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Nachgefragt
02. Juni 2023

"Die Idee ist, den Tatbestand Ökozid als fünftes Völkerrechtsverbrechen einzustufen"

Das Bündnis Ökozid will erreichen, dass schwere Umweltzerstörung international unter Strafe gestellt werden. Im Interview erzählt Mitbegründer Peter Emorinken-Donatus von Hintergründen und Fortschritten der Kampagne.

Peter Emorinken-Donatus, freier Journalist und Umweltaktivist, Mitbegründer des Bündnis Ökozid-Gesetz

Peter Emorinken-Donatus, freier Journalist und Umweltaktivist, Mitbegründer des Bündnis Ökozid-Gesetz
Peter Emorinken-Donatus
Foto: Francis Oghuma 

Was hat es mit dem Bündnis Ökozid auf sich?

Das Bündnis Ökozid-Gesetz haben wir vor fast drei Jahren mit dem Ziel gegründet, schwerste Umweltverbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu ahnden. Das heißt, hier in Deutschland die Bevölkerung dafür zu mobilisieren, Lobbyarbeit mit den politischen Verantwortlichen zu machen, damit Deutschland als eines der politisch und wirtschaftlich einflussreichsten Länder der Welt sich dieser globalen Initiative anschließt. Denn es kann nicht sein, dass auf der einen Seite die Hauptursache für die gegenwärtige Klimakatastrophe die Umweltzerstörung ist, aber diese Zerstörung straffrei bleibt, oder sogar subventioniert wird. Die Idee ist, den Tatbestand Ökozid als fünftes Völkerrechtsverbrechen einzustufen. Dann kann der Straftatbestand vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag geahndet werden. Dafür braucht es eine Änderung oder Ausweitung des Römischen Statuts und die Ratifizierung aller 123 Länder. Derzeit schließen sich immer mehr Länder an: Frankreich und Belgien haben inzwischen auch eigene nationale Ökozid-Gesetze und das Europäische Parlament beschäftigt sich seit langem mit dem Thema. In Deutschland ist unser Anliegen auch schon im Bundestag vertreten. Das Bündnis 90/Die Grünen haben auf unsere Initiative hin die Idee in ihrem Programm, allerdings ohne den Begriff Ökozid zu nennen. Unsere Formulierung haben sie aber voll übernommen. Die Linke hat auch den Begriff Ökozid in ihrem Programm.

Was tun Sie genau, um die Initiative voranzubringen?

Ich mache bundesweite Reisen, fahre in Schulen, an Unis, spreche mit Gewerkschaften, mit der Kirche, und auf allen möglichen Veranstaltungen. Ich möchte, dass die Leute das Ausmaß der Zerstörung verstehen, was die Förderung fossiler Energieträger für Ökosysteme und Menschen vor Ort bedeuten. Das sieht man sehr deutlich im Niger-Delta, wo die Ölförderung über Jahrzehnte rücksichtslos betrieben wurde. Dort ist alles vergiftet: der Boden, das Wasser, die Luft – und die Menschen. Auch das neue Lieferkettengesetz gilt nicht für fossile Importe. In Westafrika wird gerade eine 7000 Kilometer lange Pipeline quer durch zwölf afrikanische Länder gebaut, um Gas von Niger-Delta zu uns in Europa zu pumpen. Da werden Milliarden investiert, die die Investoren irgendwann mit Gewinn zurückhaben wollen. Das können wir uns in der Klimakrise aber einfach nicht leisten. Hier spielt auch die Überschuldung des Globalen Südens eine große Rolle. Viele Länder des Globalen Südens sind nur durch die Einnahmen aus fossilen Rohstoffen in der Lage, ihre Schulden abzubezahlen. Deshalb werden fossile Rohstoffe weiter abgebaut, oft ohne Auflagen für Konzerne. Außenministerin Baerbock spricht von wertebasierter feministischer Außenpolitik, aber was fossile Förderung für die Umwelt, für die Biodiversität in diesen Gebieten, für den Verlust von Lebensgrundlagen, insbesondere von Frauen bedeutet, davon spricht sie nicht. Aus meinen Begegnungen weiß ich, dass Menschen oft schockiert sind, wenn sie das Ausmaß der Ungerechtigkeit und der Zerstörung in den Ländern des Globalen Südens verstehen. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine sind Klima und Umwelt allerdings zunächst aus dem Fokus geraten. Leider gab es da auch Rückschritte.

Sie stammen aus Nigeria und haben die Zerstörung vor Ort selbst miterlebt.

In Afrika gibt es viele Koloniale Kontinuitäten. Damit meine ich, dass Länder zwar irgendwann offiziell unabhängig wurden von den alten Kolonialmächten. Aber die Strukturen, die dem Globalen Norden ermöglichen, Rohstoffe und Menschen vor Ort auszubeuten, wurden aufrechterhalten oder sogar weiter ausgebaut. In Nigeria bedeutete das unter anderem, dass Shell ein Monopol auf die Ölförderung hatte. Sie verlegten Pipelines durch Dörfer, ohne Rücksicht auf die Menschen vor Ort. Es gab keine Kontrollen, die Umwelt wurde jahrzehntelang verwüstet. Es gibt Gebiete, da ist der ganze Boden schwarz, als wäre die Erde verbrannt. Aber es ist Öl. Das Niger-Delta war mal eine der fruchtbarsten Regionen Ostafrikas, jetzt ist die Bevölkerung dort abhängig von Lebensmittelimporten. Die meisten Menschen dort sind Fischer und Bauern. Doch die Ernten sind stark zurückgegangen, und fischen ist kaum noch möglich: Den Fisch kann man nicht essen. Bei der Ölförderung wird außerdem Erdgas abgefackelt. Das heißt, die Menschen werden in aller Hinsicht vergiftet: Boden, Wasser und Luft. Viele Menschen werden krank. Mein Bruder ist dort vor zwei Jahren gestorben, an Lungenkrebs. Dabei hat er nie geraucht, nie Alkohol getrunken. Grundsätzlich liegt die Lebenserwartung vor Ort rund sechs Jahre unter dem Landesdurchschnitt. Dabei ist wichtig zu sehen, dass Europa und Deutschland abhängig von diesen Ländern sind, und nicht andersherum. Ohne Rohstoffe keine Arbeit, ohne Arbeit keine Innovation, keine Maschinen, und ohne Innovation kein Wohlstand, kein Sozialstaat. Wenn wir es nicht schaffen, gemeinsam diese Spirale der Schulden, des Kolonialismus zu beenden, dann werden wir auch die Klimakatastrophe nicht in den Griff kriegen.

Sie bereiten auch selbst eine Klage gegen Shell vor.

Ja, das ist so etwas wie mein Lebensziel. Es gibt mehrere Verfahren gegen Shell vor Zivilgerichten in Großbritannien und den Niederlanden. Eine der Klagen war auch bereits erfolgreich. Nigerianische Bauern gingen wegen einer Ölpest vor Gericht, und bekamen 2013 recht. Das war das erste Mal, dass ein so großer fossiler Konzern für Umweltschäden im Globalen Süden Schadensersatz zahlen musste. Mein Ziel ist jetzt, Shell vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu verklagen. Letztes Jahr haben die Vereinten Nationen eine Resolution verabschiedet, die das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Entwicklung als Menschenrecht einstuft. Das war ein Meilenstein, aber leider ist so etwas nicht völkerrechtlich bindend. Wir prüfen zurzeit, welche rechtlichen Möglichkeiten es im internationalen oder nationalen Recht noch gibt. Wir brauchen wasserfeste Instrumente für die Klage, denn Großkonzerne wie Shell können die besten Anwälte der Welt engagieren, sie kennen alle Schlupflöcher und PR-Maßnahmen. Es wird wohl langsamer gehen, als ich gehofft habe, aber ich bleibe dran. Ich glaube, ich werde das noch schaffen, bevor ich diese Erde verlasse.

 

Das Interview führte Julia Broich


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Kommentare

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Juri Hertel 05.06.2023, 17:55:15

Es wird hoechste Zeit den Tatbestand Ökozid als Verbrechen zu ahnden.

Viel Erfolg!


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