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Nachgefragt
23. Mai 2022

„Das Finanzsystem bremst den nachhaltigen Umbau“

Der Finanzsektor ist entscheidend für die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Doch dafür ist er nicht gut aufgestellt. Kurzfristige Horizonte, nicht eingepreiste fossile Risiken und zu wenig Transparenz in punkto Nachhaltigkeit kritisiert Magdalena Senn von Finanzwende.

Magdalena Senn arbeitet bei der Bürgerbewegung Finanzwende als Referentin für nachhaltige Finanzmärkte.

Magdalena Senn arbeitet bei der Bürgerbewegung Finanzwende als Referentin für nachhaltige Finanzmärkte.
Foto: Finanzwende

Frau Senn, Sie haben einen kritischen Blick auf die Finanzwelt, weshalb?

Der Finanzsektor hat sich im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Man könnte meinen das sei gut, dann könnten ja viele gute Projekte finanziert werden. Aber dem ist nicht so. Das Wachstum entspringt vielfach Geschäften, die gar nicht gut sind für Menschen, Unternehmen und Umwelt. Zum Beispiel der Hochfrequenzhandel: Da werden Aktien im Millisekunden-Takt hin und her geschoben und sorgen für starke Schwankungen an der Börse. Akteure, die keinen Zugang zu dieser Technologie haben, zahlen die Zeche mit höheren Preisen. Wenig versierte Anleger bekommen häufig schlechte Finanzprodukte. So ist der Finanzsektor auch zur Bürde geworden. Er verursacht Krisen, vernichtet dabei Jobs und verteilt in seiner normalen Funktionsweise von unten nach oben um.

Warum brauchen wir eine Finanzwende, um beim Klimaschutz erfolgreich zu sein?

Im Finanzsektor wird über Investitionen entschieden. Was die Finanzindustrie heute entscheidet, wird in der realen Wirtschaft über viele Jahre, mitunter Jahrzehnte weiter wirken. Deshalb ist der Finanzsektor eine wichtige Stellschraube, wenn wir die Klimakrise nicht noch verschärfen wollen.

Ist das Finanzsystem für diese Aufgabe gut aufgestellt?

Bisher nicht. Das Finanzsystem hat grundlegende Defizite, die eine positive Wirkung für den nachhaltigen Umbau der Wirtschaft ausbremsen. Es gibt viel Geld, das nach Anlagemöglichkeiten sucht, aber nicht konsequent für die Transformation eingesetzt wird. De facto wird derzeit beides finanziert: Klimaschutz und Transformation einerseits, aber es fließt auch immer noch viel Geld in fossile Sektoren und sogar in neue fossile Kapazitäten.

Was sind die Ursachen dafür?

Ein Grund ist der kurzfristige Blick der Banken. Es gibt dafür den Ausdruck Tragedy of the horizon – die Tragödie des Horizontes. Die Banken schauen bei der Kreditvergabe auf ihre Geschäftszahlen in den nächsten ein bis drei Jahren. Die Klimakrise ist aber schleichend, langfristig und einmalig. Das heißt, mit den bisherigen Ansätzen zur Risikobetrachtung kann man das Problem gar nicht lösen.

Für nachhaltige Finanzentscheidungen muss vieles bedacht werden…

Das ist ein weiterer entscheidender Punkt. Die Finanzakteure müssen wissen, wie nachhaltig welches Unternehmen ist, um die richtigen Entscheidungen treffen können. Die Informationen sind bisher lückenhaft und qualitativ nicht besonders gut. Eine gute Entscheidungsgrundlage fehlt oftmals. Hier müssen Finanz-und Realwirtschaft zusammenarbeiten. Das Finanzsystem braucht das Wissen darüber, ob das Geschäftsmodell eines Unternehmens in zehn Jahren noch eine Grundlage hat, welchen Weg zur Emissionsminderung das Unternehmen gehen will. Es würde helfen, wenn diese zukunftsgerichteten Aussagen zu Unternehmen einheitlicher und vergleichbar wären. Es muss sichtbar werden, ob mit einem Investment ein wichtiger Wandel herbeigeführt wird, ein Unternehmen mit dem Geld seine Transformation finanziert oder einfach nur weitermacht wie bisher. Diese Unterscheidung leistet die bereits fertiggestellte „grüne“ Taxonomie, die europaweit nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten definiert, nicht.

Wie weit ist an dieser Stelle die Politik, will sie regulatorische Vorgaben machen?

Auf europäischer Ebene gibt es die Plattform Sustainable Finance. Das ist eine Expertengruppe, die von der Europäischen Kommission beauftragt wurde, Vorschläge für die Ergänzung der grünen Taxonomie zu erarbeiten. Ein erster Vorschlag liegt inzwischen vor. Jetzt muss die Kommission dazu Gesetzgebungsvorschläge entwickeln. Auch für eine Ergänzung der Taxonomie um soziale Aspekte existiert ein Vorschlag und wartet auf Umsetzung. Ein Unternehmen, das Windräder baut, aber in Schwellenländern die Menschenrechte mit Füßen tritt und Gewerkschaften unterdrückt, verhält sich nicht nachhaltig.

Wäre es auch ein Weg, fossile Investments anders zu bewerten?

Natürlich. Für Kredite müssen Banken Eigenkapital in bestimmter Höhe vorhalten, damit im Falle eines Kreditausfalls – wenn der Kredit nicht zurückgezahlt werden kann – die Bank den Verlust auch tragen kann und nicht selbst pleitegeht. Fossile Investments haben angesichts der Klimakrise ein höheres Risiko. Klimaschutzmaßnahmen könnten dazu führen, dass zum Beispiel neue fossile Kraftwerke abgeschaltet werden, bevor der Kredit vollständig zurückgezahlt wurde. Die betroffene Bank würde dadurch Verluste erleiden. Höhere Eigenkapitalanforderungen für solche Risiken könnten Banken stabiler machen. Sie würden auch einen Anreiz schaffen, dass Banken weniger Geld in solche Investments lenken, weil es die Kosten erhöht. In der Folge würde ein fossiles Projekt dann womöglich nicht mehr finanziert, weil es sich nicht rechnet.

Die Organisation Finanzwende will die Zivilgesellschaft in dieser doch sehr komplexen Finanzwelt vertreten. Können Sie schon Erfolge vorweisen?

Die Bürgerbewegung Finanzwende tritt für faire, stabile und nachhaltige Finanzmärkte ein. Wir beteiligen uns vielfältig in der öffentlichen Debatte. Wir haben bereits im Sustainable Finance Beirat der alten Bundesregierung mitgearbeitet. Unsere Organisation setzt auf die Aktivierung des bürgerschaftlichen Engagements. In Kampagnen sprechen wir bestimmte Missstände an und können mit diesem Rückenwind auch tatsächlich Dinge erreichen. Ein konkretes Beispiel ist der Cum-Ex-Skandal, der größte Steuerbetrug der Geschichte. Wir haben durch öffentlichen Druck dazu beigetragen, dass die Staatsanwaltschaft in Nordrhein-Westfalen neue Stellen schafft. So können mehr Verantwortliche vor Gericht kommen und hohe Summen für die Staatskasse zurückgeholt werden.

Das Gespräch führte Petra Franke.


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