 2021

Chance kommunale Wärmeplanung

Max Peters, Leiter Kompetenzzentrum Wärmewende, KEA Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg zur Wirtschaftlichkeit von Wärmenetzen, zum Anschluss- und Benutzungszwang, zur Transparenz der Preisgestaltung, zur Bedeutung der kommunalen Wärmeplanung und Notwendigkeit höherer CO2-Preise.

Max Peters, Leiter Kompetenzzentrum Wärmewende bei der KEA Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA-BW)

Max Peters, Leiter Kompetenzzentrum Wärmewende bei der KEA Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA-BW)
Max Peters, Leiter Kompetenzzentrum Wärmewende, KEA Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg
Foto: KEA-BW

Herr Peters, Bundesländer wie Baden-Württemberg setzen aus klimapolitischen Gründen stark auf den Ausbau von Wärmenetzen. Wie unterstützt die KEA-BW Kommunen, Energieversorger oder Genossenschaften dabei?

Wir bieten ihnen eine kostenfreie Initialberatung an, bei der wir die Vorteile und Hemmnisse von Wärmenetzen und der Kraft-Wärme-Kopplung ausführlich besprechen. Wenn nötig, kommen wir auch in die Gemeinderatssitzung.

Ein Reizwort ist bei diesem Thema allerdings ein Anschluss- und Benutzungszwang. Wie stehen Sie dazu?

Das Thema ist etwas komplexer, man muss es von zwei Seiten betrachten. Auf der einen Seite steht die drohende Klimakrise. Wärmenetze lohnen sich oft nur dann, wenn alle mitmachen. Auf der anderen Seite ist es ein Eingriff in die Freiheiten des Einzelnen. Bei vermietetem Wohnraum ist zudem die Anforderungen der Warmmietenneutralität zu beachten. Ich nenne ein Beispiel: Wenn ich in einem Mietshaus lebe, dürfen nach einem Anschluss an ein Wärmenetz die Nebenkosten für Warmwasser und Heizung nicht teurer sein als das Mittel der letzten drei Jahre. Das heißt, lässt das Wärmenetz hier die Heizkosten aufgrund des Anteils an Erneuerbarer Energie steigen, ist das nicht zulässig. Manche Kommunen machen sehr gute Erfahrungen mit Fernwärmesatzungen, viele setzen jedoch eher auf die Überzeugung der Kunden. Im Bestand setzen nur sehr wenige Städte in Deutschland auf einen Anschluss- und Benutzungszwang an das Wärmenetze per Fernwärmesatzung. In Baden-Württemberg etwa macht das nur Schwäbisch Hall.

Welche Alternativen gibt es denn?

Zunächst muss man unterscheiden in Bestands- und Neubaugebiete. Hier tun sich verschiedene Möglichkeiten auf. Für Neubaugebiete, die in kommunaler Hand sind, lässt sich über einen Grundstückskaufvertrag eine privatrechtliche Regelung über den Anschluss an das Wärmenetz treffen. In den meisten Fällen führt das dazu, dass die Kaufinteressenten dieses Angebot auch nutzen.

Wie sieht es denn im Wärmewende-Vorzeigeland Dänemark aus?

In Dänemark gibt es das rechtliche Mittel des Anschluss- und Benutzungszwangs seit diesem Jahr nicht mehr. Dort setzt man bei der Entwicklung von Wärmenetzen und in der Kommunikation vor allem auf konkurrenzfähige Angebote und darauf, dass am Ende des Tages die Preise stimmen. Allerdings funktioniert das derzeit in Deutschland bei erneuerbar gespeisten Wärmenetzen im Bestand häufig nicht, weil Erdgas so unglaublich billig ist.

Aber durch die CO2-Bepreisung müsste doch eine CO2-freie Nah- und Fernwärmeversorgung immer günstiger werden!

Tendenziell ist das richtig. Aktuell sind allerdings die Kosten von 25 Euro pro Tonne CO2, die wir bei fossilen Brennstoffen draufschlagen, noch erheblich zu niedrig. Das Umweltbundesamt beziffert die externen Kosten von CO2 auf 180 Euro pro Tonne – mit diesem Preis hätten wir eine Lenkungswirkung.

Stichwort stabile Wärmepreise: Könnten die nicht auch für einen Anschluss ans Wärmenetze sprechen?

Attraktiv wird die netzgebundene Wärmeversorgung vor allem, wenn man sie als Dienstleistung betrachtet, mit stabilen und niedrigen Wärmepreisen. Damit können Wärmenetzversorger sehr gut punkten. Wichtig ist es deutlich zu machen, dass mit dem Wärmepreis auch die Kosten für die Heizungsanlage abgegolten sind.

Wie sieht es denn mit der Transparenz der Preisgestaltung für Fern- und Nahwärme aus? Gibt es hier noch Luft nach oben?

Einige Wärmeversorger haben leider noch ein Transparenzproblem. Kundinnen und Kunden verstehen dann nicht, wie die Preise zustande kommen. Letztlich darf ich aber nicht den Brennstoffpreis mit dem Wärmepreis vergleichen, sondern muss die Vollkosten betrachten, also alle Kosten von der Erneuerung oder Errichtung des eigenen Kessels bin hin zu den Schornsteinfegergebühren. Das Modell aus Grundpreis plus Arbeitspreis versucht dem Rechnung zu tragen, muss aber erklärt werden. Eine ehrliche und offene Preispolitik hilft hier sicherlich weiter.

Welche Chancen bietet denn die kommunale Wärmeplanung?

Mit einer kommunalen Wärmeplanung wird für Quartiere oder ganze Stadtteile geprüft, ob es technisch und wirtschaftlich sinnvoll ist, dort ein Wärmenetz zu errichten. Wenn das Areal in Frage kommt, bezeichnet man es als Eignungsgebiet. In manchen Bereichen ist die Energiedichte, also der Wärmebedarf bezogen auf die Fläche zu gering, beispielsweise bei loser Einfamilienhausbebauung. Dafür wird es auch in Zukunft Einzellösungen geben. Grundsätzlich ergeben sich bei der Betrachtung eines ganzen Siedlungsgebietes ganz andere Synergien als bei der bloßen Betrachtung eines einzelnen Gebäudes oder eines kleinen Straßenzugs.

Zahlreiche Kommunen wie das baden-württembergische Biberach planen ja derzeit Wärmenetze für den innerstädtischen Gebäudebestand mit einer freiwilligen Anschlussmöglichkeit. Wie gehen Sie dabei typischerweise vor?

In der Regel wird zuerst eine Machbarkeitsstudie erstellt. Diese prüft, unter welchen Voraussetzungen und mit welchem Anschlussgrad das geplante Wärmenetz wirtschaftlich betrieben werden kann. Anschließend fragen die künftigen Betreiber – sei es ein Projektentwickler, Energieversorger oder eine Genossenschaft – bei den betroffenen Haushalten schriftlich die Wärmeverbräuche und das Interesse an einem Anschluss ab. Es folgen Informationskampagnen, Veranstaltungen, individuelle Beratungen. Schließlich geht es an die Verträge. Alles in allem dauert der Prozess meist etwa eineinhalb Jahre bis feststeht, wer sich wirklich anschließen will.

Gibt es eigentlich in punkto Wirtschaftlichkeit der Wärmenetze eine fixe Faustzahl über die nötige Mindestanschlussquote, beispielsweise 50 Prozent der Gebäude in dem betreffenden Gebiet?

Das wird immer individuell berechnet, da die einzelnen Abnehmer ja sehr unterschiedlich sind. Zudem wächst ja aller Erfahrung nach die Zahl der Anschlussnehmer, wenn das Wärmenetz erst einmal gebaut ist. Durch die Nachverdichtung wird das Netz immer wirtschaftlicher.

Kommen wir zur Konkurrenzsituation Erdgaseinzelheizungen contra Wärmenetzversorgung. Welchen klimapolitischen Sprengstoff birgt das und ist die künftige Umrüstung von Erdgasheizungen auf grüne Gase eine realistische Option?

Gegen Ölheizungen, die ja wohl in fünf bis sechs Jahren nicht mehr eingebaut werden dürfen, ist die Nahwärme konkurrenzfähig. Beim Gas sieht es etwas anders aus. Deutschland fördert vor allem auf Bundesebene immer noch den Einbau von Gas-Brennwertkesseln. Das heißt, der Absatz von Gas nimmt aktuell noch zu. Beim Neubau ist eine sehr klare Bewegung Richtung Wärmepumpe zu bemerken, im Bestand hingegen wird immer noch auf Erdgas-Gasbrennwertkessel umgerüstet. Für die nächsten 30 Jahre erzeugen wir damit einen klimapolitischen Lock-in-Effekt. Denn sind die Kessel erst einmal installiert, wird dort ohne Anreize oder Zwänge kein synthetisches oder grünes Gas fließen. Zudem erwarte ich, dass zumindest mittelfristig grüne Gase in der Industrie und im Schwerlastverkehr benötigt werden.

Bräuchten wir eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung, welche nicht nur vom Hier und Jetzt ausgeht?

Genau. Wir müssten wegkommen von einer Betrachtung der Wirtschaftlichkeit im aktuellen Jahr, zu einer Betrachtung der Wirtschaftlichkeit für die nächsten Jahrzehnte. Genau das macht auch die Wärmeplanung. Denn wir wissen, CO2 muss teuer werden, wir wissen, die Erneuerbaren werden günstiger. Dennoch beziehen wir das alles nicht in unseren aktuellen Berechnungen ein. Stattdessen betrachten wir meist nur das Hier und Heute. So kann man aber keine Infrastruktur für die nächsten drei Jahrzehnte planen. Hier ist dringend ein Umdenken erforderlich.

Das Interview führte Hans-Christoph Neidlein.

 


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Kommentare

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Dr. Lenk 13.10.2021, 15:52:57

Die Behauptung von Herrn Peters, dass Ölheizungen in fünf bis sechs Jahren nicht mehr eingebaut werden dürfen, ist schlichtweg falsch. Die Wettbewerbszentrale als größte und einflussreichste Selbstkontrollinstitution für fairen Wettbewerb hat in einer Pressemitteilung vom 12. November 2020 bekanntgegeben, dass sie jüngst in fünf Fällen Werbeaussagen wie „Ölheizungen sind ab 2026 verboten“ im Internet und in Zeitungsanzeigen beanstandet hat. Der Verband für Energiehandel Südwest-Mitte e.V. begrüßt das konsequente Vorgehen der Wettbewerbszentrale, da die Rechtslage sehr differenziert ist und pauschale Aussagen, wonach Ölheizungen ab dem Jahr 2026 verboten seien, falsch sind. Es ist wichtig, dass solche Werbeaussagen unterbunden werden, tragen sie doch zur Irreführung von Unternehmen und Verbrauchern bei.

Dr. Lenk 13.10.2021, 16:04:11

Herr Peters empfiehlt, für Neubaugebiete, die in kommunaler Hand sind, über einen Grundstückskaufvertrag eine privatrechtliche Regelung über den Anschluss an das Wärmenetz zu treffen. Durch diese sogenannte "Flucht ins Privatrecht" soll ein Anschlusszwang für Baugrundstücke im Eigentum der jeweiligen Kommune zivilrechtlich verankert werden. Damit werden die zahlreichen öffentlich-rechtlichen Bindungen, die bei der Begründung eines kommunalrechtlichen Anschluss- und Benutzungszwangs z.B. per Satzung zu beachten wären, umgangen – warum wohl?


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