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Klimaklage





Flüsse in BrandenburgFischsterben in der Oder, geschlossene Schleusen an der Spree

Mehere hundert Fische schwimmen auf dem Wasser vor einer Schleuse
Besonders in Buchten und strömungsberuhigten Bereichen der Oder landeten massenhaft tote Fische an. (Foto: Hanno Böck auf Wikimedia / CC0 1.0)

Die Aufklärung der Ursachen für das Fischsterben an der Oder wird wohl noch einige Tage oder sogar Wochen dauern. Das Land Brandenburg kämpft außerdem mit dem Niedrigwasser in der Spree, das kleinere Gewässer im Spreewald zum Austrocknen verdammt.

19.08.2022 – Die Bilder von aufgeschwemmten toten Fischen in der Oder bestimmen seit einer Woche die Schlagzeilen. Feuerwehren, Behörden, Angler und freiwillige Helfer haben inzwischen schätzungsweise 100 Tonnen tote Fische aus dem Grenzfluss zwischen Deutschland und Polen geborgen.

Ende Juli wurden zunächst in der Nähe der polnischen Stadt Olawa südöstlich von Wroclaw erstmals größere Mengen verendeter Fische gefunden. In den folgenden Tagen gab es weitere Funde immer weiter flussabwärts, am 9. August erstmals auch in Deutschland, in Frankfurt an der Oder. Im Stettiner Haff, dem Mündungsgebiet der Oder in die Ostsee, wurden Ölbarrieren ausgelegt – wie auch in südlicheren Bereichen des Flusses –, um die Ausbreitung von Fischkadavern zu verhindern, sollte es auch dort zu einem Fischsterben kommen. Insgesamt ist der Fluss auf einer Länge von etwa 500 Kilometern betroffen.

Ursachen bisher nicht geklärt

Mutmaßungen über mögliche Ursachen gab und gibt es einige. Doch noch suchen Labore und Wissenschaftler fieberhaft anhand von Wasserproben und der Untersuchung toter Fische nach Ursachen dieser Umweltkatastrophe. Möglich ist alles, eine Einleitung größerer Mengen Fremdstoffe, ein massives Algenwachstum oder die Verquickung mehrerer Einzelursachen – Aufwirbeln von Sedimenten bei Flussbauarbeiten, stetige Abwasser aus Betrieben und Bergwerken bei gleichzeitigem Niedrigwasser und hohen Temperaturen. Einig sind sich die Experten, dass die Lebewesen in den Flüssen generell durch Hitze, Niedrigwasser und andere menschliche Einflüsse gestresst sind. Schon kleine zusätzliche Faktoren können zur ernsten Gefahr werden.

Eine Erkenntnis gibt es allerdings jetzt schon: die Frühwarnsysteme müssen ausgebaut und die grenzüberschreitende Koordination verbessert werden. Kritik wurde laut, dass die polnischen Behörden Informationen nicht sofort an die deutschen Partner weitergaben. Inzwischen arbeiten deutsche und polnische Experten zusammen. Die Katastrophe rief auch EU-Umweltkommissar Sinkevicius auf den Plan. Er hatte am Mittwoch mit den Umweltministerinnen von Polen und Deutschland telefoniert und seine Besorgnis geäußert. Die Einsetzung einer deutsch-polnischen Expertengruppe begrüßte er.

Katastrophe für Nationalpark untere Oder

Die Auswirkungen auf den Nationalpark Unteres Odertal im nordöstlichen Brandenburg und sein Ökosystem lassen sich derzeit noch nicht einschätzen. Das weiträumig unverbaute unte­re Oder­tal gehört zu den letz­ten natur­na­hen Fluss­auen­land­schaf­ten Mit­tel­eu­ro­pas. Es ver­eint auf einer Län­ge von 60 Kilo­me­tern und einer Brei­te von durch­schnitt­lich drei Kilo­me­tern, also auf einem rela­tiv begrenz­ten Raum, eine Fül­le ganz unter­schied­li­cher Lebens­raum­ty­pen. Der Nationalpark zählt zu den artenreichsten Lebensräumen in Deutschland.  

Auf gesamter Länge der bis zur Staatsgrenze in den Nationalpark einbezogenen Oder bot sich das gleiche schreckliche Bild wie anderswo. Besonders in den Buchten und strömungsberuhigten Bereichen sammelten sich massenweise tote Fische. „Die Einlassbauwerke waren allerdings geschlossen, so dass kein Wasser aus der Oder in die weitläufige Auenlandschaft und die Gewässer des Nationalparks eingeflossen ist und wir dort auch bisher kein Fischsterben beobachten“, berichtet der Leiter des Nationalparks Dirk Treichel. Ein Poldersystem regelt den Wasserzufluss aus der Oder in die Flusslandschaft. Nur von Herbst bis Frühjahr fließt Wasser aus der Oder in die Flächen und erweitert dann das Flussprofil.

Doch Aufatmen kann Treichel deshalb nicht: „Was jetzt in der Oder an aquatischen Lebewesen abgestorben ist, ist auch eine Katastrophe für den Nationalpark und wir hoffen, dass nicht komplett alles tot ist, sondern auch Individuen überlebt haben.“ Die Regeneration wird aber etliche Jahre dauern. „Die großen verendeten Welse haben ein Alter von 30 Jahren, bis wir solche großen Fische wieder im Ökosystem finden, werden Jahrzehnte vergehen.“

Das Sterben trifft alle Fischarten und Altersstufen, allerdings sind Aale oder auch kleinere Welse kaum zu finden. „Aber große Welse von 1,90 bis 2 Meter sind unter den toten Tieren. Seit drei Tagen beobachten wir verstärkt das Absterben von Großmuscheln und Wasserschnecken“, ergänzt der Nationalparkleiter.

Vogelsterben oder ein vermehrtes Sterben von Warmblütern wird bisher nicht beobachtet. Das Aas werde aber von verschiedenen Vogelarten angenommen, von Nebelkrähen, Seeadlern, Reihern, Milanen, Möwen.

Die Katastrophe hat auch eine wirtschaftliche Dimension für den Nationalpark. Zwei Flussfischer, die es im Nationalpark gibt, stehen vor einer ungewissen Zukunft. Außerdem setze eine Stornierungswelle im touristischen Bereich ein.

Herber Rückschlag für Wiederansiedlungsprogramm des Baltischen Störs

Die Umweltkatastrophe an der Oder sorgt auch bei den Forscherinnen und Forschern des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) für großes Entsetzen. Das IGB forscht und arbeitet schon seit Jahrzehnten an der Oder, insbesondere zur Flussökologie und den Fischartengemeinschaften. Zudem koordiniert das Institut das Wiederansiedlungsprogramm des Baltischen Störs in der Oder.

Die Forscher:innen haben ein Algenart im Visier, die sonst nur in Brackwasser vorkommt. „Wir möchten unterstreichen, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt nur die Massenentwicklung einer potenziell giftigen Alge beweisen können, die Art und Konzentration eventueller Toxine aber erst in einigen Tagen feststehen wird. Unsere bisherigen Beobachtungen an der Oder und auch der Zustand der Fische und Muscheln passen aber zu unserer Vermutung“, erklärt IGB-Wissenschaftler Jan Köhler.

Die Umweltkatastrophe an der Oder ist ein schwerer Schlag für das Wiederansiedlungsprogamm des Baltischen Störs. Die Aufzuchtanlagen für die Jungtiere werden durch Oderwasser gespeist, damit sich die Tiere von Beginn an das Wasser ihrer späteren Heimat gewöhnen. Nun sind rund 20.000 junge Störe in den Anlagen ums Leben gekommen. Außerdem wurde von Totfunden deutlich größerer Störe in der Oder berichtet — Tiere, die bereits 90 Zentimeter groß und damit wichtig beim Aufbau eines sich selbsterhaltenden Bestandes waren.

Niedrigwasser in der Spree

Aber die Umwelt- und Wasserbehörden in Brandenburg kämpfen nicht nur an der Oder, sondern auch noch an einer anderen Front. Das Niedrigwasser der Spree hat das Umweltministerium zu weitreichenden Maßnahmen veranlasst, die Phase 3 des Konzeptes zur Wasserbewirtschaftung trat am Montag in Kraft. Ausleitungen aus der Spree in Nebengewässer wurden geschlossen. Das hat Folgen: Einzelne Gräben werden trockenfallen, Fischsterben sind nicht auszuschließen. Ziel der Maßnahmen ist es, das Wasser in der Hauptspree und den großen Hauptgewässern (Großes Fließ und Puhlstrom) zu konzentrieren.

Das Landesamt für Umwelt bat alle Gewässeranrainer um Meldung trockenfallender Gewässer, um Notabfischungen und Muschelbergungen organisieren zu können. Mit bleibenden Schäden für das Ökosystem des Spreewaldes rechnet das Umweltministerium allerdings nicht. pf

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