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Nachgefragt
14. August 2023

„Integration von Wärmepumpen in Verteilnetze ist machbar“

Wie Netzbetreiber dem anstehenden Ausbau von Wärmepumpen und den damit einhergehenden Verbrauchsspitzen begegnen können, erläutert Simon Koopmann im Interview: Die Aufgabe ist groß, aber technisch lösbar.

Simon Koopmann entwickelt mit seinem Unternehmen envelio Softwarelösungen für Verteilnetzbetreiber.

Simon Koopmann entwickelt mit seinem Unternehmen envelio Softwarelösungen für Verteilnetzbetreiber.
Foto: envelio

Herr Koopmann, warum ist der großflächige Ausbau vieler Wärmepumpen eine so herausfordernde Aufgabe?

Wenn in einem Straßenzug oder Ortsteil viele Wärmepumpen verbaut sind, führt das unweigerlich zu Lastspitzen – da ja die Menschen in ihren Häusern den Wärmebedarf gleichzeitig haben. Im Vergleich zu heute müssen die Stromnetze in Zukunft zu einigen Zeitpunkten also sehr viel mehr Strom verteilen als zuvor. Würde man das Netz entsprechend der sehr selten vorkommenden extremen Spitzen ausbauen, müsste man sie extrem groß dimensionieren und hätte eine Infrastruktur, die an vielen Zeitpunkten im Jahr überhaupt nicht gebraucht wird. Abgesehen von der Unwirtschaftlichkeit wäre das auch mit den vorhandenen Ressourcen kaum zu schaffen bzw. nicht im notwendigen Tempo. Denn für den Ausbau müssen Straßen aufgerissen und neue Trafostationen gebaut werden - und das alles in Städten und Vorstädten. Der Faktor Geschwindigkeit hat aber auch für die Wärmewende eine hohe Bedeutung.

Wie kann der Wärmepumpen-Rollout dennoch gelingen?

Da dabei viele Wechselwirkungen zu berücksichtigen sind, ist eine solide und vorausschauende Planung auf der Infrastrukturseite die Voraussetzung.  Die gesetzlich vorgesehene kommunale Wärmeplanung halte ich prinzipiell daher für einen richtigen Schritt. Eine zügige Umsetzung und enge Einbindung der Stromverteilnetzbetreiber ist nur sehr wichtig. Die Verteilnetzbetreiber können damit ihre Szenarien für das Stromnetz mit der Erwartung, wo viele Wärmepumpen an die Verteilnetze angeschlossen werden und wo eher nicht, konkretisieren. Lokale Engstellen und Probleme können dann konsequent angegangen werden.

Gibt es da nicht schon eine Sollbruchstelle? Stromnetzbetreiber und Wärmeplaner sind ja nicht identisch…

Das stimmt, eine Zusammenarbeit und der Austausch von Informationen sind dringend erforderlich. Stadtwerke sind dabei wichtige Akteure, zumal sie meist mehrheitlich in kommunaler Hand sind. Oft besteht daher ein guter Draht zur Kommune. Wir stellen auch fest, dass die Kommunen die Wärmeplanung zwar umsetzen müssen, sie das aber nicht losgelöst von den Stadtwerken tun, sondern gemeinsam vorgehen, was sehr sinnvoll ist.   Wir unterstützen diesen Prozess von Seiten des Stromnetzes. Unsere Plattform analysiert Verteilnetze und generiert Vorschläge, wie das Netz auszubauen ist und wo echte Hotspots im Netz sind. Um beide Seiten abzudecken, arbeiten wir u.a. mit dem Partnerunternehmen DigiKoo zusammen, das auf der Seite der Wärmeplanung arbeitet. Unsere Lösungen sind miteinander gekoppelt, so dass wir eine nahtlose digitale Schnittstelle haben.

Wir sprechen von einem sich ständig verändernden System – kann das wirklich 1:1 abgebildet werden?

Es stimmt, wir sprechen über eine Planung unter Unsicherheiten. Deshalb ist es so wichtig, die Möglichkeit zu haben, verschiedene Szenarien zu betrachten. Beispielsweise verschiedene Dämmungsgrade der Gebäude oder Ausbaugrade des Wärmenetzes. Die ganzheitliche Analyse von Wärme- und Stromnetz liefert   dann robuste Szenarien. Wo mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Fernwärmenetz ausgebaut wird, können massiv Ausbaukosten am Stromnetz gespart werden. Der Netzbetreiber, der unsere intelligente Plattform anwendet, kann die Szenarien beliebig gestalten. Grundsätzlich können alle Erzeugungsanlagen und Verbrauchseinrichtungen in die strategische Netzplanung einbezogen werden. Also z.B. auch Ladesäulen oder Photovoltaik-Dachanlagen. 

Dennoch wird der Wärmepumpenzubau enorm sein und damit auch die besagten Lastspitzen. Welche Lösungen gibt es dafür?

Vielerorts muss das Netz ausgebaut werden. Das ist ressourcenseitig eine Herausforderung. Der Netzausbau wird teilweise nicht so schnell erfolgen wie der Wärmepumpenausbau. Daher brauchen wir für die Übergangszeiten, bis der Netzausbau nachzieht, Flexibilisierungsmaßnahmen im Netz.  Es muss möglich sein, Lastspitzen zu dämpfen, sprich den Verbrauch zu dimmen. Um das zu regeln, erarbeitet die Bundesnetzagentur derzeit eine entsprechende Regelung für die Ausgestaltung des § 14a des Energiewirtschaftsgesetzes. Die Konsultation ist abgeschlossen, und die neuen Maßnahmen könnten Anfang nächsten Jahres unmittelbar in Kraft treten.

Da gibt es auch viele Ängste und Befürchtungen…

Es geht bei der Dimmung von Lasten um große steuerbare Verbraucher wie Ladepunkte, Wärmepumpen, Klimaanlagen oder Batteriespeicher im Lademodus. Mit den jetzt vorgeschlagenen Regeln zur Leistungsminderung kann tatsächlich viel Druck aus dem Kessel genommen werden und die bestehende Infrastruktur effizienter genutzt werden. Und ganz wichtig: kein Verbraucher wird komplett abgeschaltet, sondern es geht um eine verringerte Leistung und das auch nur im absolut notwendigen Umfang als ultima ratio und auf wenige Stunden begrenzt. Der Netzbetreiber muss die Belastungsgrenze seines Netzes live nachweisen. Kommt die Regel so wie im Entwurf vorgesehen, kann eine Wärmepumpe immer noch mit 4,2 KW betrieben werden. Das ist schon eine ordentliche Leistung. Viele Wärmepumpen laufen regelmäßig mit geringeren Leistungen.

Können denn Netzbetreiber Belastungsgrenzen ihrer Netze live erkennen?

Da ist in den letzten Jahren viel passiert, es wurde Messtechnik installiert, inzwischen nimmt auch die Anzahl an Smart Metern zu. Die meisten Netzbetreiber haben das inzwischen zumindest in Pilotprojekten erprobt und gehen jetzt in ein echtes Live Monitoring in einem wachsenden Anteil ihrer Netze über. Zumeist sind die Ortsnetzstationen, wo der Transformator steht, mit Messtechnik ausgestattet, so dass gemessen werden kann, was über den Transformator fließt. Mit den Smart Metern als Ergänzung ist dann schon ein ganz gutes Bild möglich. Man braucht keine flächendeckende Messstellenabdeckung, sondern kann auch aus wenigen vorhandenen Messpunkten mit den richtigen Algorithmen ableiten, was gerade im Netz passiert. Auch historische Daten helfen, die Qualität der Netzzustandsschätzung zu verbessern. Mit dem zunehmenden Smart Meter Rollout wird das Monitoring dann immer genauer.

Wie optimistisch sind Sie, dass all diese Prozesse gelingen?

Ich bin auf jeden Fall davon überzeugt, dass wir all das technisch gelöst bekommen. Niemand muss Panik haben, dass er keinen Strom für seine Wärmepumpe bekommt. Ich würde sagen, die Risiken, die wir mit der Gasversorgung haben, sind viel größer als die anstehenden Aufgaben, die mit dem Stromnetzausbau einhergehen. Niemand muss sich sorgen, dass Strom rationiert wird. Natürlich gibt es noch viel zu tun. Das Netz muss ausgebaut werden, es muss mehr Messtechnik verbaut werden und es müssen digitale Lösungen wie unsere Intelligent Grid Platform ausgerollt werden, aber das ist alles machbar. Die Netzbetreiber stehen vor einer großen Aufgabe, die sie aber beherzt angehen. Aus meiner Sicht könnte bis 2030 in Sachen Netztransparenz wirklich viel erreicht werden, so dass dann noch vorhandene Schwachpunkte an einzelnen Stellen im Netz gezielt beseitigt werden können.

Das Gespräch führte Petra Franke

Simon Koopmann ist Co-Gründer und Geschäftsführer von envelio. Das Unternehmen bietet für Verteilnetzbetreiber eine Softwarelösung, die Netzdaten aufbereitet und die digitale Netzplanung und Netzbetriebsführung ermöglicht.

 


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