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Flecken SteyerbergImmer einen Schritt weiter

Ein grünes E-Auto (Ente) vor einem Holzhaus mit Solarpanelen auf dem Dach
Im Lebensgarten nahmen Elektromobilität und ökologisches Wohnen im Flecken Steyerberg ihren Anfang. Heute finden dort vielfältige Veranstaltungen rund um das Thema nachhaltiges Leben statt. (Foto: IfaeM)

Viele Gemeinden treiben die Energiewende voran. Ein Vorreiter ist der Flecken Steyerberg. Hier entstand die erste öffentliche Elektro-Tankstelle Deutschlands. Auf ihren Erfolgen ausruhen kommt für die Akteure aber nicht in Frage.

20.12.2021 – Vorbild sein – nach dieser Maxime leben und handeln die Verantwortlichen des Flecken Steyerberg in Niedersachsen – und zeigen, wie Energiewende in der kleinen Gemeinde mit 5.200 Einwohnern funktioniert. Ein Flecken bezeichnet vor allem in Norddeutschland kleinere, aber lokal bedeutende Ansiedlungen. „Kinder bekommen gesagt, sie müssen einen Fahrradhelm tragen, und die Erwachsenen tun es dann oftmals nicht“, sagt Heinz-Jürgen Weber, der bis Herbst 2021 acht Jahre lang Bürgermeister im Flecken war.

Vorbild bei der Energiewende zu sein, fange bei einem persönlich an und gehe im Rathaus mit seinen Mitarbeitenden weiter. Durch Maßnahmen wie die Abschaffung von Druckern und starren Arbeitsplatzrechnern wird im Rathaus inzwischen 75 Prozent weniger Strom verbraucht. Der Strom, der noch nötig ist, kommt von einer eigens installierten Photovoltaikanlage auf dem nahegelegenen Feuerwehrgebäude. Alle kommunalen Liegenschaften, wie das Schwimmbad oder die Schule, werden nach und nach mit Solarmodulen ausgestattet.

Grundpfeiler Bildung

Schon Kinder werden hier an die Welt der Sonnenenergie herangeführt. Gemeinsam mit der Erzieherin Christine Harms besuchten die Kinder der Kita Wurzelhöhle in diesem Jahr ein Unternehmen mit Solarmodulen auf dem Dach. „Man merkt in dem Alter, dass man einen Grundstock schaffen kann“, sagt Harms. Von Seiten der Kinder gebe es großes Interesse, warum Klima- und Umweltschutz so wichtig sind. „Wir versuchen dabei ein positives Gefühl und Hoffnung für die Zukunft zu vermitteln.“

Gemeinsam betrachteten Kinder und Erzieher auch den Wasserverbrauch im Kindergarten und Zuhause. Von der Toilettenspülung über die Trinkwasserhähne bis zur Spül- und Waschmaschine wurde gemeinsam geprüft, wo man noch Wasser einsparen könnte. „So erfahren sie, dass ihr Handeln Auswirkungen hat“, sagt Harms. Dabei gaben die Kinder ihre Erfahrungen auch in der Familie weiter.

Im Rathaus werden entsprechende Bildungskonzepte gefordert und gefördert. Für die Erzieher gibt es regelmäßig Fortbildungen, um Kindern Umwelt- und Klimaschutz spielerisch nahezubringen. Auch Schüler werden weiter mitgenommen. „Wir haben die Freie Schule Mittelweser hier, die auf klima- und umweltbewusstes Lernen Wert legt, ebenso die Waldschule. Und wir wollen einen Bildungsstandort für nachhaltige Entwicklung schaffen“, erklärt Bürgermeister Weber.

In Zukunft soll es dort sogar mehrtätige Angebote für Schüler geben. Wohnen können die jungen Menschen dann in sogenannten Tiny Houses. Diese Kleinst-Behausungen sind auf das Wesentliche reduziert. Oft als bewegliche Trailer gebaut, bieten Tiny Houses weniger als 40 Quadratmeter Fläche. „Damit wollen wir zeigen, wie knapp die Ressource Boden ist und die Schüler können ausprobieren, wie es sich in so einem Tiny House lebt – und dass der Raum trotzdem zum Leben reichen kann“, so Weber.

Achtsam mit der Ressource Boden

Bei Bauvorhaben im Flecken Steyerberg achtet die Gemeinde inzwischen ebenfalls darauf, nicht zu viel Boden in Anspruch zu nehmen. Bei zwei ausgeschriebenen Neubaugebieten werden die Grundstücke kleiner als bislang üblich. Umweltschädliche Steingärten will die Gemeinde in den Bebauungsplänen verbieten, ebenso wie sie eine Passivhausbauweise vorschreiben wollen. Weber kritisiert, dass man laut staatlichen Regularien zwar Farben von Dachziegeln vorschreiben könne, aber nicht einen Passivhausstandard. Dies gehe aktuell nur über städtebauliche Verträge, bei denen man sich mit dem Projektierer einigen müsse. Besser als jeder Neubau ist indes, wenn Bestand weiter genutzt wird. Für Menschen, die alten Bestand im Flecken Steyerberg renovieren und weiter nutzen, gewährt die Gemeinde bis zu 10.500 Euro nicht rückzahlbaren Zuschuss.

Je nach Objekt und Renovierungsbedürftigkeit sei das nicht unbedingt viel, aber ein Beitrag, den die Gemeinde leisten könne. Vielmehr gelte es die Menschen argumentativ zu überzeugen, so Weber, der Mitglied bei der CDU ist und die Folgen der Globalen Erwärmung als Klimakrise bezeichnet. „Klimawandel halte ich für den falschen Begriff. Das würde bedeuten, wir müssen nur Kleinigkeiten ändern, dann ist alles wieder gut“, so Weber. Es müsse nun alles getan werden, um nachfolgenden Generationen einen lebensfähigen und lebenswerten Planeten zu hinterlassen.

Nicht stehen bleiben

Die Gemeinde will sich nicht vorwerfen lassen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu wenig zu tun. Neben vieler weiterer Photovoltaikanlagen auf öffentlichen wie privaten Gebäuden ist die Windkraft seit Jahren ein wichtiger Energielieferant für die Region. Energie aus den Anlagen muss u. a. einem Stromtarif Steyerberg zur Verfügung gestellt werden, der für die Bürger im Flecken bis zu 15 Prozent günstiger ist als der ortsübliche Tarif und zugleich 100 Prozent Ökostrom garantiert, auch wenn die Windanlagen mal nicht genug Energie liefern – dazu hat die Gemeinde die Projektierer der Windkraftanlagen verpflichtet. Auch ein „Bürgerwindrad“ ist in Planung, an dem sich Menschen aus dem Flecken Steyerberg mit Eigenkapital beteiligen und von den Erträgen profitieren können.

Ebenso hat die Gemeinde die Energiewerke Steyerberg gegründet mit dem Ziel, drei bis vier eigene Windenergieanlagen zu kaufen, die erste wird im Oktober übernommen. Derweil ist der Flecken Steyerberg ebenfalls im Begriff, das größte Fernwärmenetz Deutschlands im ländlichen Raum zu errichten: mit einer Rohrlänge von über 29 Kilometern und künftig 420 Abnehmern. Energie liefern wird die Abwärme eines Chemieunternehmens sowie eine Biogasanlage.

Bei der Mobilität war der Flecken Steyerberg schon Anfang der 1990er zukunftsweisend und ist es jetzt wieder. Im Lebensgarten, einer ökologischen Lebensgemeinschaft, die sich Mitte der 1980er im Flecken ansiedelte, gab es 1991 die erste öffentliche Ladesäule für Elektroautos. Versorgt wurden anfangs vor allem umgebaute ehemalige Verbrenner. Bezogen auf die Einwohnerzahl besitzt der Flecken Steyerberg heute eine der höchsten E-Autoraten Deutschlands.

Zugleich versucht die Gemeinde dem Autoverkehr entgegen zu wirken. „Wir dürfen Verbrenner nicht eins zu eins gegen E-Autos eintauschen, sondern müssen versuchen, den Autobestand insgesamt zu reduzieren“, sagt Weber. Auf dem Land, wo der öffentliche Nahverkehr ein schwieriges Unterfangen ist, sind Autos teilweise unverzichtbar. Doch ob es für jede Familie das Zweit- oder Drittauto sein muss, das stellt Weber in Frage.

Um Alternativen zu schaffen, entwickelten die Verantwortlichen der Gemeinde eine Mobilitäts-App, die in diesem Jahr mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet wurde. Damit können die Nutzer nicht nur E-Autos, E-Bikes, Lastenfahrräder und Anhänger mieten, sondern auch Mitfahrgelegenheiten anbieten und in Anspruch nehmen. Wer etwa in die 60 Kilometer entfernte Landeshauptstadt Hannover will, kann in der App sehen, ob jemand eine Fahrt dorthin anbietet, oder bietet selbst eine Fahrt für andere an.

Laut eigenen Berechnungen kommen die Bewohner des Flecken Steyerberg im Durchschnitt bereits heute auf einen sehr geringen CO2-Fußabdruck von 3,6 Tonnen jährlich. Zum Vergleich: Der Durchschnittsdeutsche verursacht im selben Zeitraum etwa 9 Tonnen Kohlendioxid. Klimaneutral oder sogar klimapositiv sein – das ist das Ziel der Gemeinde. Und dem nähert sich der Flecken Steyerberg mit Riesenschritten. Manuel Först


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