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Nachgefragt
21. September 2021

Einen Mehrwert für die Stadt insgesamt schaffen

Urbane Klimaanpassung: Darla Nickel, Leiterin der Berliner Regenwasseragentur (die Institution wurde im Mai 2018 vom Land Berlin und den Berliner Wasserbetrieben gegründet) zu Fortschritten, Hürden und Handlungsbedarf bei der Umsetzung von Maßnahmen für eine Schwammstadt in der Bundeshauptstadt.

Dr. Darla Nickel, Leiterin der Berliner Regenwasseragentur

Dr. Darla Nickel, Leiterin der Berliner Regenwasseragentur
Foto: © Berliner Regenwasseragentur

Frau Nickel, das Konzept der Schwammstadt wird schon seit Jahren diskutiert. Nun hat es angesichts der Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen neue Aktualität erhalten. Doch die praktische Umsetzung entsprechender Maßnahmen kommt häufig nur schleppend voran. Wo steht hier Berlin?

Ich habe schon den Eindruck, dass in den letzten drei, vier Jahren das Thema unglaublich an Fahrt aufgenommen hat, nicht nur in Berlin. Wir sind vielleicht noch in der Phase intensivierter Sensibilisierung, wo die Akteure das nicht mehr wegreden. Im Neubau passiert schon sehr viel. Die meisten Bauprojekten, die derzeit in Berlin neu entstehen, beinhalten Schwammstadt-Elemente. In Berlin gibt seit 2018 neue Vorgaben für den Umgang mit Regenwasser bei Bauvorhaben und die besagen, dass das Regenwasser komplett oder nahezu komplett vor Ort bewirtschaftet werden muss. Wie das gemacht wird – mit grünen Dächern und Fassaden, Mulden, Rigolen, offenen Wasserflächen oder Zisternen –, das ist Sache der Eigentümer, wobei wir sie beraten. Die Wasserbehörde wacht streng über die Einhaltung dieser Prinzipien. Jetzt entstehen in Form der neuen Wohnsiedlungen – das sind jeweils Kleinstädte für sich – komplett regenwasserabflusslose Gebiete. Wo es aber wirklich schleppend vorangeht, ist im Bestand, das heißt in der bebauten Stadt, wo wir auch die größten Herausforderungen haben.

Warum passiert im Bestand noch wenig, was sind wichtige Gründe hierfür?

Anders als für den Neu- oder Umbau fehlen hier verbindliche Vorgaben und damit auch Anreize, die Schwammstadt umzusetzen. Es gibt in Berlin ein „1000 Grüne Dächer-Programm“, das explizit auf Bestandsgebäude in den Innenstadtbereichen abzielt. Das kommt gut an: in den vergangenen zwei Jahren wurden bereits eine Förderung für 10.000 m² Dachbegrünung auf bestehende Dächer bewilligt. In gewissem Umfang kann auch beim Niederschlagswasserentgelt eingespart werden. Doch darüber hinaus fehlt der Impetus, im Bestand im größeren Stile Schwammstadt-Maßnahmen umzusetzen.

Das heißt man bräuchte noch zusätzliche regulatorische Vorgaben für die Bestandsgebäude und -flächen?

Genau. Nötig wäre ein Instrumentenmix aus Finanzierung, stadtplanerischen Instrumenten und Vereinbarungen, die dann deutlich machen, wer für was zuständig ist. Ein Problem ist in Berlin, dass die etwa Zuständigkeiten zwischen dem Land und den Bezirken stark zersplittert sind und dass sich die Akteure teils für das Thema nicht zuständig fühlen. Häufig sind auch die Personalressourcen nicht vorhanden. Wir brauchen mehr von der Idee überzeugte Leute in der Verwaltung, die dann in der Lage sind, dieses Thema besser mitzudenken. Dieses Werben ist eine unserer wichtigsten Eigenschaften. Und wir freuen uns natürlich, dass wir damit mehr und mehr Erfolg haben.

Was können Sie denn als Regenwasseragentur hierbei leisten?

Wir sind ja nicht für die Umsetzung von Maßnahmen zuständig, sondern wir sind beratend unterwegs, informierend, vernetzend, Dialog stiftend. Wir unterstützen die Verwaltung bei ihren Bauvorhaben. Sie kommen zu uns und wollen Hilfestellungen bei Leistungsbeschreibungen, bei der Bewertung von Konzepten, überhaupt bei der Aufstellung des Planungsziels. Und wir versuchen die verschiedenen Akteure zusammenzubringen und den Austausch zu fördern, sei es anhand von konkreten Pilotvorhaben oder in punkto standardisierte Bauprozesse in der Stadt. Manchmal ist es ja auch erforderlich ein bisschen außerhalb der Standards zu denken und neue Wege zu gehen. Natürlich bringen sich andere Akteure da auch ganz stark ein, wie zum Beispiel die Berliner Wasserbetriebe oder die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. Wir versuchen diesen Austausch zu fördern, indem wir die Knackpunkte identifizieren, sie gezielt angehen und versuchen, die Bedingungen so aufzustellen, dass es funktioniert.

Können Sie hierfür ein konkretes Beispiel nennen?

Wenn man angrenzend an eine Grünfläche in der Stadt ein großes Gebäude hat, auf einem privaten Grundstück, und dieses ist so stark überbaut, dass Sie keine Fläche finden, wo Sie das Regenwasser bewirtschaften können, dann liegt es nahe, das Regenwasser in die Grünfläche zu leiten, wo es offenen Boden gibt, in dem das Wasser versickern kann und wo die Vegetation davon profitiert. Die Zuständigkeit für diese Grünfläche liegt jedoch beim Bezirk. Also haben wir einen Privatakteur und einen öffentlichen Akteur und die müssen sich einigen, wie man diese Flächen langfristig für die Regenwasserbewirtschaftung nutzt und wie man das in Bezug auf Pflege und Kosten und so weiter vertraglich regelt. Wir nennen das grundstücksübergreifende Lösungen, die werden überall in der Stadt gesucht. Und wir versuchen, so etwas wie Blaupausen zu schaffen, an denen sich die Akteure künftig orientieren können,

Und solche Schritte in Richtung Schwammstadt sind nicht in jedem Fall erst mal teurer?

Es ist mal so und mal so. Also da, wo wir auf der grünen Wiese Neues bauen, ist es in der Regel günstiger. Und ob ich in der Innenstadt meinen Hof versiegelt lasse oder in manchen Bereichen entsiegele, kann sich aufwiegen, denn für entsiegelte Flächen fällt ja beispielsweise das Niederschlagswasserentgelt weg. Zusätzliche Kosten entstehen dann, wenn ich ein Grundstück stark überbauen darf, jeden Winkel auch gewinnmaximierend ausquetsche und dann unterirdisch Speicher schaffen muss. Doch stellt sich ja auch die Frage was in die Kostenrechnung einbezogen wird. Denn wenn wir die Schwammstadt umsetzen, dann gewinnen wir nicht nur viel Lebensqualität in Form von angenehmerem Mikroklima und Schönheit, sondern wir vermeiden auch Schäden. Wir vermeiden Überflutungsschäden, gesundheitliche Schäden und wir vermeiden auch Investitionen, also sehr teure Aufwendungen für zentrale Systeme, sofern sie sich überhaupt noch erweitern lassen, um Überflutungen oder Mischwasserüberläufe in Gewässer zu vermeiden.

Sprich, die vermiedenen Kosten sollten auch finanziell honoriert werden?

Dadurch, dass Haus- oder Grundstückseigentümer in Schwammstadt-Lösungen investieren, schaffen sie einen Mehrwert für die Stadt insgesamt. Und das heißt, es braucht da auch einen Transfer an Mitteln. Ich finde, dass es da eine finanzielle Unterstützung geben sollte.

Das Interview führte Hans-Christoph Neidlein.


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