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Nachgefragt
25. Mai 2023

„Zulieferindustrie mitdenken“

Der Aufbau einer europäischen Solarindustrie ist kein Selbstläufer. Im Interview erläutert Peter Dold vom Fraunhofer CSP Europas Lücken bei der Produktion von Vorprodukten und Hilfsstoffen und wie wichtig eine verlässliche Industriepolitik für das Vorhaben ist.

Peter Dold ist Leiter des Fraunhofer CSP in Halle und Spezialist für Kristallisationstechnologie

Peter Dold ist Leiter des Fraunhofer CSP in Halle und Spezialist für Kristallisationstechnologie
Foto: Fraunhofer CSP

Herr Dold, welche Aspekte gilt es zu bedenken, wenn über den Aufbau einer europäischen Solarindustrie gesprochen wird?

In Deutschland und anderswo in Europa hatte sich in den 2000er Jahren eine leistungsfähige Solarindustrie entwickelt, die mit dem Markteinbruch beim Photovoltaikausbau einen wichtigen Absatzmarkt verlor und zudem nicht mit den preiswerten Produkten aus Fernost mithalten konnte. Wir waren Weltmarktführer, doch davon ist nichts mehr übriggeblieben. Man kann jetzt nicht auf bestehende Fabriken zurückgreifen, man muss wirklich wieder in vielen Bereichen bei null anfangen. Das heißt neue Fabriken bauen, aber auch die Zulieferindustrie mitdenken. Gerade der letztere Aspekt birgt einige schwere Aufgaben.

Welche Hilfsstoffe für die PV-Industrie sind besonders rar?

Eine Modulproduktion mit ihren notwendigen Vorprodukten und Maschinen ist gut planbar. Aber will man auch Unabhängigkeit oder zumindest eine gewisse Souveränität bei den Roh- und Hilfsstoffen, die für die Vorprodukte notwendig sind, wird das ganze schnell komplex. Beispielsweise werden Silizium-Ingots – große Siliziumblöcke, aus denen später Wafer und danach Zellen gefertigt werden – in großen Tiegeln kristallisiert. Man kann sich das wie einen großen Kochtopf vorstellen mit etwa einem Meter Durchmesser. Darin wird das Polysilizium aufgeschmolzen bei Temperaturen von etwa 1.450 Grad Celsius. Die Tiegel selbst sind aus Quarzglas und nur einmal verwendbar. Für den geplanten Ausbau der Photovoltaik sind damit tausende solcher Tiegel notwendig.  Weltweit fertigen nur wenige Unternehmen diese Tiegel in hoher Qualität, in Europa kein einziges.

Aber Wacker-Chemie in Deutschland fertigt Silizium…

Ja, das stimmt. Wacker hat viel Know-how und fertigt Silizium in Top-Qualität. Die Mengen sind vertraglich gebunden. Wenn jetzt neue Abnehmer zusätzliche Mengen nachfragen, könnte Wacker seine Produktion sicher ausweiten und dafür investieren – wird das aber nur tun, wenn es eine langfristig gesicherte Nachfrage sieht. Da sind wir wieder bei der Politik und den Rahmenbedingungen.

Als weiteres Beispiel für kritische Hilfsstoffe haben Sie Diamantdraht erwähnt. Was hat es damit auf sich?

Das ist ein anderes Beispiel für kritische Hilfsstoffe, deren Fertigung in Europa einige Anstrengungen braucht. Um die Siliziumblöcke in ultradünne Scheiben zu schneiden – Wafer – wird Diamantdraht in großen Mengen benötigt. Dieser Draht ist extrem dünn, dünner als ein Haar, hat einen Durchmesser von 40, 45 Mikrometern. Darauf müssen Diamanten befestigt werden, die zudem gut halten sollen. Außerdem soll der Draht in 50 oder 100 Kilometer Länge in gleichbleibender Qualität auf eine Rolle gewickelt werden. Diese Technologie ist in Europa nicht verfügbar. Vielleicht können da alte Anfänge reaktiviert werden oder ein, zwei Drahthersteller ihr Know-how in diese Richtung weiterentwickeln – aber all das bedeutet hohe Investitionen mit einigen Risiken.

Welche Probleme bringt die notwendige Größe mit sich?

Wenn heute eine wettbewerbsfähige Industrieproduktion aufgebaut werden soll, sind die Größenordnungen andere als noch vor zehn Jahren. Man muss größere Mengen produzieren, um wirtschaftlich zu sein. Vor zehn Jahren war die Wirtschaftlichkeitsschwelle noch bei einem Gigawatt, heute liegt sie etwa bei 10 Gigawatt Produktionskapazität, vielleicht gar bei 20 Gigawatt. Es gibt ein paar Firmen in Europa, die Vorprodukte herstellen, aber die sind zu klein und müssten ihre Kapazität um den Faktor 10, 20 oder 30 erhöhen. Dafür braucht man enorme Mengen Kapital, unter einer Milliarde Euro ist da nichts auszurichten. Das sind Größenordnungen, wofür plausible mittel- und langfristige Geschäftsmodelle zu sehen sein müssen.

Man hört mitunter, die Industrie sei in punkto Photovoltaik ein gebranntes Kind und scheue den Neuanfang…

Tatsächlich gibt es Befürchtungen, dass der internationale Wettbewerb, insbesondere der asiatische, am längeren Hebel sitzt und die in Europa mühsam aufgebaute Industrie zukünftig in Schieflage bringen kann – mit sehr, sehr preiswerten Produkten in großer Menge. Damit hätten die kleinen Pflänzchen, die gerade entstehen, keine Chance. Auch hier ist die Politik gefordert: Klare Signale, dass sich solch ein Szenario nicht wiederholt und die europäische Industrie nicht allein gelassen wird. Denn der Anwender will am Ende nur ein preisgünstiges Modul, dessen Herkunft für ihn zweitrangig ist.

Welche Maßnahmen eignen sich für solch einen Schutzschirm?

Beispielsweise gibt es einen Hebel über das Lieferkettengesetz. Wir könnten Vorgaben zum CO2-Fußabdruck oder anderen Nachhaltigkeitskriterien machen. Dann würden Produkte, die die Auflagen nicht erfüllen, in Europa keine Chance haben. Aber auch das gerade kontrovers diskutierte Thema Industriestrompreise könnte man an dieser Stelle anschneiden, denn einige Prozesse in der Solarindustrie sind energieintensiv, beispielsweise die Glasherstellung oder die erwähnte Siliziumherstellung.

Es wird nach einer europäischen Lösung gesucht. Was ist ihre Einschätzung – sollten vollintegrierte Fabriken gebaut werden oder jeweils an verschiedenen Standorten über Europa verteilt die verschiedenen Vorprodukte hergestellt werden?

Transportwege haben ihre Fallstricke, die Dinge müssen öfter in die Hand genommen und verpackt werden. Damit sind Qualitätsprobleme und Nachhaltigkeitsaspekte verbunden. Bei den Mengen, die in Europa ausgebaut werden sollen, sehe ich den sinnvollsten Weg in mehreren, vier bis fünf, vollintegrierten Fabriken in verschiedenen Ländern. Denn Wettbewerb ist wichtig.

Das Gespräch führte Petra Franke


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