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Nachgefragt
20. Dezember 2021

„Die Individualmobilität verbraucht große Mengen Rohstoffe“

Für Elektroautos, Windkraft- und Solaranlagen werden Metalle und Mineralien gebraucht. Der Rohstoffhunger der Industriegesellschaften wächst aber bereits seit einem halben Jahrhundert. Im Gespräch spannt Michael Reckordt den großen Bogen für eine Rohstoffwende.

Michael Reckordt ist Geograf und bei PowerShift Referent für Rohstoffpolitik.

Michael Reckordt ist Geograf und bei PowerShift Referent für Rohstoffpolitik.
Foto: PowerShift

Herr Reckordt, sie berichten von einem stetig wachsenden Rohstoffbedarf, was sind die Treiber dafür?

Der Trend zu höherem Rohstoffverbrauch hat in der Nachkriegszeit eingesetzt. 1960 wurden rund 500 Millionen Tonnen metallische und mineralische Rohstoffe abgebaut. Im Jahr 2005 waren es 1,5 Milliarden – eine Verdreifachung. Der Trend, dass wir immer mehr technologische Produkte, immer mehr Autos, immer mehr Neubauten haben, hat also schon vor langer Zeit begonnen. Dominierend ist Eisenerz, es macht etwa 90 Prozent der verbrauchten Gesamtrohstoffmenge aus. 26 Prozent der deutschen Stahlimporte wandern in die Autoindustrie. Bau, Elektronikprodukte und Maschinenbau sind weitere Treiber, mit großem und wachsendem Rohstoffbedarf.

An der Elektromobilität entspinnt sich eine gesellschaftliche Debatte. Der Lithiumabbau steht in der Kritik. Wie ordnen Sie dieses Thema ein?

Wir sehen die Proteste in Serbien, Portugal, Spanien und Chile gegen Lithiumgewinnung. Generell nehmen soziale Proteste gegen alle Arten des Bergbaus zu. Meiner Meinung nach wird das E-Auto aber dämonisiert – auch der Motor eines Verbrennerautos besteht aus metallischen Rohstoffen. Darüber hinaus wird in der Karosserie von Autos Eisen, Aluminium und vieles andere verbaut.

Das Elektroantrieb allein ist also nicht der Weisheit letzter Schluss?

Mit der Elektromobilität ändern sich die Verbrauchsströme – wir verbrauchen kein Erdöl mehr und dafür mehr metallische Rohstoffe in den Batterien. Das sind nach aktuellem Stand vor allem Lithium, Kobalt, Graphit und Nickel. Aber es gibt auch technologische Ansätze, die auf Phosphat und Eisen setzen. Was oft in der Diskussion um E-Autos vergessen wird – auch sie haben eine schwere Karosserie, die aus wertvollen Rohstoffen besteht. Die Karosserie macht den Hauptverbrauch an Rohstoffen aus. Auch die Bordelektronik nutzt viele spezielle Rohstoffe. Daraus folgt: Die individuale Mobilität, so wie sie heute in den Industrienationen mit dem Auto vorherrscht, ist das Problem. Der Durchschnitts-Neuwagen wiegt mittlerweile 1,6 Tonnen. Den müssen wir bewegen, um eine 70 Kilogramm schwere Person zu befördern. Das ist ineffektiv. Fast 48 Millionen Fahrzeuge sind in Deutschland zugelassen. Diese alle durch Elektroautos zu ersetzen, erzeugt eine riesige Rohstoffnachfrage. Diese zusätzliche Nachfrage ist kaum zu decken durch Recycling und Kreislaufwirtschaft. Deshalb bedeutet das Eintreten für eine Rohstoffwende auch das Eintreten für eine Mobilitätswende. Das heißt wir brauchen kleinere Autos, leichtere Autos, mehrfach genutzte bzw. geteilte Autos und deutlich weniger Autos.

Werden erneuerbare Technologien vorgeschoben, um Rohstoffabbau zu rechtfertigen?

Um eine Akzeptanz für Bergbau innerhalb Europas und für Rohstoffimporte zu bekommen, wird häufig auf Erneuerbare Energien verwiesen. Eine Studie des Öko-Institutes sagt, dass Erneuerbare Energien eigentlich nur für sechs Rohstoffe der Treiber sind: Kobalt, Lithium, die Metalle Niob und Tantal – häufig unter dem Akronym Coltan zusammengefasst – und leichte und schwere seltene Erden. Das sind Rohstoffe, die in der Gesamtmengenbetrachtung eher weniger ins Gewicht fallen. Ein Großteil der heute verarbeiteten Rohstoffe sind eben nicht diese Rohstoffe, sondern Eisen, Bauxit/Aluminium und Kupfer. Mehr als 50 Prozent des in Deutschland genutzten Kupfers wandern in die Kabel- und Elektroindustrie, 15 Prozent in die Bauindustrie und neun Prozent in die Automobilindustrie. Beim Aluminium ist der Verkehrssektor Hauptabnehmer, knapp 50 Prozent werden dort verarbeitet.

Aus welchem Blickwinkel sehen Sie die geplante Vervielfachung des Ausbaus Erneuerbarer Energien?

Wir müssen uns zwei Dinge anschauen: Welchen Anteil haben erneuerbare Erzeugungsanlagen schon heute am Mineralien- und Metallverbrauch? Der Anteil ist eher gering im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen. Der Bau eines Hauses, eines Autos oder einer Maschine ist wesentlich materialintensiver. Die zweite Betrachtung: Wir sparen durch Erneuerbare Energien gleichzeitig viele andere fossile Rohstoffe ein. Um den Klimawandel zu stoppen, brauchen wir die Transformation und müssen diskutieren, an welchen Stellen der Rohstoffeinsatz sinnvoll ist. Die Hersteller von Windrädern und Solarsystemen sehe ich ebenfalls in der Pflicht. Auch diese Produkte müssen wir im Kreislauf denken. Alle Komponenten müssen recyclebar sein. Das würde auch den Druck vermindern, weitere Rohstoffe für Erneuerbare Energien abzubauen. Denn der große Vorteil von Metallen gegenüber fossilen Rohstoffen ist die Möglichkeit, sie immer und immer wieder zu nutzen. Es gibt systemische Verluste, eine 100-prozentige Kreislaufführung ist nicht zu schaffen, aber man könnte die Kontroverse abmildern und den Druck aus den rohstoffreichen Regionen und Protestbewegungen vor Ort nehmen, indem man sagt, unsere Nachfrage wird geringer.

Können Rohstoffe verschwinden?

Die Dissipation, das Verbrauchen von eigentlich nicht verbrauchbaren Rohstoffen, ist ein großes Problem. Metalle können im Kreislauf gehalten werden. Das muss sich aber wirtschaftlich lohnen. Wenn in Produkten nur sehr, sehr kleine Mengen von beispielsweise Gold, Silber oder Platin verbaut sind, dann werden sehr viele dieser Produkte gebraucht, um die Metalle ökonomisch zurückzugewinnen. An vielen Stellen werden Metalle nur in winzig dünnen Schichten verbaut, da wird es technisch nahezu unmöglich und auch ökonomisch schwer, weil der Energieaufwand sehr hoch ist. Für das Verschwinden von Rohstoffen ist Platin ein gutes Beispiel. Es wird in Katalysatoren von Verbrennungsmotoren verbaut und wir verteilen es in winzig kleinen Partikeln auf unseren Autobahnen. Es von dort zurückzugewinnen ist praktisch unmöglich.

Und leider verschwinden auch Rohstoffe, die man gut recyceln könnte…

Ja, das ist der Fall. Ein gutes Beispiel sind Smartphones und andere Elektrokleingeräte, die über den Hausmüll entsorgt werden. In einem Smartphone sind 40 bis 60 verschiedene Rohstoffe verbaut, auch sehr seltene. Aber diese Rohstoffe sind in so winzigen Schichten enthalten, dass man sehr viele Smartphones bräuchte, um diese Rohstoffe rückzugewinnen. Die Recyclingunternehmen wissen häufig gar nicht, welche Rohstoffe in den Tonnagen enthalten sind und wo genau sie verbaut sind. Deshalb werden Produkte manuell zerlegt, wodurch die Kosten steigen. Die Kreislaufführung von Rohstoffen ist im Moment ein Wettbewerbsnachteil, weil sie teuer ist.

Was muss geschehen, damit mehr Rohstoffe im Kreislauf bleiben?

Wir brauchen stärkere Vorgaben an das Design der Produkte. In dem Moment, in dem ein Produkt konzipiert wird, muss neben Funktionalität und Optik auch die Kreislaufführung von Rohstoffen mitgedacht werden. Nur so können wir eine Wirtschaft nachhaltig aufstellen. Tatsächlich sehen wir erste Ansätze bei den Batterien für die E-Mobilität. In der europäischen Batterieverordnung, die gerade im EU-Parlament diskutiert wird, sind Kreislauffähigkeit und Rezyklateinsatz – die tatsächliche Wiederverwendung in neuen Produkten – essenzielle Teile.

Sehen Sie in punkto Kreislaufwirtschaft gute Ansätze in der aktuellen Politik?

Wir finden es gut, dass sich die Ampelparteien im Koalitionsvertrag dafür ausgesprochen haben, den absoluten Rohstoffverbrauch zu senken. Das ist ein wichtiges Zeichen. Wir sind gespannt, wie das in die Tat umgesetzt wird. Welche Reduktionsziele wird das Umweltministerium nennen? Im Koalitionsvertrag wollen die Parteien die Kreislaufwirtschaft stärken. Es ist sehr gut, wenn ein Rohstoff möglichst lange in der Nutzung ist. Das schließt ein, dass Produkte reparierfähig sind, was heute häufig nicht der Fall ist. Reparaturen sind zum Teil gar nicht möglich oder nicht lukrativ. Überall dort wo wieder verwendbare Rohstoffe enthalten sind, brauchen wir eine gute Sammlung.

Was könnte darüber hinaus sinnvoll sein?

Eine weitere Idee sind Rohstoffpässe. Konsumentinnen und Konsumenten sollten sich dafür interessieren, ob ein Produkt reparierfähig ist und ob sie das vielleicht sogar selbst können. Sie müssen nicht wissen, welche Rohstoffe verbaut sind, aber der Recycler muss es wissen, er sollte diese Information vom Hersteller bekommen. Hier muss eine Kommunikation etabliert werden. Wenn die Rohstoffe beim Recycler landen, geht es schließlich darum, dass die rückgewonnenen Rohstoffe auch wieder in neuen Produkten verwendet werden. Dafür muss es Anreize geben, solange primär bergbaulich gewonnene Rohstoffe günstiger sind. Dennoch wird es zukünftig Abfälle und Verluste geben. Wir müssen im Grunde auch diskutieren, wo Großverbraucher von Rohstoffen sind und wie dieser Verbrauch reduziert werden kann – und da sind wir wieder bei der Individualmobilität.

Gibt es Länder und Regionen, die zukunftweisende Modelle haben?

Tatsächlich berechnet die EU die Circular Material Use Rate. Deutschland steht da nur knapp über dem europäischen Durchschnitt. In Europa sind die Niederlande der Klassenbeste mit deutlichem Abstand. Dort gibt es seit rund fünf Jahren eine Kreislaufwirtschaftsstrategie. Das erklärte Ziel ist, im Jahr 2050 als Gesellschaft eine zu 100 Prozent kreislaufbasierte Rohstoffwirtschaft zu haben. 2030 sollen bereits 50 Prozent erreicht sein. Das heißt, die Hälfte der Rohstoffe sollen dann nicht mehr aus dem Primärbergbau kommen oder aus der Abholzung von Wäldern, sondern aus der Wiedernutzung.

Was kommt in der Diskussion um Rohstoffverbrauch zu kurz?

Einer der großen Rohstoffverbraucher, für den fast keine Daten und Zahlen zu finden sind, ist der militärische Komplex. Das ist auch in Sicherheitsaspekten begründet. Wenn man sich anschaut, was ein Panzer oder Flugzeugträger wiegt, welche Rohstoffe die Militärtechnologie von Drohnen, über Flugzeuge, Waffen bis hin zu Waffensystemen nutzt, ist das ein Bereich, über den wir viel zu wenig sprechen und wo es große Wissenslücken gibt.

Das Gespräch führte Petra Franke.

PowerShift ist eine deutsche Nichtregierungsorganisation, die sich für eine ökologisch und sozial gerechtere Welt und Rohstoffwirtschaft einsetzt. PowerShift arbeitet zu drei Schwerpunkten: zu Mobilität und Mobilitätsgerechtigkeit auf Berliner Ebene, zu Handel und Investitionspolitik auf europäischer Ebene und zur deutschen und europäischen Rohstoffpolitik. PowerShift setzt sich für eine Rohstoffwende ein: für eine absolute Reduktion des Verbrauchs an bergbaulich gewonnenen Primärrohstoffen. Unbedingt notwendige Rohstoffe sollen unter höchsten ökologischen und sozialen Bedingungen abgebaut werden.


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Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Joe Blue 03.01.2022, 00:55:37

"Das Elektroantrieb allein ist also nicht der Weisheit letzter Schluss?" Richtig. Es ist aber die Lösung für die zukünftige Individualmobilität, da wir nicht mehr weiter Erdöl verbrennen dürfen. Auch Synfuels oder Wasserstoff sind da nämlich keine Lösung, weil diese 4-10x so viel Energie benötigen wie die E-Mobilität. Besser wären natürlich weniger Autos, wenn Auto, dann aber elektrisch. Autoakkus können übrigens heute schon zu 96% recycelt werden und werden schon aktuelle zu 70-80% recycelt.


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