Mobilitätswende: Projekt zur Elektrisierung des ÖPNV auf dem Land
Eine neue Ladeinfrastruktur mit Schwungmassenspeicher ermöglicht den Wechsel auf E-Busse in der Fläche – auch ohne Ausbau der Stromnetze. Die neuartigen Schnellladestationen sind in der Region Bensheim an der Bergstraße am Start.
06.07.2022 – Mittelständische, gewerbliche Busunternehmen bilden im ländlichen Raum eine wichtige Säule des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Die Elektrifizierung entlang der Strecke stellt Stromnetzbetreiber und Verkehrsgesellschaften jedoch vor große Herausforderungen. Lange Fahrtstrecken und -zeiten bedeuten für Überlandbusse große Batterien, die schnell bis zu fünf Tonnen wiegen können und einen wirtschaftlichen und ökologischen Betrieb infrage stellen. Lösungen für die Mobilitätswende in der Fläche werden also dringend gesucht.
Eine Möglichkeit, auf immer größere und schwere Batterien zu verzichten, ist das Streckenladen, das Zwischenladen der Batterie an Haltestellen mit einem hohen Energieeintrag in kurzer Zeit. Voraussetzung dafür waren bisher Pantographen-Ladestationen, die an Leitungen mit sehr hohen Stromdurchflüssen (Mittelspannungsnetz) angeschlossen sind. Diese Leitungen gibt es in der Fläche aber kaum – oder sie sind sehr kostenintensiv.
In Bensheim an der Bergstraße wird am Omnibus-Bahnhof (ZOB) nun eine neuartige Pantographen-Schnellladestation (High Power Charger) installiert, die eine sichere, wirtschaftliche und flexible Zwischenladung von Elektrobussen ermöglichen soll. Durch den Einsatz moderner Hochleistungs-Schwungmassenspeicher können die E-Busse auch ohne Ausbau des Stromnetzes auf der Fahrstrecke geladen werden, berichten die Projektierer.
Ziel des Buffered-HLL-Projektes ist der Aufbau und der Test der neuartigen Ladeinfrastruktur, die flexible Ladevorgänge im Busdepot und entlang der Strecke ohne Netzausbau ermöglicht. Die Pantographen-Ladestation mit Nutzung des Hochleistungs-Schwungmassenspeichers wird ab September in Betrieb gehen. Die Testphase im regulären Fahrbetrieb ist auf 18 Monate angesetzt. Nach erfolgreichem Test soll das Infrastrukturmodell auch in andere Regionen übertragen werden. „Durch den Einsatz unseres Speicher- und Ladesystems bieten wir Verkehrsbetrieben maximale Flexibilität und Verlässlichkeit. E-Busse können ihre Fahrtstrecke vervielfachen und jederzeit nach Bedarf eingesetzt werden, unabhängig vom Ausbau des Stromnetzes“, erläutert Hendrik Schaede-Bodenschatz, Geschäftsführer und Gründer von Adaptive Balancing Power.
Schwungmassenspeicher Made in Germany
Kern der Lade- und Speichertechnologie ist ein weltweit einzigartiger, mehrfach patentierter, magnetisch im Hochvakuum gelagerter Schwungmassenspeicher, der von Adaptive Balancing Power entwickelt wurde. Der Speicher akkumuliert die Energie aus dem Stromnetz mit der am jeweiligen Standort verfügbaren Leistung und stellt sie mit der bis zu sechsfachen Leistung für einen auf wenige Minuten verkürzten Schnellladevorgang zur Verfügung. Die eingesetzten Komponenten seien bewährte, gut verfügbare, hochqualitative Bauteile des europäischen und deutschen Maschinenbaus, berichtet der Hersteller. Die Speicher seien zudem wartungsarm und ermöglichten, dank etablierter Beschaffungswege, eine schnelle Skalierung der Stückzahlen. Der Speicher sei außerdem fast vollständig recycelbar.
Starkes Konsortium für die Mobilitätswende
Zusammen mit Adaptive Balancing Power setzen vier weitere Konsortialpartner das Projekt Buffered-HLL gemeinsam um. Konsortialführer ist das Unternehmen Isabellenhütte Heusler aus Dillenburg (Hessen), ein führender Hersteller von Messtechnikprodukten. Mit einer neuen Generation von Gleichstromzählern ermöglicht der Messspezialist eine eichrechtskonforme Erfassung der Energiemengen sowie eine cloudbasierte Bereitstellung aller gesammelten Daten, was eine intelligente und sichere Abrechnung gewährleistet.
Der Busbetrieb wird durch die Verkehrsgesellschaft Gersprenztal mbH (VGG) mit Sitz in Reichelsheim (Odw.) und Bensheim realisiert. Die VGG ist ein mittelständiges Unternehmen, das mit rund 180 Mitarbeitern und 90 Bussen ein ausgedehntes Streckennetz in den Landkreisen Bergstraße, Odenwald und Darmstadt-Dieburg betreibt. Die CuroCon GmbH aus Zwingenberg realisiert die gesamte Leistungselektronik sowie die Kommunikation zwischen Ladeinfrastruktur und Bus.
Das in Berlin ansässige unabhängige Reiner Lemoine Institut leistet die wissenschaftliche Begleitung des Projekts und hat bereits in Berlin Studien zur Elektrifizierung von Bussen durchgeführt. Das Team hat sich der anwendungsorientierten Forschung für die Energie- und Verkehrswende in Deutschland verschrieben. Es untersucht, welche Auswirkungen die Schnellladungen auf das Stromnetz haben und wie eine wirtschaftliche Nutzung der Busse und Schnellladesäulen aussehen könnte. Die Übertragbarkeit des Konzepts auf andere Nutzungsszenarien ist ebenfalls Gegenstand der Untersuchungen. na