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Nachgefragt
20. Juli 2022

Wie geht es weiter in der Gaskrise?

Seit dem 23. Juni gilt in Deutschland die Gas-Alarmstufe, es wird vor einem Mangel an Erdgas in der Energieversorgung gewarnt. NATURSTROM-Vorstand Oliver Hummel erklärt im Interview, was diese erstmals ausgerufene Warnstufe bedeutet, wie es überhaupt so weit gekommen ist und wie sich die Situation weiterentwickeln könnte.

Oliver Hummel ist Vorstand der NATURSTROM AG und für die Belieferung der Endkunden und den Handel mit Strom und Gas zuständig.

Oliver Hummel ist Vorstand der NATURSTROM AG und für die Belieferung der Endkunden und den Handel mit Strom und Gas zuständig.
Oliver Hummel, Vorstand der NATURSTROM AG

Ist die Gasversorgung für NATURSTROM-Kund:innen gesichert?

Ja, die Versorgung ist momentan sicher. Bisher fließt ausreichend Gas aus verschiedenen Quellen nach Deutschland, um die komplette Nachfrage zu decken und sogar weiter gewisse Mengen einzuspeichern, wenn auch nur noch auf geringem Niveau. Und selbst wenn Gas tatsächlich knapp werden würde, also nicht mehr alle Nachfragen durch die verfügbaren Gasmengen bedient werden könnten, wären Haushalte genauso wie bestimmte besonders sensible Einrichtungen, etwa Krankenhäuser die allerletzte Abnehmergruppe, bei denen es zu Einschränkungen kommen würde. In diesen Bereichen ist also wirklich unwahrscheinlich, dass diese am Ende kein Gas mehr bekommen. Nichtsdestotrotz ist schon heute das Einsparen von Energie sinnvoll. Und bei Industriebetrieben oder sonstigen Großverbrauchern kann es tatsächlich im Herbst oder Winter zu verordneten Einschränkungen der Lieferungen kommen, abhängig vom Umfang der russischen Gasimporte. So würde dann abgesichert, dass ausreichend Gas für die besonders geschützten Verbrauchergruppen zur Verfügung steht

 

Wie ist es zur aktuellen Situation gekommen?

Schon im März trat in einem ersten Schritt die Frühwarnstufe des dreiteiligen Notfallplans Gas in Kraft. Seitdem unterliegt der Import von Erdgas und die innereuropäische Verteilung einem genaueren Monitoring. Es werden Daten gesammelt und mögliche Maßnahmen vorbereitet. Am 23. Juni hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die so genannte Alarmstufe und damit den zweiten Schritt des dreigliedrigen Notfallplans Gas ausgerufen. Daraus ergeben sich noch keine direkten Konsequenzen, aber der Gasmarkt wird verschärft beobachtet, es gibt eine erhöhte Koordination der Gasflüsse innerhalb der EU sowie mit den Lieferanten und Großverbrauchern. Zudem kann das Ministerium Maßnahmen einleiten, um den Gasverbrauch zu reduzieren, etwa über die Einschränkung der Gasnutzung bei der Stromerzeugung. In den ersten beiden Stufen – und damit eben auch aktuell – erfolgt die Gasverteilung aber weiter über den Markt. Diese Marktmechanismen will die Politik auch so lange wie möglich aufrechterhalten. Erst in der dritten und letzten Stufe, dem tatsächlichen Notfall, würde die Bundesnetzagentur als so genannter Lastverteiler den Markt außer Kraft setzen und dann von Staats wegen entscheiden, welche Verbraucher noch beliefert werden und an welchen Stellen es zu Einschränkungen kommt. Die Versorgung von geschützten Einrichtungen wie etwa Krankenhäusern und von privaten Haushalten steht hier an oberster Stelle.

 

Zurzeit fließt also noch ausreichend Gas nach Deutschland, um die Nachfrage zu decken. Warum gilt dann überhaupt die Warnstufe?

Das kommt daher, dass auch die Entwicklung der kommenden Monate einbezogen wird. Und beim aktuellen Stand der Gasflüsse würden die Mengen nicht ausreichen, um die Speicher bis zum Beginn der Heizperiode ausreichend bzw. gemäß der gesetzlichen Vorgaben zu füllen und damit für den Winter definitiv abgesichert zu sein. Momentan besteht also noch kein akuter Gasmangel, aber es ist eine mögliche Perspektive. Die Warnstufe ist deshalb eine angemessene Reaktion auf die Situation.

 

Ist die Lage nicht bereits seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine kritisch?

Die Situation hat sich insofern geändert, dass seit Mitte Juni deutlich weniger Gas aus Russland nach Deutschland und Europa fließt. Trotz der bisherigen Anstrengungen, andere Importquellen zu finden, ist Russland immer noch größter Gaslieferant. Schon 2021 ist der größte deutsche Gasspeicher entgegen dem üblichen Marktverhalten fast leer geblieben und Russland hat trotz hoher Preise weniger Gas geliefert. Auch der genannte Gasspeicher wurde von einem russischen Staatsunternehmen kontrolliert. Schon vor Beginn des Angriffskrieges hat Russland seine Gasressourcen damit strategisch eingesetzt und so für weiter steigende Gaskosten gesorgt. Seit Jahresanfang 2022 und Kriegsbeginn hat sich die Situation noch einmal deutlich verschärft. Bereits zuvor rückläufige Gasimporte durch die Jamal-Pipeline, einer der zuvor wichtigsten Transportwege, kamen im März vollständig zum Erliegen. Und auch durch die Ukraine, deren Pipeline-Infrastrukturen noch gewisse Gastransite gewährleisten könnten, kam kein Gas mehr nach Europa und Deutschland. Lediglich die durch die Ostsee laufende Pipeline Nord Stream 1 wurde zunächst weiter in vollem Umfang genutzt. So wurden zunächst die bis dato vereinbarten langfristigen Lieferverträge eingehalten.

 

Und das hat sich jetzt geändert?

Seit Mitte Juni sind auch die auf diesem Weg gelieferten Gasmengen in zwei Schritten deutlich zurückgegangen. Zuletzt sanken sie auf nur noch 40 Prozent der vorherigen Importe. Damit wurden erstmals fest vereinbarte Lieferkontrakte nicht erfüllt. Russland und dessen Staatsfirmen nutzen Energieressourcen also nicht mehr nur strategisch, sondern wurden vertragsbrüchig. Wenn es bei den aktuellen verringerten Liefermengen bleibt, könnten die deutschen und europäischen Speicher nicht ausreichend aufgefüllt werden, um eine Versorgung über den Winter vollständig abzusichern. Darüber hinaus gibt es Spekulationen, dass nach einer für Mitte Juli vorgesehenen üblichen Wartung der Pipeline Nord Stream 1 die Gasimporte nicht wieder aufgenommen würden. Die Wartung dauert üblicherweise rund zwei Wochen. Doch sollte danach nicht wieder Gas fließen, könnte es in den kommenden Monaten trotz des geringeren Gasverbrauchs im Sommer schon zu Mangelsituationen kommen.

 

Was bedeutet das für die Gaspreise?

Knappe Verfügbarkeiten heißen immer hohe Preise – das manifestiert sich auch in schmerzlicher Deutlichkeit im Gasmarkt. Schon seit Herbst 2021 sind die Großhandelspreise für Gas in Höhen geklettert, die nie zuvor erreicht wurden. Während Gas im Termin-Einkauf lange um die zwei Cent pro Kilowattstunde gekostet hat, hat sich dieser Wert seit Herbst 2021 vervielfacht. Noch 2020 lag der Gaspreis wegen des geringeren Verbrauchs im ersten Corona-Pandemiejahr auf einem Tiefststand von gut 1 Cent pro Kilowattstunde. Aktuell wird Gas bei bis zu 14 Cent pro Kilowattstunde gehandelt, punktuell liegt der Preis sogar noch höher. Durch die derzeitige Verknappung könnten die Preise zudem weiter steigen. Und um es ganz deutlich zu sagen: Diese enormen Verteuerungen sind bisher nur in begrenztem Umfang bei den Endverbrauchern angekommen. Das liegt an der üblicherweise langjährigen Einkaufspolitik von Energieversorgern.

 

Können Sie das an einem Beispiel erklären?

NATURSTROM kauft üblicherweise einen Großteil der benötigten beziehungsweise erwarteten Gas- und Strommengen im Voraus, um sich gegen starke Preissprünge abzusichern. Das kann zwar auch bedeuten, dass Kunden nicht direkt von sinkenden Preisen an den Großhandelsmärkten profitieren, vermeidet aber im Regelfall unkalkulierbare Preisexplosionen. Gerade in der aktuellen Situation zeigt sich der Sinn dieser Einkaufspolitik. Erste Energiemengen für einen bestimmten Lieferzeitraum werden dabei in der Regel schon drei bis fünf Jahre im Voraus gekauft, der Großteil der benötigten Energie ein bis zwei Jahre vor Lieferung und ein kleinerer Anteil dann noch kurzfristig im laufenden Jahr beschafft. So sichern sich Energieversorger ab, können aber immer noch auf aktuelle Entwicklungen reagieren. Das heißt, unsere derzeitigen Gastarife sind noch stark von Einkäufen aus den letzten Jahren bestimmt, in denen die Preise eben noch nicht so hoch waren. Wenn nun die Gashandelspreise weiter auf dem aktuellen Niveau bleiben, ist in den nächsten Jahren mit weiteren Preissteigerungen zu rechnen, da fehlende Mengen beispielsweise für 2023 oder 2024 zu den nun deutlich teureren Kosten eingekauft werden müssen.

 

Könnten explodierende Einkaufspreise bereits jetzt an Verbraucher weitergegeben werden?

Als Reaktion auf die Entwicklungen im Gasmarkt hat die Ampel-Koalition im Frühjahr das so genannte Energiesicherheitsgesetz novelliert. Es erlaubt Großhändlern in einer Notfalllage, die stark gestiegenen Preise beim Gasimport direkt an Abnehmer oder Weiterlieferanten wie NATURSTROM weiterzugeben, und zwar ungeachtet bestehender Verträge. Ziel ist, so Insolvenzen der Großhändler und damit einen Zusammenbruch der Versorgung zu vermeiden. Das würde drohen, wenn Großhändler beim Wegfall russischer Gasmengen die vereinbarten Lieferungen zu deutlich teureren Preisen anderswo einkaufen müssten, aber die gestiegenen Kosten aufgrund der zuvor vereinbarten Verträge nicht weitergeben könnten. Die Politik hat diese Regelung allerdings als präventiv und einen solch schwerwiegenden Eingriff als allerletztes Mittel charakterisiert. Dafür sollen punktuelle Mehrkosten einzelner Großhändler jetzt voraussichtlich über eine Umlage an alle Gasverbraucher weitergegeben werden. Das ist zwar solidarischer und kann die im System entstehenden Mehrkosten etwas gleichmäßiger bzw. zeitlich gestreckt verarbeiten, bedeutet aber eben eine definitive Zusatzbelastung für alle Nutzerinnen und Nutzer von Erdgas.

 

Wie lässt sich der Mangel an Gas verringern?

Wenn es weniger Gas gibt, heißt das natürlich, dass wir unseren Bedarf möglichst weit senken und damit dem knapperen Angebot anpassen sollten. Neben politischen Maßnahmen wie etwa schärferen Effizienzvorgaben im Neubau und weniger Gas zur Stromerzeugung zu nutzen, sind natürlich alle gefragt, einen Beitrag zu leisten. Im Wärmesektor wird am meisten Gas verbraucht, weniger heizen oder gar der Wechsel auf moderne Technologien wie die Wärmepumpen bringen hier deshalb besonders viel. Konkrete Energiespartipps gibt es an vielen Stellen, etwa bei der von der Bundesregierung gestarteten Kampagne Energiewechsel oder bei der auch von uns unterstützten Aktion #StopFossil. Letztere bietet auch eine App an, die konkret im Alltag mit Tipps unterstützt und die eigenen Ersparnisse trackt.

 

Energie und vor allem Gas einsparen ist wichtig, aber es ist keine dauerhafte Lösung, oder?

Nein, die beste Kilowattstunde ist natürlich die, die nicht gebraucht wird, aber Energiesparen alleine wird bei weitem nicht ausreichen. Das Wichtigste ist und bleibt der schnelle Ausbau Erneuerbarer Energien, ob zu Hause mit einer Solaranlage auf dem Dach oder durch große Wind- und Solarparks. Mehr Erneuerbare bringen nicht nur mehr Klimaschutz, sondern reduzieren auch direkt fossile Importe, dämpfen die Energiepreise und sichern so unsere Versorgung. Im Stromsektor gibt es schon einen hohen Anteil Erneuerbarer Energien, der weiter gesteigert werden muss, und gerade bei Wärme und Mobilität wird nun noch zusätzlicher Ökostrom benötigt, z.B. für Wärmepumpen oder Elektrofahrzeuge. Wer die Möglichkeit hat, Erneuerbare Energien beziehungsweise Ökostrom zu nutzen und voranzubringen, sollte diese also jetzt mehr denn je ergreifen – ob direkt über Vor-Ort-Erzeugung im eigenen Umfeld, im Rahmen von Bürgerenergiegemeinschaften oder über die Nutzung von Öko-Energieanbietern wie NATURSTROM.


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