Menü öffnen

Nachgefragt
20. September 2023

„Kleinere Strompreiszonen sind effizienter“

Ein Vorschlag der Bundesnetzagentur für gerechtere Netzentgelte hat die Diskussion um verschiedene Strompreiszonen in Deutschland neu belebt. Letztlich geht es um den Umgang mit Netzengpässen. Im Interview erläutert Bernd Weber die europäische Dimension der Debatte.

Bernd Weber ist Gründer und Geschäftsführer der Denkfabrik EPICO, Energy and Climate Policy and Innovation Council e.V. 

Bernd Weber ist Gründer und Geschäftsführer der Denkfabrik EPICO, Energy and Climate Policy and Innovation Council e.V. 
Foto: EPICO

Die norddeutschen Bundesländer haben letztes Jahr eine Aufteilung Deutschlands in verschiedene Strompreiszonen gefordert. Weil in ihren Ländern viel erneuerbare Erzeugungsanlagen, vor allem Windkraftanlagen, gebaut werden, müssen auch die Netze vor Ort stark ausgebaut werden. Das schlägt sich auf die regionalen Netzentgelte nieder, die im Norden höher sind als im Süden. Die Bundesländer im Süden und Westen haben sich vehement gegen diesen Vorschlag ausgesprochen. Mit einem Vorschlag für faire Netzentgelte hat die Bundesnetzagentur die Debatte wieder angefacht. Höhere oder niedrigere Netzentgelte treffen vor allem die Nachfrageseite. Es gibt aber auch einen Hebel, der Impulse sowohl auf Angebots- und Nachfrageseite setzt: die Bildung kleinerer geografischer Marktgebiete, sogenannter Strompreiszonen, innerhalb derer mit Strom gehandelt wird. An diesem Schalthebel sitzt die Europäische Union.

Herr Weber, wie kann man sich der Debatte über verschiedene Strompreiszonen annähern?

Bernd Weber: Grundsätzlich sind verschiedene Strompreiszonen innerhalb eines Landes nichts Außergewöhnliches. Wir sehen das außerhalb Europas, aber auch in Europa. Dänemark hat zwei Zonen, Norwegen fünf, Italien sieben und Schweden vier. Übrigens bildete Deutschland/Luxemburg zusammen mit Österreich auch lange eine Gebotszone, die 2018 auf Druck der EU geteilt wurde. Solche Überprüfungen und gegebenenfalls Nachjustierungen sind auf europäischer Ebene in regelmäßigen Abständen vorgesehen.

Was spricht für kleinere Gebotszonen?

Je größer eine Zone ist, desto weiter muss der Strom bis zum Abnehmer transportiert werden. Das ist mit Kosten verbunden, die auf alle verteilt werden. In der Theorie gehen wir bei einer größeren Marktzone davon aus, dass die Potenziale der Erneuerbaren in einem liquiden Markt effizient genutzt werden können, wenn der Strom uneingeschränkt transportiert werden kann. Diese Annahme steht allerding im Widerspruch zu der physikalischen Realität der Netzengpässe in Deutschland von Nord- nach Süd. Kleinere Strompreiszonen sind insofern wirtschaftlich effizienter, weil sie die lokalen Gegebenheiten, beispielsweise verfügbare Erzeugungskapazitäten und vorhandene Netzinfrastruktur, besser widerspiegeln. Sie bieten durch unterschiedliche Preise auch Anreize für die Verlagerung von Produktion und Verbrauch an vorteilhafte Standorte. Deshalb schaut auch die EU auf diese Strukturen und gibt Impulse sie zu verändern.

Sie haben Schweden erwähnt, könnten Sie die Aufteilung dort näher beschreiben?

Schweden hat vier verschiedene Gebotszonen, die ebenfalls auf Initiative der EU gebildet wurden. Was das geografische Muster betrifft, gibt es ähnlich wie in Deutschland ein starkes Nord-Süd-Gefälle. Die Erneuerbaren sind vor allem im dünn besiedelten Norden stark ausgebaut und die großen Industriestandorte liegen im Süden. Es gibt auch hier Netzengpässe, weil der Ausbau der Erneuerbaren schneller vorangeht als der Netzausbau. Wenn diese Engpässe im Preismodell abgebildet werden, können sie auch adressiert werden. Das ist in Schweden der Fall, die Preise in den verschiedenen Gebotszonen sind im jährlichen Durchschnitt sehr unterschiedlich. Man versucht, mit den Strompreisen den physischen Zustand des Netzes abzubilden. Die verschiedenen Preise führen dann wiederum zu Anreizen: zum Bau neuer Erzeugungsanlagen oder bei der Ansiedlung von großen Verbrauchern. Idealerweise verlieren die verschiedenen Strompreise dann ihre Existenzgrundlage, wenn die physikalischen Realitäten neu ausbalanciert sind und Netzengpässe verschwinden.

In Deutschland wird ein einheitlicher Strompreis, also die Beibehaltung der bestehenden Gebotszone, angestrebt, warum?

Die Politik in Deutschland schaut mit einem ganz anderen Fokus auf das Thema. Gleichwertige Lebensverhältnisse und ein einheitlicher Wirtschaftsraum haben eine starke Tradition. Es soll keine Unterschiede geben bzw. Nachteile für Erzeuger und Verbraucher an einem Standort vermieden werden. Deshalb werden vorhandene Unterschiede in erster Linie über den Netzausbau als Lösung angegangen. Leider hatte das bisher nur beschränkten Erfolg. Mehrere dringend notwendige tausend Trassenkilometer im Übertragungsnetz fehlen uns noch immer.

Was genau sind die negativen Wirkungen von Netzengpässen?

Hier sind zwei Punkte relevant. Zum einen führen in Deutschland Netzengpässe zu erheblichen Kosten durch Redispatch also Verringerung der Einspeisung vor einem Engpass und Erhöhung dahinter und durch Einspeisemanagement, also notwendige Abregelung von Erzeugungsanlagen, die sich in hohen Netzentgelten niederschlagen. Diese steigen immer weiter und machen schon jetzt gut 20 Prozent des Strompreises für Haushalte aus. Auch industrielle Abnehmer sind damit konfrontiert.

Zum anderen gibt es grenzüberschreitende Auswirkungen Wenn im Norden mehr erneuerbarer Strom erzeugt wird als in den Süden durchgeleitet werden kann bzw. müsste, kommt es zu außerplanmäßigen Stromflüssen, sogenannten Ringflüssen über unsere Nachbarländer. Der Strom wird um den Engpass herum transportiert. Gerade das Außerplanmäßige ist in diesem Zusammenhang das Problem. Denn das schränkt auch unsere Nachbarländer z.B. in Ihrem Stromhandel ein, die dann „unseren“ Strom durchleiten müssen. Anders formuliert, das Problem unserer Engpässe wird outgesourct oder verlagert.

Welche Rolle spielt die EU in dieser Problemlage?

Die Strommarktverordnung gibt der EU das Mandat für regelmäßige Überprüfungen, um die Aufteilung von Gebotszonen möglichst effektiv zu gestalten. Kriterien sind Netzsicherheit, Markteffizienz, Stabilität, Auswirkungen auf die Energiewende und weitere. Die europäische Behörde ACER holt sich Input von den Übertragungsnetzbetreibern und stößt Überprüfungen an. 2022 hat die Behörde Vorschläge für Gebotszonenaufteilungen für mehrere Länder vorgelegt. Das Besondere daran: für andere betroffene Länder legte sie jeweils einen Vorschlag vor, für Deutschland kamen vier Vorschläge. Das zeigt, wie stark Deutschland im Fokus steht.

Was sind die nächsten Schritte?

Die Übertragungsnetzbetreiber der betroffenen zehn Länder werden bis zum Frühjahr 2024, die Anregungen von ACER prüfen und mit konkreten Vorschlägen zur Neuaufteilung der Strompreiszonen reagieren. Danach müssen die zehn Länder eine Entscheidung treffen. Entscheiden sie sich einstimmig für oder gegen eine Aufteilung der Gebotszonen, ist ihre Entscheidung bindend. Finden sie keine gemeinsame Position, geht der Ball an die Europäische Kommission, die dann wiederum innerhalb von sechs Monaten eine Entscheidung trifft.

Welche Optionen hat Deutschland, um einer Aufteilung der Gebotszone zu begegnen?

Das Beste wäre natürlich, wir schaffen es, die Netzengpässe zu reduzieren. Dafür gibt es ein klares Kriterium: 70 Prozent der Netzkapazitäten müssen für grenzüberschreitenden Handel zur Verfügung stehen. Bis zum Jahresende 2025 müssten wir das erreichen. Damit wäre der Grund für eine Aufteilung quasi nicht mehr vorhanden. Wenn wir das nicht schaffen, könnten wir bis Mitte 2025 ein Paket an Behebungsmaßnahmen vorschlagen, das allerdings alle anderen betroffenen Staaten überzeugen muss. Da wäre eine Reform der Netzentgelte denkbar oder auch die Übernahme von Kosten, die unseren Nachbarländern durch unsere Engpässe entstehen. Wichtig ist: Kurzfristige Behebungsmaßnahmen allein reichen nicht aus und werden auch die anderen Mitgliedsstaaten nicht überzeugen können, wir müssen strukturell sicherstellen, die Netzengpässe verlässlich und zügig abzubauen. Dazu sind dringend Reformen notwendig statt einem „Weiter-so".

Das Gespräch führte Petra Franke.


Mehr zum Thema


Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben


Name: *
E-Mail: *
(wird nicht veröffentlicht)
Nicht ausfüllen!


Kommentar: *

(wird nicht veröffentlicht)
max 2.000 Zeichen


energiezukunft