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Autonomes FahrenChance zum Lückenschluss im ÖPNV?

Presseauftakt für den Test fahrerloser E-Kleinbussen der französischen Hersteller Navya und Easymile auf dem Gelände der Berliner Charité Ende Juli 2017. Seit Mitte August bringt nun fünf Monate lang ein hochautomatisierter Easymile Kleinbus der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) Fahrgäste testweise kostenlos vom U-Bahnhof Alt-Tegel in Berlin bis zu den Seeterassen am Tegeler See.
Presseauftakt für den Test fahrerloser E-Kleinbussen der französischen Hersteller Navya und Easymile auf dem Gelände der Berliner Charité Ende Juli 2017. Seit Mitte August bringt nun fünf Monate lang ein hochautomatisierter Easymile Kleinbus der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) Fahrgäste testweise kostenlos vom U-Bahnhof Alt-Tegel in Berlin bis zu den Seeterassen am Tegeler See. (Foto: H.C.Neidlein)

Gut ein Dutzend Kommunen in Deutschland setzt auf die Erprobung und Entwicklung fahrerloser Elektro-Kleinbusse und E-Shuttles, um ein möglichst flächendeckendes Angebot im ÖPNV zu schaffen. Doch es gibt noch etliche Hürden, sei es die Sensorik auf der Straße, die Konnektivität oder die Zulassung.

21.08.2019 – Autonomes und automatisiertes Fahren mit Elektrofahrzeugen gilt als ein wichtiger Baustein der Mobilität der Zukunft. Internet- und Autokonzerne sowie Zulieferer investieren Milliarden in die neue Technologie und vor allem China und die USA treiben die Entwicklung voran.

„Im öffentlichen Nahverkehr werden autonome Fahrzeuge international schon seit etlichen Jahren erfolgreich eingesetzt“, berichtet Tobias Schönberg, Senior Partner Transportation bei Roland Berger. So startete in Lille/Frankreich im April 1983 die weltweit erste autonom fahrende U-Bahn, im Oktober 2002 nahm Kopenhagen eine autonom fahrende Metro in Betrieb und Shenzhen testet seit Oktober 2017 autonome Busse von Haylion im Alltag.

„Es geht auch ein Stück weit darum, den öffentlichen Verkehr neu zu erfinden, ihn attraktiver zu machen, hierbei kann autonomes Fahren helfen“, sagt Martin Röhrleef, Leiter Stabsstelle Mobilitätsinnovation bei der Üstra Hannoversche Verkehrsbetriebe. Es müsse vor allem darum gehen, das Gesamtsystem zu optimieren und die Vernetzung und das Pooling voranzutreiben. Autonom fahrende E-Kleinbusse, Shuttles, Sammel- oder On-Demand-Fahrdienste oder Sammeltaxis böten die Chance, in Kombination mit einem „Linien-Höchstleistungs-ÖPNV“, die Lücken im öffentlichen Verkehrsangebot zu schließen, mit dem Ziel, „komfortabel von Tür zu Tür“ und hierbei auch das Umland besser anzubinden.

„Hub Chain“ in Osnabrück – mehr als autonomes Fahren

In Deutschland gibt es Pilotprojekte in gut einem Dutzend Kommunen, so in Osnabrück. „Die Zukunft der Mobilität ist elektrisch, digital, plattformbasiert, vernetzt und autonom“, sagt Werner Linnenbrink, Leiter Mobilitätsangebot bei den dortigen Stadtwerken. So geht es denn auch im Anfang 2018 gestarteten Projekt Hub Chain nicht nur um die Erprobung eines autonom fahrenden E-Minibusses, sondern um die Entwicklung einer neuartigen digitalen Mobilitätsplattform für Osnabrück. Es wird vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) bis Ende 2020 gefördert.

Ziel des Projektteams – bestehend aus Partnern aus Forschung, Wissenschaft und Unternehmen – ist die Entwicklung und der Aufbau einer Distributions- und Mobilitätsplattform für sogenannte „On-Demand“-Verkehre. „Der Begriff steht für ein System ohne starren Fahrplan und festen Linienweg – sozusagen ein Busverkehr auf Bestellung“, erläutert Werner Linnenbrink, Leiter Mobilitätsangebot der Stadtwerke Osnabrück. Diese Verkehre können und sollen insbesondere in weniger verdichteten Regionen das Busliniennetz ergänzen – und insofern attraktiver machen, dass sie die Fahrgäste zu den Umstiegspunkten der bestehenden Buslinien bringen.

Teststrecke am InnovationsCentrum

„Dafür braucht es im Wesentlichen zwei Komponenten“, so Linnenbrink weiter. „Eine Plattform, die die Verkehre miteinander verzahnt – und die passenden Fahrzeuge.“ Die Entwicklung dieser Distributions- und Mobilitätsplattform ist daher auch das Herzstück des Hub Chain-Projektes. „Die Plattform soll und muss einfach und verlässlich funktionieren: Fahrtwunsch in die App eingeben, das On-Demand-Fahrzeug buchen und mit garantiertem Umstieg ohne Wartezeit mit einer zentralen Buslinie ans Ziel kommen“, erläutert Nicklas Monte, Leiter Produktentwicklung im Stadtwerke-Mobilitätsangebot die Zielsetzung. „So wird der ÖPNV auch im ländlichen Raum eine attraktive Alternative zum privaten Auto – ohne dass diese Zubringerbusse zu zusätzlichem Verkehrsaufkommen in der Stadt führen.“

Zweites Kernstück mit deutlich öffentlicherem Charakter ist der Einsatz eines autonom fahrenden Minibusses auf dem Gelände des InnovationsCentrum Osnabrück (ICO). Ab September 2019 werden die Stadtwerke das Fahrzeug des französischen Herstellers Easy Mile (EZ10) im Regelbetrieb erproben – inklusive systemtechnischer Integration in bestehende Leit- und Betriebssysteme. Die erste Testphase findet auf dem Stadtwerke-Zentralgelände statt. Im Anschluss geht es in den öffentlichen Straßenraum – dafür werden die Stadtwerke eine 1,1 Kilometer lange Teststrecke mit vier Haltestellen im Bereich des ICO einrichten. „Der Bereich bietet optimale Bedingungen für unseren Testbetrieb“, so der „Hub Chain“-Projektleiter der Stadtwerke, David Riese.

Ausnahmegenehmigung erforderlich

Für den Einsatz auf der öffentlichen Teststrecke benötigt der autonom fahrende Easymile Bus eine Ausnahmegenehmigung. „Hierfür haben wir eng und intensiv mit der Zulassungsstelle der Stadt Osnabrück, den Sachverständigen des TÜV Nord, der Landesnahverkehrsgesellschaft und dem Fahrzeughersteller zusammengearbeitet“, erläutert Riese weiter. „Und das mit großer Bereitschaft, Offenheit und Engagement aller Beteiligten.“ Die mit dieser jungen Technologie einhergehenden Herausforderungen gemeinsam anzugehen und Erfahrungen zu sammeln sei ein weiterer wesentlicher Mehrwert des Hub Chain-Projektes. „Davon können wir nur profitieren.“

Die Stadtwerke erhoffen sich am Ende der Testphase und des Projektes wertvolle Erkenntnisse und Erfahrungen für die weitere Verzahnung der verschiedenen Mobilitätsangebote. „Es geht nicht um ein Gegeneinander, sondern um das Miteinander – die mobile Zukunft ist multimodal, digitalisiert und hochflexibel“, betont Werner Linnenbrink.

Schon heute gelte es, flexible Bedienformen zu entwickeln, die sich zwanglos und zuverlässig in das bestehende Angebot einbinden lassen. „Neben unserem bereits erfolgreich etablierten Carsharing-Angebot ist das ‚On-Demand‘-Angebot ein weiterer Baustein unserer wachsenden Mobilitätspalette – mit dem Ziel, Osnabrück mobiler und lebenswerter zu machen.“

Ambitionierte Pläne in Hamburg – doch etliche ungeklärte Fragen

Auf die Erprobung und Integration fahrerloser emissionsfreier Shuttles in das kommunale Verkehrsangebot setzt auch die Hamburger Hochbahn mit seinem Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Hamburg Electric Autonomous Transportation", kurz HEAT. In einer ersten Phase soll ein von IAV entwickelter E-Kleinbus (5x2 Meter) ab August mit einem Fahrzeugbegleiter, aber noch ohne Fahrgäste, mit 15 km/h auf einer neuralgischen Kreuzung der geplanten Teststrecke der Hafencity unterwegs sein. In einer zweiten Phase soll er dann dort ab Juli 2020 mit bis zu 24 km/h auf einer ausgeweiteten Strecke mit mehreren Haltestellen unterwegs sein. Ab 2021 sollen dann zwei weitere E-Kleinbusse auf einer Strecke von 3,6 Kilometern im Bereich der Elbphilharmonie mit 50 Stundenkilometer Fahrgäste ohne Begleiter sicher transportieren.

Derzeit wartet man allerdings bei der Hochbahn noch auf die Zulassung des neuartigen Kleinbusses im regulären Straßenverkehr. „Unsere spezifischen Projektziele sind sehr ambitioniert, laufende Veränderungen in der Verkehrsführung und ungeklärte Haftungsfragen erschweren den Betrieb, ohne eine Verkehrsbehinderung darzustellen“, räumt Projektleiterin Nathalie Rodriguez ein. Zudem existierten bisher keine Standards zu Schnittstellen und Zulassung, und einen Rechtsrahmen für den Einsatz der Fahrzeuge ohne Fahrzeugbegleiter gebe es bisher auch noch nicht. Die Schnittstellen zwischen Systemkomponenten (Leitstelle, Fahrzeug, Sensorik auf der Straße) seien kompliziert und man stehe „erst am Anfang der vollständigen Analyse und Definition“. Klar geworden sei jedenfalls in der bisherigen Projektlaufzeit die „essenzielle Rolle von Leitstelle und Sensorik auf der Straße“ und die für die optimale Sicherheit bei der Erprobung notwendigen „zusätzlichen Informationen über das Fahrzeugumfeld“.

Herausforderung einwachsende Pflanzen und Bäume

Auch Holger Michelmann vom Berliner Beratungsunternehmen Interlink berichtet von ersten Erfolgen und etlichen Hürden, die noch zu nehmen sind, bis fahrerlose E-Busse und Shuttles zuverlässig und sicher vielenorts Fahrgäste transportieren. Michelmann begleitet unter anderem den NAF-Bus (Nachfragegesteuerter-Autonom-Fahrender Bus) auf Sylt, Enge-Sande und Dithmarschen (jeweils Schleswig-Holstein) und den Aufbau eines Testzentrums für automatisiert verkehrende Busse im Kreis Herzogtum Lauenburg (Tabula) in Lauenburg/Elbe.

Praktische Herausforderungen stellten sich unter anderem in zugeparkten schmalen Straßen, bei Rad-Gegenverkehr in Einbahnstraßen, durch Einschränkungen der Bilderkennung durch einwachsende Pflanzen und Bäume entlang der Teststrecke, holpriges Kopfsteinpflaster sowie durch fehlende Konnektivität in Unterführungen, berichtet Michelmann.

Automatischer Busshuttle in Leipzig geplant

Auf den Weg zur Integration autonomer E-Busse in den kommunalen ÖPNV macht man sich auch bei den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB). Im Frühjahr fand die Auftaktveranstaltung für das vom BMWI geförderte Projekt Absolut statt, bei welchem ein automatischer Busshuttle zwischen dem S-Bahnhof Leipzig-Messe und dem BMW-Werk mit ortsüblicher Fahrgeschwindigkeit erprobt werden soll.  Hierfür soll ein bestehendes Fahrzeug (9-16 Fahrgäste) „für die Geschwindigkeiten und Zulassungsbedingungen ertüchtigt werden“, so LVB-Sprecher Marc Backhaus. Ziel sei „ein bedarfsgerechtes 24/7 oder On Demand verfügbares Angebot, ein mit den Nutzern entwickeltes Informationsinterface sowie die Vernetzung mit einer Leitstelle“. Eine erste Pilotphase auf der Teststrecke ist für Mitte 2021 geplant. Hans-Christoph Neidlein


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